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"Das sind nicht die Spiele, die man sich wünscht"

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Der Heilbronner Lehrer Thorsten Rauhut lebt in Hongkong und spricht im Interview über die Olympischen Winterspiele in Peking, sein Leben in China und die schwierige Zeit in der Pandemie in Hongkong.

Vor der Skyline Hongkongs: Derzeit hat Thorsten Rauhut Ferien, geht mit der Familie Wandern. Als Sportler interessieren ihn auch die Spiele in Peking.
Vor der Skyline Hongkongs: Derzeit hat Thorsten Rauhut Ferien, geht mit der Familie Wandern. Als Sportler interessieren ihn auch die Spiele in Peking.  Foto: privat

Das Wetter ist ein unglaublich positiver Faktor für Thorsten Rauhut und seine Familie. Seit mehr als vier Jahren lebt und arbeitet der Heilbronner als Lehrer in Hongkong und genießt die Zeit in Asien - trotz aller Widersprüche und Extreme in China. Politisch, gesellschaftlich und auch sportlich erlebt sie der 47-Jährige hautnah - auch während der Olympischen Winterspiele in Peking. Die rigide Haltung in der Corona-Pandemie haben die Rauhuts ebenfalls schon zu spüren bekommen.

Die ersten Medaillen bei den Olympischen Winterspielen in Peking sind vergeben. Wie intensiv verfolgen Sie das, was dreieinhalb Zugstunden von Ihnen entfernt, passiert?

Thorsten Rauhut: Ganz ehrlich, ich bin zwar unglaublich sportbegeistert, aber hin- und hergerissen. Ich stehe nachts auf, verfolge die Playoff-Kämpfe der Red Devils Heilbronn im Livestream oder schaue mir die Heilbronner Falken an. Im Moment aber bin ich im Zwiespalt. Das sind nicht die Olympischen Spiele, die man sich wünscht. Nichtsdestotrotz finde ich gut, dass sie stattfinden. Es ist das Größte in einem Sportlerleben, bei Olympia dabei zu sein.

 

Dann ist da noch die Corona-Pandemie und die immense Sorge der Chinesen vor einer Ausbreitung von Omikron.

Rauhut: Die Athleten sind all die Corona-Vorkehrungen mittlerweile schon gewohnt, aber wenn du hier in China positiv getestet wirst, ist das noch einmal eine andere Nummer. Hier werden kurzerhand mal ganze Häuserblocks in häusliche Quarantäne geschickt oder komplette Städte abgeriegelt. Wir haben das leider auch so erleben müssen.

 

Weggesperrt zu sein?

Rauhut: Niklas, unser Ältester, war über Weihnachten in Deutschland. In Frankfurt ist er negativ in den Flieger gestiegen, in Hongkong ist er positiv getestet worden. Dann lief die Maschinerie an. Er kam in ein Krankenhaus auf die Isolierstation bis der CT-Wert bei über 30 lag, dann haben sie ihn in eine Massenunterkunft auf das Expo-Gelände gebracht. Als Familienangehöriger durfte ich ihm etwas zu essen bringen, aber es gab eine Liste von nicht erlaubten Produkten, darunter auch Obst. Als er zweimal negativ getestet war, kam er mit einem Armband nach Hause. Damit läuft man sein Haus ab und darf es nicht verlassen. So ist er nochmals zwei Wochen in Heim-Quarantäne gewesen.

 


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Freitesten wie in Deutschland funktioniert in Hongkong also nicht?

Rauhut: Da gibt es nichts zu diskutieren. China funktioniert nur, weil sich jeder an die Regeln hält. Es wäre ein Riesenchaos, wenn jeder eine Ausnahme machen würde. Keiner hat damit ein Problem stundenlang an einer Bushaltestelle oder woanders anzustehen, da drängelt sich auch keiner vor.

 

Offiziell hat es in China bisher sehr wenige Fälle gegeben.

Rauhut: Mein Bauchgefühl sagt, die Situation kippt gerade. Omikron scheint zu infektiös, dass sie die Null-Covid-Politik noch lange aufrechterhalten können. Wir hatten wirklich kaum lokale Fälle, die meisten sind eingeschleppt worden. Fluggesellschaften wird ein Bann auferlegt, sobald einer positiv getestet wird. Das macht das Reisen hier natürlich unglaublich schwer, weil man kaum mehr ein Flugzeug bekommt. Das nächste Problem ist, dass man hier bei der Einreise ohnehin für drei Wochen in eine staatlich festgelegte Hotel-Quarantäne muss - und zwar auf eigene Kosten. Über Weihnachten haben viele das Land verlassen, kamen zurück und haben kein passendes Quarantäne-Hotel mehr bekommen, weil alle voll gewesen sind.

 

Einen Lockdown gibt es aber nicht?

