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Interview mit Getrag-Chef Dieter Schlenkermann (08.12.08)

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Untergruppenbach - Der Zeitplan für die angestrebte Restrukturierung ist eng. Bis April will Getrag-Chef Dieter Schlenkermann den Getriebebauer umgebaut haben. Die Verhandlungen mit den Beschäftigten laufen auf Hochtouren. 380 Stellen und ein ganzes Werk stehen zur Disposition, nachdem ein Gemeinschaftsprojekt mit dem US-Autobauer Chrysler geplatzt ist. Im Interview mit der Heilbronner Stimme ist Schlenkermann zuversichtlich, dass die Insolvenz der US-Tochter nicht auf die Untergruppenbacher Konzernmutter durchschlagen wird.



Untergruppenbach - Mindestens 380 Stellen sollen wegfallen, ein Werk soll geschlossen werden: Beim Untergruppenbacher Getriebebauer Getrag ist die Stimmung am Boden. Manfred Stockburger fragte den Konzernchef Dieter Schlenkermann (Foto: Getrag), welche Perspektive das angeschlagene Unternehmen hat.

Wie geht es Ihnen, Herr Schlenkermann?


Dieter Schlenkermann: Persönlich belastet mich die Krisensituation unserer Industrie und damit auch unseres Unternehmens sehr, wie man sich leicht vorstellen kann. Wie Sie wissen, steckt die weltweite Automobilindustrie gerade in einer schweren Krise. Uns als Automobilzulieferer trifft das natürlich auch. Derzeit setzen wir ein Konzept zur Restrukturierung um, um die Überkapazitäten zu verringern. Wir sind optimistisch, dass uns das gelingt, und wir gestärkt aus der Krise hervorgehen.

Wie ist die Stimmung in der Belegschaft, seit Sie den drastischen Personalabbau angekündigt haben?

Schlenkermann: Unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist klar, dass auch wir unter der schweren Krise leiden. Sie wissen, dass harte Maßnahmen ergriffen werden müssen, um Getrag nachhaltig zu sichern. Insofern wollen sie natürlich schnell wissen, wer von den Maßnahmen betroffen ist. Wir arbeiten deshalb so gründlich wie nötig und zügig wie möglich an den Entscheidungen.

Die IG Metall hat klare Bedingungen für die Verhandlungen formuliert: keine Entlassungen, keine Werksschließung, keine zusätzlich Eingriffe in den Tarif. Und der Sozialplan darf nicht schlechter ausgestattet sein, als der aus dem Jahr 2004. Wie laufen die Gespräche?

Schlenkermann: Die Gespräche haben in der vorletzten Woche begonnen. Sie sind sehr konstruktiv gestartet und laufen sehr zielorientiert. Wir haben den Eindruck, dass es auch der IG Metall um ein schnelles, aber wohl durchdachtes Ergebnis geht.

Die Sicherheit, die sich die Mitarbeiter mit dem Lohnverzicht vor drei Jahren erkauft haben, ist weg. Welche neue Perspektive können Sie Ihren Mitarbeitern bieten, wenn sie sich auf ein neues Sparpaket einlassen?

Schlenkermann: Keiner konnte vorhersehen, mit welcher Heftigkeit und Geschwindigkeit die Krise in der Automobilkrise um sich greift. Unsere Planungen waren auf einen aus damaliger Sicht realistischen Konjunkturverlauf ausgerichtet. Wir stehen nun vor einer grundlegend anderen Situation, sind aber sicher, dass Getrag nach der Restrukturierung gestärkt dastehen wird, denn wir haben die Technologien, die die Automobile der Zukunft brauchen werden. Die Perspektive ist also, nach der Restrukturierung in einem zukunftsfähigen Unternehmen zu arbeiten, das weiterhin der Hauptansprechpartner der Automobilindustrie für Getriebetechnologie ist.

Die Zeit drängt. Bis wann sollen die Verhandlungen mit der Gewerkschaft abgeschlossen sein?

Schlenkermann: Wir planen zu Beginn des nächsten Jahres, das Konzept mit der Gewerkschaft und dem Betriebsrat abschließend besprochen und verabschiedet zu haben.

Und bis wann soll die Umsetzung erfolgen?

Schlenkermann: Das Ziel ist, bis zum Beginn des zweiten Quartals die wesentlichen Punkte des Konzeptes umgesetzt zu haben.

Sie haben ja auch eine Unternehmensberatung im Haus. Welchen Druck üben die Banken in Sachen Kostenreduzierung auf Sie aus?

Schlenkermann: Wir sind im engen Dialog mit unseren Konsortialbanken und arbeiten gemeinsam mit unseren Beratern an Lösungen, die unsere Finanzierung auch weiterhin sichern.

