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Krankmeldung zu einfach?
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Studien zeigen steigende Fehltage: Warum Arbeitnehmer immer häufiger krank sind

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Die Krankheitstage der deutschen Arbeitnehmer steigen, das zeigen Studien. Doch das kann die Wirtschaft belasten. Was Gründe und Lösungen sein können. 


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Die Deutschen sind häufiger krank als früher. Das haben Studien verschiedener Krankenkassen wiederholt deutlich gemacht. Das besorgt sowohl Politik als auch Wirtschaft, man fürchtet große negative Folgen auf die Wirtschaft. Aufgrund dieser Tatsache ist in den vergangenen Monaten eine immer wiederkehrende öffentliche Diskussion entbrannt: Sind die Deutschen gar nicht wirklich krank, sondern machen sie einfach blau?

Erst kürzlich hatte Mercedes-Benz Chef Ola Källenius im Gespräch mit der „Süddeutschen Zeitung“ gesagt, er finde, es sei in Deutschland zu einfach, sich krankzumelden. 

Studien zeigen eindeutig hohe Krankenstände: Gründe sind vielfältig

Die hohen Krankenstände können Studien belegen, doch die Schlussfolgerung, dass Arbeitnehmer einfach grundlos zuhause bleiben, stimme demnach nicht. Die Gründe für die hohen Fehlzeiten sind vielfältig. Ein wichtiger Faktor ist, dass die Krankenkassen seit 2022 alle Krankmeldungen automatisch und digital erfassen. Davor war das nicht der Fall, weshalb bereits jahrelang kritisiert wurde, dass dies zu einer Unterschätzung des Krankenstandes in Deutschland führe. 

Die Hans-Böckler Stiftung kommt zu dem Schluss, dass der Arbeitsalltag vieler Beschäftigter von Überlastung geprägt sei, ausgelöst insbesondere durch Fachkräftemangel und Personalengpässe. Arbeitsverdichtung, Multitasking, Mehrarbeit, fehlende Pausen sowie die Tatsache, dass viele Beschäftigten abends schlechter von der Arbeit abschalten könnten, schlage letztendlich auf die Gesundheit.

Ein weiterer Grund ist der demografische Wandel. Die Erwerbsbeteiligung älterer Personen (55 bis 64 Jahre) ist in Deutschland laut OECD von 1995 bis 2022 um 35,9 Prozentpunkte gestiegen. Mit 73,3 Prozent liegt sie 2022 deutlich über dem OECD-Durchschnitt (62,9 Prozent). Das wirkt sich auf die gemessenen Krankenstände aus, denn Zahlen von Krankenkassen zeigen, das Fehlzeiten mit steigendem Alter zunehmen. 

Untersuchung des DIW: Psychische Gesundheit nimmt rapide ab

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat sich in einer Untersuchung der Entwicklung der psychischen Gesundheit von Arbeitnehmern gewidmet, die ebenfalls zu mehr Fehltagen führt. „Die psychische Gesundheit von Menschen bis 50 Jahren in Deutschland hat sich seit 2016 rapide verschlechtert. Während die psychische Gesundheit der mindestens 50-Jährigen im Jahr 2022 bereits wieder beinahe auf dem Niveau vor der Pandemie lag, nimmt sie bei den Jüngeren stetig ab“, schreiben die Autoren.

Laut DAK-Krankenkasse stiegen die Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen zwischen 2013 und 2023 um 52 Prozent. Im Jahr 2022 haben jüngere Menschen (unter 50 Jahren) erstmals eine niedrigere psychische Gesundheit als Ältere, stellen die Wissenschaftler fest. 

In der Debatte wird die telefonische Krankschreibung ebenfalls als möglicher Grund angegeben, dass Menschen sich aufgrund der niedrigen Hürde krankmelden, obwohl sie eigentlich gesund sind. Die Wissenschaftler des DIW weisen aber darauf hin, dass eine Untersuchung des Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung zeigt, dass die telefonische Krankschreibung bereits 2020 eingeführt wurde - der Anstieg der Fehltage steigt statistisch aber erst seit 2022. 

Krankheitstage der deutschen Arbeitnehmer steigen: Telefonische Krankschreibung als Ursache?

Unter anderem der ehemalige Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) als auch der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeber (BDA), Steffen Kampeter, hatten gefordert, die telefonische Krankschreibung abzuschaffen. Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband ist anderer Meinung und bewertet die Möglichkeit als sinnvoll. Die Co-Vorsitzende Nicola Buhlinger-Göpfarth sagte, man könne aus der täglichen Arbeit nicht bestätigen, dass Arbeitnehmer sich per Telefon häufiger krankschreiben ließen.

Hausarzt Dr. Tobias Neuwirth aus Neckarsulm befürwortet die telefonische Krankschreibung ebenfalls. „Bei manchen wird in den ersten Tagen ja auch keine Krankschreibung benötigt. Braucht der Patient doch eine, ist die Möglichkeit per Telefon eine gute Sache.“ Dass das System ausgenutzt werde, kann der Hausarzt nicht bestätigen. „Das erleben wir nicht. Es besteht ja auch ein Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. Wenn jemand nicht zur Arbeit kann, dann hat das eine Ursache, die Leute machen das ja nicht zum Spaß.“

Krankschreibung in Deutschland: Internationaler Vergleich ist laut Expertin schwierig

Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hat untersucht, ob das deutsche Lohnfortzahlungssystem in Zusammenhang mit dem hohen Krankenstand steht. Dieses System hat seinen Ursprung in der Geschichte der deutschen Arbeitskämpfe und gilt hinter Luxemburg als das „großzügigste weltweit“. In der Bundesrepublik erhalten Arbeitnehmer bei Krankheit sechs Wochen ihr volles Gehalt.  

In Schweden gilt eine Lohnfortzahlung von 80 Prozent für zwei Wochen, ähnlich sei es in anderen europäischen Ländern. Eine niedrigere Lohnfortzahlung würde laut den Autoren zwar vermutlich zu weniger Fehlzeiten führen, gleichzeitig würden dann aber auch mehr Menschen krank zur Arbeit gehen. Das erhöhe das Risiko, Langzeitschäden davonzutragen und Kollegen anzustecken.

„Ein Vergleich zwischen den Ländern ist wegen unterschiedlicher Regulierungen immer sehr schwierig“, bewertet Elke Ahlers, Sozialwissenschaftlerin und Leiterin des Referats Arbeit und Qualität bei der Hans-Böckler-Stiftung, die Forderung nach internationalen Vergleichen. Verschiedene Forschungsinstitute kommen zu dem Schluss, dass es nicht zielführend sei, Arbeitnehmer unter Generalverdacht zu stellen. Viel mehr müssten die Ursachen dieser Entwicklung genauer in Betracht gezogen werden, insbesondere aufgrund des steigenden Bedarfs nach Arbeitskräften. 

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