Rauhut: Lockdowns wie in Deutschland haben wir hier noch nicht erlebt. In der Schule sind wir quasi im Lockdown, die sind geschlossen. Im Moment sind ohnehin Ferien, wir hatten Chinese New Year. Allerdings sind wir sehr erprobt und digital gut aufgestellt. Das ist mit Deutschland nicht vergleichbar, wir switchen sozusagen via Knopfdruck von Präsenzunterricht in den Online-Modus, das ist gar kein Problem. Selbst in der ersten Klasse funktioniert das genial. Schulisch haben die Kinder kaum zählbare Nachteile. Im Gegenteil: Bei den Abgängern hatten wir vergangenes Jahr einen der besten Abschlussjahrgänge überhaupt - und die waren voll im Corona-Modus gewesen.

 

Interessieren die Olympischen Spiele die Millionen Menschen in Hongkong angesichts dieser Tatsachen überhaupt?

Rauhut: Hongkong ist wie China eine unheimlich sportliche Nation. Hongkonger bewegen sich ständig, leben sehr gesund. Hier sieht man kaum übergewichtige Menschen, sie sind auch sportbegeistert - allerdings nur die Sportarten, die sie verstehen. Die Sommerspiele in Tokio im August 2021 waren schon präsent in den Medien. Die Medaillengewinner von Tokio sind hier Helden, werden vergöttert. Auf der Fähre morgens werben sie in Trailer fürs Impfen oder auf großen Plätzen gibt es Ausstellungen. Aber die Winterspiele finden in den Medien im Moment hier kaum Präsenz.

 


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Haben Sie eine Erklärung dafür?

Rauhut: Ich habe mit einigen lokalen Hongkongern gesprochen. In Hongkong ist gar kein Wintersport möglich, wir haben maximal ein paar Eislaufbahnen. Witzigerweise starten aber zwei alpine Skirennläufer in Peking. Das sind junge Studenten, die jedoch frühzeitig nach Europa gebracht wurden. Sie trainieren in Italien und in Deutschland, haben einen Trainer aus dem ehemaligen Jugoslawien und starten jetzt in Peking für Hongkong. Die Schwierigkeit ist: Alles, was die Chinesen nicht verstehen und nicht praktizieren, interessiert sie auch nicht und spielt somit auch keine Rolle. Das war auch 2008 bei den Sommerspielen schon so. Ringen war dort kaum besucht, obwohl die Karten sonst bei olympischen Spielen immer heiß begehrt und schnell verkauft sind. Als klar war, dass die Spiele nach Peking gehen, haben die Chinesen ihre Scoutingteams durch das ganze Land geschickt, Talente aus den Schulen gezogen. Nachdem sie vor vier Jahren in Pyeongchang so katastrophal abgeschnitten haben, wollen sie jetzt im eigenen Land am besten die Nummer eins werden. China schickt das viertgrößte Team.

 

Formal haben die Chinesen die Vorgabe von Staatschef Xi Jinping bereits erfüllt, dass 300 Millionen Wintersport betreiben. Doch hat das Land realistisch das Potenzial, eine echte Wintersport-Nation zu werden?

Rauhut: Ich kann mir nicht vorstellen, dass China eine Wintersport-Nation wird. Dafür ist es hier schlichtweg nicht winterlich genug. Die olympischen Anlagen stehen in einem der wasserärmsten Gebiete, da fällt kaum eine natürliche Schneeflocke. Und im Norden haben sie im Winter Temperaturen von -25 bis -30 Grad, da will man nicht hin. Das hat nichts mit dem Skifahren in Österreich mit Sonnenschein und Hüttengaudi zu tun. Im Moment zeigt man der Welt, was man kann.

 

Aus unserer Sicht bedeutet Sport in China nicht Spaß an der Bewegung, sondern permanenter Drill und Druck.

Rauhut: Naja, aus meiner Sicht sind die Chinesen eben sehr erfolgsorientiert. Man kann auch Parallelen zur Schule ziehen. Hier zählen nur gute Ergebnisse. Es ist unglaublich, was die Menschen hier in ihre Kinder investieren, um ihnen alle Möglichkeiten zu bieten. Zunächst einmal den besten Schulabschluss in Hongkong, dann am besten in Stanford oder Harvard studieren. Das ist im Sport nichts anderes, es zählt eben der Erfolg.

 

Und wer der Kommunistischen Partei Chinas nicht gehorcht, ist weg.

Rauhut: Über Politik spricht man hier nicht mehr sonderlich viel. Die Pandemie ist das vorherrschende Thema und außerdem sind im März hier Wahlen. Dies ist im Übrigen ebenfalls ein Grund, warum das Thema Olympische Spiele im Moment aus meinem Verständnis heraus weit weg für die Menschen ist.

 

Zur Person
Thorsten Rauhut ist ehemaliger Ringer des VfL Neckargartach und lebt seit 2017 mit seiner Frau Petra und den drei Jungs Niklas (20), Mats (16) und dem Erstklässler Samu in Discovery Bay auf Lantau Island in Hongkong. Der 47-Jährige leitet dort die Duale Berufsausbildung an der Kaplan Business and Accountancy School. Mitunter vermissen die Rauhuts ihr Haus im Heilbronner Osten, "doch hier leben wir sehr schön, genießen den Pool und den Meerblick", sagt der Heilbronner. Den regionalen Sport verfolgt Thorsten Rauhut weiterhin intensiv.

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