„Die Kunst, Unführbare zu führen“: Das steckt hinter dem Leadership-Training mit Greifvögeln
Das Center for Advanced Studies der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW Cas) verbindet Falknerei und Führung in einem Seminar. Ein Besuch vor Ort.

Ein Falke landet mit ausgebreiteten Schwingen auf dem Handschuh eines Teilnehmers. Ein kurzer, scharfer Blick des Greifvogels – dann absolute Ruhe. Wer hier führen will, braucht nicht Dominanz, sondern Achtsamkeit, und muss sich auf sein Gegenüber voll und ganz einlassen.
Es ist ein Seminar der besonderen Art: Das DHBW Cas bietet ein Leadership-Training mit Greifvögeln an – inzwischen bereits zum dritten Mal. Das Seminar findet im Rahmen des Moduls Fachübergreifende Kompetenzen statt. Mit einem Angebot aus rund 35 Seminaren möchte das DHBW Cas die persönlichen und sozialen Kompetenzen der Studierenden fördern. Und so gehören bei diesem besonderen Angebot eben auch Falkner und Greifvögel zu den Dozenten.
Neben den Übungen mit den Tieren, bei denen die Studierenden ihr Verhalten in besonderen Führungssituationen trainieren können, gibt es auch Theorieeinheiten und Gruppenübungen zum Thema Führung und Persönlichkeitsentwicklung – darunter auch eine Achtsamkeitsübung mit einer Psychologin. „In einer Führungsposition muss man selbstreflektiert sein“, sagt Annette Ott, Leiterin des Bereichs Fachübergreifende Kompetenzen.

Führen lernen von Falken: Angehende Führungskräfte besuchen besonderes Seminar
Zusammen mit Jeanine von Stehlik, Wissenschaftliche Leiterin des Masterstudiengangs Entrepreneurship und frühere Unternehmerin, sowie Armin Pfannenschwarz, Studiengangsleiter Unternehmertum, hat sie das Seminar initiiert. Es sei eine Art Fortführung, nachdem es bereits ein Führungstraining mit Pferden gab.
Über den Kontakt zur Falknerei ist Ott sehr dankbar: „Es ist eine wertvolle Zusammenarbeit. Falkner wissen alles über ihre Tiere und setzen dieses Wissen dann in Handlungen um. Sie dienen den Vögeln.“
Das Besondere: Die Teilnehmer sind bunt gemischt. Teilweise haben die Studierenden Führungspositionen inne, teilweise stehen sie als Nachfolger im Familienbetrieb fest und bereiten sich vor. Oder sie wollen sich für ihren Umgang mit Kollegen inspirieren lassen.
„Was machen wir mit Menschen, die sich nicht führen lassen?“
Es geht aber auch darum, die Vielfalt der Greifvögel und ihre Welt kennenzulernen – und im Anschluss Parallelen zur eigenen zu ziehen. Ott spricht von einem Dreiklang: In eine fremde Welt eintauchen, reflektieren und Erkenntnisse in die Praxis übernehmen.
Eine zentrale Frage steht im Raum: „Was machen wir mit Menschen, die sich nicht führen lassen?“ Immer mehr Menschen seien schwierig gestrickt, sagt Ott. Und in Zeiten des Fachkräftemangels brauche es darauf Antworten. Nicht nur in Bezug auf Mitarbeiter, auch im Umgang mit Kollegen könne der Input helfen, den Transfer ins Unternehmen zu schaffen.

Dozenten geben in Umgang mit toxischen Arbeitskollegen Tipps
Ein Teilnehmer erzählt etwa von einem Kollegen, den er als „toxisch“ beschreibt: egoistisch, auf sich bedacht, andere oft mit einem Berg an Mehrarbeit zurücklassend. Armin Pfannenschwarz und Jeanine von Stehlik erklären, man müsse zunächst Zeit investieren und eine Hypothese aufstellen – also überlegen, was hinter dem Verhalten stecke. Eine mögliche Erklärung: Der Kollege habe das Verhalten seit Kindheitstagen vorgelebt bekommen, sein Bedürfnis sei Kontrolle.
Als Tipp geben die Dozenten mit, den Kollegen direkt, aber in Ich-Perspektive anzusprechen – also die eigenen Gefühle zu benennen. Zum Beispiel, dass man sich verletzt fühlt, wenn der Kollege kurzfristig Urlaub verkündet und dadurch Mehrarbeit entsteht. Durch das direkte Ansprechen gebe man ihm die Möglichkeit, sich zu verändern. Dass die Methode wirkt und zum Nachdenken anregt, zeigen auch die Rückmeldungen der Teilnehmer. „Ich habe gelernt, dass man Geduld haben muss mit den Tieren. Auf vieles hat man keinen Einfluss, so wie oft auch in Unternehmen“, sagt Fabian Mujdrica. Außerdem habe ihm gefallen, dass er viel Neues über die Tiere gelernt hat.

Warum Astronaut Alexander Gerst aus Künzelsau Vorbild in diesem Führungsstil war
Nico Röthel fasziniert besonders, dass zwei auf den ersten Blick unpassende Themen so gut in dem Seminar miteinander verschmolzen sind. „Das Thema Führung und Falken hat mehr gemeinsam als gedacht.“ Für eine gute Führung müsse der Perspektivwechsel gelingen. „Man muss sich in andere Menschen hineinversetzen können – und dafür die Grundlage erst bei sich selbst schaffen.“ Gute Führungspersönlichkeiten könnten in jedem Unternehmen arbeiten, betont Stehlik. Besonders hebt sie den Führungsstil des Servant Leadership hervor – Führen durch Dienen.
Vorbild dafür sei Astronaut Alexander Gerst aus Künzelsau. Er sei auf seiner Mission ohne Vorerfahrung zum Kommandanten gewählt worden und habe ein interdisziplinäres und internationales Team geführt. Auf die Frage, wie er das geschafft habe, antwortete er: Er habe sein Team stets gefragt, wie er sie unterstützen könne, damit sie ihre Arbeit gut machen können. Servant Leadership sei ein effizienter Führungsstil, so Stehlik: „Man führt durch Bedürfnisbefriedigung.“ Dafür brauche es Großzügigkeit, ein kontrolliertes Ego und offene Fragen: „Was brauchst du? Wie kann ich helfen?“ Und genau an dieser Stelle schließt sich für Stehlik der Kreis zu den Greifvögeln: „Das ist Falknerei.“