Ist der Cannstatter Wasen noch ein Familienfest?
Zwischen Bierzelten und rasanten Fahrgeschäften laufen auch Familien mit Kindern über den Cannstatter Wasen. Wie viel für Kinder geboten ist. Eine Spurensuche auf dem Volksfest.
So viel hat sich gar nicht verändert auf dem Cannstatter Volksfest in den vergangenen vierzig Jahren. Clowns, das kann man an diesem Septembertag auf dem Wasen wieder beobachten, haben sich vom Zeitgeist abgekoppelt. Sie waren und sind ein Publikumsmagnet. Vor allem, wenn die lustigen Kerlchen auch noch auf Stelzen daherkommen und dann doppelt so groß sind wie der eigene Vater. Die Kinder staunen, die Eltern strahlen – und alle stehen an, um sich mit den beiden Riesen abzulichten, die sich nach unten beugen.
Ist der Wasen also noch immer ein Familienfest, das nicht nur junge Menschen aus Heilbronn, Reutlingen oder Überlingen in bayerischer Tracht anzieht, die häufig zu viel trinken, als es ihnen guttut? Oder ist ein Besuch wegen der Inflation besonders teuer geworden?
Cannstatter Wasen bietet für jeden eine passende Attraktion
Um diese Fragen zu beantworten, muss man sich aufmachen in die Almhütte Royal, vorbei an Buden, Ständen und der Fruchtsäule, die es auch schon in den Achtzigerjahren gab. Auf dem Weg liegen auch Hau den Lukas, Dosenwerfen und natürlich der Wagen mit der Zuckerwatte und den gebratenen Äpfeln mit der roten Zuckerglasur, die so eklig-schön an den Zähnen kleben bleibt.
Im Zelt sitzt dann Mark Roschmann, 42 Jahre alt, kräftiger Händedruck. „In jedem Fall“, antwortet er auf die Frage nach dem Familienfest. Roschmann ist Sprecher der Schausteller auf dem Volksfest und betreibt in vierter Generation ein Kinderkarussell und einen Marktstand, an dem seine Familie Mais verkauft. Auf dem Wasen würde jeder etwas finden. Mit jedem Geldbeutel.
Wasen-Atmosphäre zum kleinen Preis
Und man könnte auch einfach so vorbeikommen und in die Atmosphäre eintauchen – ohne einen Cent dafür ausgeben zu müssen. „Wir sind für alle da“, sagt Roschmann, der in Eislingen bei Göppingen lebt. Für ihn seien die Zelte und Fahrgeschäfte vor allem eine Begegnungsstätte. „Hier sitzen die Muslima neben dem Atheisten. Oder die Uni-Professorin neben dem Bezieher von Bürgergeld vor der Maß Bier. Das macht die besondere Anziehung aus.“
Natürlich bildet das Volksfest, fügt der Schausteller hinzu, auch den Zeitgeist ab. Anders als früher gäbe es eine viel größere Auswahl beim Essen. Über das vegane Schnitzel bis zum Wildschweinbratwurst würde man alles finden. Auch den Nervenkitzel für die halbstarken Jugendlichen. Allein vier Achterbahnen sind aufgestellt – zusätzlich eine für Kinder ohne Looping. Die kleineren von ihnen und ihre Eltern können es sich dagegen in einem der beiden Riesenräder bequem machen und die Aussicht über den Neckarpark genießen. Das kommt neben den Clowns gut an, auch neue Spiele wie Entenangeln.
Vergünstige Preise auf dem Volksfest an Familientagen
„Die Kinder und ihre Familien sind uns besonders wichtig“, sagt Roschmann. An den beiden Familienntagen mittwochs sind deshalb alle dazu verpflichtet, ihre Preise zu senken oder andere günstige Angebote zu machen. Das schreiben die Volksfeststatuen so vor. Er selbst verlangt für einen Fahrchip normalerweise zweieinhalb Euro – mittwochs gibt es dann zehn Fahrten für zehn Euro.
Solche Rabatte gefallen den schwäbischen Besuchern natürlich. „Das Preis-Leistungsverhältnis stimmt“, erzählt Doris da Costa aus Reutlingen. Die 72-Jährige ist mit ihren Töchtern, Enkeln und den beiden Urenkeln gekommen. „Das Volksfest ist wieder ein Familienfest“, sagt sie. Sie hat viel erlebt, seit vierzig Jahren geht sie auf den Wasen. Es habe aber eine Zeit gegeben, als sie es nicht schön fand. Es war zu laut, zu schrill, das Gedränge zu groß. „Jetzt ist alles wieder luftiger, ruhiger, es gibt nicht mehr vier, sondern nur noch drei Straßen. Das ist viel erträglicher.“
Um Tierwohl zu sichern: Kein Ponyreiten auf dem Wasen
Die dreijährige Urenkelin fragt die Uroma nach den Ponys: „Ich möchte reiten.“ Sie gehen los. Vergeblich. „Ponyreiten bieten wir in diesem Jahr nicht an“, sagt Roschmann. Schon beim Frühlingsfest hätte sich dafür niemand gefunden. Der Aufwand sei zu groß und die Auflagen für Tierwohl und Tierschutz werden immer strikter. Aber er schließt nicht aus, dass es im nächsten Jahr wieder Ponys auf dem Wasen geben wird. Die kleinen Gäste hätten ihre große Freude daran.