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Wirtschaftsverbände bewerten Maßnahmen zum Bürokratieabbau zurückhaltend

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Der Wirtschaft reichen die von der Bundesregierung beschlossenen Entlastungsschritte nicht aus. Verbände sehen Bürokratieabbau als Daueraufgabe.

Die Wirtschaft fordert von der Bundesregierung einen entschlossenen und umfangreichen Abbau von Bürokratie.
Die Wirtschaft fordert von der Bundesregierung einen entschlossenen und umfangreichen Abbau von Bürokratie.  Foto: Ralf Hirschberger

Die Bundesregierung hat am Mittwoch ein Maßnahmenpaket zum Bürokratieabbau beschlossen, das Wirtschaft und Gesellschaft in den nächsten Jahren um Milliarden entlasten soll. Die Reaktionen der Wirtschaftsverbände fallen jedoch bescheiden aus. 

Die baden-württembergische Wirtschaft sieht in den Beschlüssen des Kabinetts keinen Befreiungsschlag.  „Die Richtung stimmt – aber die Politik agiert weiterhin zu zögerlich“, sagt Oliver Barta, Hauptgeschäftsführer der Unternehmer Baden-Württemberg (UBW). „Unsere Unternehmen stehen durch eine Vielzahl gesetzlicher Berichtspflichten, komplexe Regulierungen und langwierige Genehmigungsverfahren massiv unter Druck. Ohne einen echten Paradigmenwechsel hin zu mehr Vertrauen in unternehmerische Eigenverantwortung werden die Staatsmodernisierung und der Bürokratieabbau nicht gelingen“, betont Barta.

Barta: Das System ist aus dem Gleichgewicht geraten

Er unterstrich, dass staatliche Regulierung als Teil eines funktionierenden Ordnungsrahmens für jede Volkswirtschaft unverzichtbar sei: „Das System ist allerdings aus dem Gleichgewicht geraten.“ Die Unternehmen litten unter einer Flut von Vorgaben aus Europa, Bund und Ländern. „Seit Jahren reden wir über Entlastung – aber in der Praxis wird es ständig teurer und aufwendiger, unternehmerisch tätig zu sein. Die Politik schreibt Entlastungsgesetze, während die Aktenstapel in den Betrieben weiter wachsen“, so Barta. Laut einer aktuellen Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) mussten die Unternehmen in den vergangenen drei Jahren rund 325.000 zusätzliche Arbeitskräfte einstellen, um die gewachsene Bürokratie zu bewältigen.

Die UBW fordern einen strukturellen Bürokratieabbau mit verbindlichen Netto-Abbauzielen. „Das bisherige Prinzip ‚One in, one out‘ reicht nicht mehr aus. Künftig darf keine neue bürokratische Belastung entstehen, ohne dass mindestens zwei alte entfallen“, fordert Barta. „Klar ist auch, dass ohne eine flächendeckende Digitalisierung der Verwaltung alle Entlastungsversprechen Stückwerk bleiben werden.“

IHK Region Stuttgart: Politik muss die Fesseln lösen

Die IHK Region Stuttgart sieht im Entlastungspaket der Bundesregierung ein wichtiges Signal: Endlich werde ressortübergreifend und verbindlich am Abbau von Bürokratie gearbeitet. Für IHK-Präsident Claus Paal ist aber klar: „Das darf kein Einmalevent bleiben. Unsere Unternehmen stehen unter enormem Druck“, sagt Paal. „Vor allem kleine und mittlere Betriebe kämpfen sich tagtäglich durch wachsende Bürokratie, immer neue Berichtspflichten und unklare Verfahren. Wir erwarten von der Politik, dass sie diese Fesseln löst. Es darf nicht mehr bei Worten und Vorhaben bleiben – es müssen endlich langfristige Taten folgen.“

Wenn Verfahren wirklich vereinfacht, Doppelstrukturen abgebaut und digitale Lösungen genutzt würden, könne das ein Wendepunkt sein“, so Paal. „Aber der Weg ist lang – und er darf nicht an der Ressortgrenze enden.“

Nach Angaben des federführenden Digitalministeriums soll das „Entlastungskabinett“ künftig regelmäßig tagen und dauerhaft Teil der Regierungsarbeit werden. Für den IHK-Präsidenten ist klar: „Nur wenn Bürokratieabbau zum Dauerauftrag wird, hat der Standort Deutschland eine Zukunft.“

