Wenn der Apfel für den Restmüll wächst
In Deutschland landet noch immer tonnenweise genießbares Essen im Müll. Die Politik unternimmt wenig, um diese Verschwendung zu reduzieren.

Die Obst- und Gemüseabteilung im Supermarkt ist schon das Beste vom Besten. Eine herzförmige Kartoffel oder ein Apfel mit Wurmloch landen hier nicht. Was es ins Supermarktregal schafft, wurde vorher nicht auf dem Feld liegengelassen oder vom Großhändler entsorgt.
Ein Drittel aller Lebensmittel werfen wir Deutschen in den Müll, statt sie zu essen. Bis 2030 soll diese Menge halbiert werden, doch bisher tut die Bundesregierung wenig dafür. Warum werfen wir so viel Essen weg? Wir haben Fragen und Antworten gesammelt:
Wie viel wird weggeworfen?
Die Deutschen werfen tonnenweise Lebensmittel weg: Zwischen 11 und 18 Millionen Tonnen pro Jahr. Würde man 18 Millionen Tonnen in Lkw verladen, würde die Schlange der Fahrzeuge in etwa von Paris bis Peking reichen. Und würde man das Getreide, Obst und Gemüse, das wir nie essen, auf einer einzigen Fläche anbauen, wäre sie größer als Hessen. "Diese Zahlen sind noch eine konservative Schätzung", betont Tanja Dräger de Teran, die eine Studie der Umweltorganisation WWF zum Thema geleitet hat. Laut Deutscher Umwelthilfe entstehen durch unnötig produzierte Lebensmittel 48 Millionen Tonnen CO2 - ein Viertel dessen, was der Straßenverkehr in Deutschland jährlich ausstößt.
Warum ist die Spanne der Zahlen so groß?
Weil es zur Verschwendung von Lebensmitteln sehr unterschiedliche Daten gibt. Eine Studie des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) lässt etwa Verluste in der Landwirtschaft außen vor. Der WWF rechnet diese mit ein. Weder Landwirte noch Supermärkte müssen in einem einheitlichen System angeben, wie viel sie wegwerfen. So ergeben sich unterschiedliche Zahlen. Alle Studien betonen aber, dass sie von Mindestmengen ausgehen und die tatsächliche Zahl der weggeworfenen Lebensmittel noch viel höher sein dürfte.
Wer wirft am meisten weg?
Jeder von uns wirft jährlich zwischen 55 und 120 Kilo Lebensmittel weg. Geht man von 18 Millionen Tonnen insgesamt aus, werfen Privathaushalte 40 Prozent der eigentlich noch genießbaren Lebensmittel weg. Reste wie Schalen, Kaffeesatz oder Kerne sind nicht mitgerechnet. Auf die sogenannte Wertschöpfungskette aus Landwirt, Groß- und Einzelhandel entfallen laut WWF etwa 60 Prozent des vermeidbaren Lebensmittelabfalls.
Was wird besonders oft weggeworfen?
Zu Hause wandern meist Obst, Gemüse und gekochtes Essen in die Tonne. Danach folgen Backwaren und Milchprodukte. Letztere werden besonders oft weggeworfen, weil das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) überschritten ist. Bei zubereitetem Essen wird zu viel gekocht oder auf den Teller geladen. In der Landwirtschaft werden zu kleine, zu große oder krumme Feldfrüchte bei der Ernte liegengelassen. Viele Supermärkte machen strenge Vorgaben.
Was wird dagegen getan?
Die Bundesregierung hat sich verpflichtet, die Lebensmittelverschwendung bis 2030 zu halbieren. Das BMEL arbeitet derzeit an einer Strategie, wie das geschafft werden soll. "Diese Strategie wird alle Akteure entlang der Wertschöpfungskette beteiligen", heißt es auf Anfrage. Ab Februar will Ernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) das Gespräch mit Landwirten und Supermärkten suchen. Klöckner setzt aber vor allem auf Freiwilligkeit. Es sei "seit vielen Jahren üblich", dass Supermärkte abgelaufene Lebensmittel freiwillig an die Tafeln spenden. Für Sascha Müller-Kränner, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, ist das nicht genug: "Das ist alles richtig, aber es reicht nicht." Den Lebensmittel-Abfall zu halbieren, sei so nicht möglich. "Das Ziel wird nur erreicht, wenn auch die Lebensmittelverschwendung im Groß- und Einzelhandel weiter reduziert wird." Deshalb müssten Supermärkte verpflichtet werden, genießbares Essen zu spenden, wie es in Frankreich und Tschechien der Fall ist.
Wie läuft es in Frankreich und Tschechien?
Beide Länder verbieten es großen Supermärkten per Gesetz, Essbares wegzuwerfen. Es muss kostenlos an Hilfsorganisationen gespendet werden, sonst drohen hohe Bußgelder. Ein solches Gesetz ist in Deutschland laut BMEL nicht geplant.
Wie ist die Situation in anderen Ländern?
Im EU-Vergleich könnte man meinen, dass Deutschland nur wenig wegwirft. 180 Kilo Lebensmittel pro Kopf im Jahr sind laut WWF der EU-Schnitt. Am meisten entsorgen Niederländer (580 Kilo) und Belgier (400 Kilo). Die Studie sagt aber auch: Dort gibt es bessere Verfahren, um den Abfall zu messen, weshalb die Zahlen höher sind als hierzulande.
Was tun deutsche Supermärkte dagegen?
Aldi Süd testet einen Aufkleber auf Milchbeuteln, der dazu auffordert, die Milch zu probieren, bevor man sie wegschüttet. Zudem verkauft Aldi vereinzelt unperfektes Obst und Gemüse. Das machen auch Rewe, Penny, Netto und Kaufland. In Berlin gibt es Supermärkte, die nur abgelaufene Produkte verkaufen. Rechtlich ist das erlaubt, solange der Händler sicherstellt, dass das Produkt genießbar ist und auf das abgelaufene MHD hinweist.
Was machen Hotels und Restaurants?
Ein Beispiel ist die Organisation "United against Waste", die Hotels und Restaurants berät. Eine Empfehlung: Für das Frühstücksbüfett kleinere Brötchen backen oder Wurst- und Käsescheiben verkleinern. Durchsichtige Müllbehälter helfen, die Abfallmenge im Auge zu haben.
Stimme.de