Handwerkspräsident Dittrich lobt die Bundesregierung für die Beschlüsse 

Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), bewertet die Beschlüsse so: „Mit den beschlossenen Maßnahmen geht die Bundesregierung beim Bürokratieabbau nun den entscheidenden Schritt von der Ankündigung zur Umsetzung und zeigt, dass sie es mit dem Bürokratieabbau ernst meint und nun tatsächlich Entlastungen anpackt. Für die Betriebe, die unter immer größeren bürokratischen Lasten leiden, ist das ein überfälliger und zugleich ermutigender Beginn. Die Ziele des Koalitionsvertrags und die in der Modernisierungsagenda verankerten Vorhaben werden nun mit Inhalten gefüllt.

Die Belastung der Handwerksbetriebe entstehe aus der Summe unzähliger Einzelvorschriften. Deshalb zähle jede Entlastung und werde unterstützt. Dennoch sei angesichts des schieren Umfangs an bestehender Bürokratie auch klar, dass dieses Entlastungskabinett nur der Anfang sein könne. Entscheidend sei, dass der begonnene Prozess entschlossen fortgesetzt werde.

VDMA vermisst bei der Bundesregierung Mut beim Bürokratieabbau

VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann sagt zu den Beschlüssen: „Das Kabinett bleibt beim angekündigten Bürokratieabbau leider hinter den Erwartungen zurück. Viele richtige Maßnahmen stehen bereits im Koalitionsvertrag – vom Aussetzen des Lieferkettengesetzes, über den Rückbau von Gold-Plating zum Beispiel beim Energieeffizienzgesetz bis hin zum Einführen von Genehmigungsfiktionen, um Verfahren zu beschleunigen. Wir vermissen den Mut, die Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag jetzt auch umzusetzen.“

Kleine und mittlere Unternehmen wendeten laut VDMA etwa sechs Prozent ihres Umsatzes für die Umsetzung von bürokratischen Vorgaben auf. Dieses Geld fehle für Investitionen. Hinzu kämen Steuern und Abgaben auf Rekordhoch. „Umso wichtiger, dass Entlastungen zügig auf den Weg gebracht werden, um schnelle Erfolge zu erzielen“, so Brodtmann. „Ein Entlastungskabinett ist nur dann glaubwürdig, wenn es neben dem Abbau von Bürokratie auch dessen weiteren Aufbau verhindert. Vorhaben wie die Tariftreue konterkarieren jedoch den Bürokratieabbau.“

„Die Ergebnisse beim Bürokratieabbau wirken auf den ersten Blick enttäuschend. Allerdings sollte man es sich nicht zu einfach machen, denn die Probleme liegen tiefer“, kommentiert Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln. 13 Millionen Euro Entlastung für die digitale Parkraumkontrolle, 11 Millionen für die Abschaffung der De-Mail. Angesichts der Versprechen der CDU im Wahlkampf wirkten die Ergebnisse des Entlastungskabinetts bescheiden – eher Nagelschere als Kettensäge, so Hüther. „Zum Vergleich: Der Sachverständigenrat schätzt die in der Wirtschaft regelmäßig anfallenden Bürokratiekosten im Jahr 2024, die allein auf bundesrechtliche Vorgaben zurückzuführen sind, auf rund 65 Milliarden Euro“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler.

Vieles, über das  geklagt werde, sei tief in unserer politischen Kultur verwurzelt, sagt Hüther. Zu oft versuchten Politik und Verwaltung – auch von öffentlichen Debatten getrieben – Einzelfallgerechtigkeit herzustellen. Nicht nur deshalb entstünden Gesetze und Verordnungen, die undurchdringbar seien und teils widersprüchlich. Hüther nennt ein Beispiel: „Aus Hygieneschutz dürfen Bäcker eigentlich nur glatte Fliesen verbauen. Die verbietet ihnen aber der Arbeitsschutz, weil Mitarbeiter darauf ausrutschen könnten.“

Wenn Deutschland wirklich entlastet werden solle, müssten Verwaltungen anders arbeiten – mit effizienteren Prozessen, digitaler, pragmatischer, mit mehr Ermessensspielräumen für die Mitarbeiter. „Das Mentalitätsproblem lässt sich nicht mit einer Kabinettssitzung lösen, zumal zu einer bürokratieabbauenden Staatsreform auch eine Reform des öffentlichen Dienstrechts zählen müsste“, betont der IW-Chef.

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