Ihre Probleme haben in der Fachpresse für ziemliche Wellen gesorgt? Was sagen Ihre Kunden zur Situation?


Schlenkermann: Wir haben in den letzten Wochen sehr intensiv mit unseren Kunden über unsere tatsächliche Situation gesprochen. Das Bild, das in dem von Ihnen erwähnten Artikel in der Fachpresse gezeichnet wurde, war völlig überzogen und entbehrte jeder Grundlage. Unsere Kunden und Lieferanten haben das verstanden.

Zum Themenkomplex Chrysler: Sehen Sie eine Chance, dass in Tipton jemals Getriebe gebaut werden - vielleicht für einen neuen Hersteller? Oder bleibt das Werk eine Bauruine?

Schlenkermann: Wir glauben nicht, dass wir in dem fast fertig gestellten Werk in Tipton jemals Getriebe herstellen werden. Weder für Chrysler noch für einen anderen Hersteller.

Aktuell ist ihre US-Tochterfirma im Insolvenzverfahren und hat über 500 Millionen Dollar Schulden - unter anderem bei großen deutschen Zulieferern wie Conti oder Kuka. Was sagen die denn zur Situation der Getrag?

Schlenkermann: Der von Ihnen angesprochen Betrag ist die Summe aus unseren Forderungen und denen der Zulieferer. Wir stehen in sehr engem Kontakt mit unseren Lieferanten. Das plötzliche „Aus“ des Chrysler-Projekts kam für sie genauso überraschend wie für uns. Nicht zuletzt auch, um die Forderungen der Lieferanten gegenüber Chrysler erfolgreich durchsetzen zu können, hat unsere amerikanische Tochter Getrag LLC Gläubigerschutz nach Chapter 11 beantragt. Wir werden aber in allen anderen Konzerngesellschaften auch künftig weiterhin mit diesen Zulieferern zusammen arbeiten.

Glauben Sie wirklich, dass die Probleme nicht auf den Getrag-Konzern und damit nach Deutschland durchschlagen werden?

Schlenkermann: Das US-Projekt ist so konzipiert, dass die Risiken auf dieses abgestellt sind. Natürlich würde bei einer gerichtlichen Niederlage – von der wir nicht ausgehen – auch das von Getrag eingezahlte Kapital und sonstige Vorleistungen verlorengehen. Dies wird auch in diesem Jahr unsere Bilanz schon belasten.

Obwohl die großen US-Autobauer  - und damit auch Chrysler - wahrscheinlich eine Finanzspritze aus Washington bekommen, ist die zukünftige Struktur der dortigen Autoindustrie völlig unklar. Glauben Sie, dass Sie unter diesen Umständen ihre Forderungen gegen Chrysler durchsetzen können?

Schlenkermann: Wenn es zu einem Joint Venture mit einem der anderen großen Automobilhersteller kommt, ist dieses Unternehmen der Rechtsnachfolger von Chrysler und ist damit der Ansprechpartner, gegen den wir unsere Forderungen durchsetzen werden.

Und was ist, wenn Chrysler doch Pleite gehen sollte?

Schlenkermann: Das ist ein sehr unwahrscheinlicher Fall, denn wir glauben, dass man in den USA alles daran setzen wird, das zu verhindern. Es hängen zu viele Arbeitsplätze daran.

Welchen Zeithorizont halten Sie für realistisch, bis das Thema geklärt ist?

Schlenkermann: Die Prozesse haben gerade begonnen. Wir schätzen, dass es ein langwieriges Verfahren wird. Daher rechnen wir mit einem Zeithorizont von einem bis drei Jahren.

BMW hat im Oktober den erwarteten Serienauftrag für ein neues Doppelkupplungsgetriebe nicht erteilt. Gibt es weitere Hiobsbotschaften?

Schlenkermann: Im Moment sehen wir keine weiteren Botschaften dieser Art auf uns zukommen. Die Einbrüche auf dem Automobilmarkt ist die eigentliche Hiobsbotschaft.

Vom Kölner Teilkonzern Getrag Ford Transmissions ist jetzt plötzlich keine Rede mehr. Wie ist die Lage dort?

Schlenkermann: Unser Joint Venture mit Ford läuft nach wie vor sehr erfreulich. Natürlich sind auch hier die Umsätze wegen der Automobilkrise zurückgegangen, doch weniger dramatisch. Auf dem osteuropäischen Markt ist unser Joint Venture-Partner Ford sehr gut aufgestellt. Hier ist die Auswirkung der Krise noch nicht ganz so hart zu spüren.

Wie ist die Situation in Schweden. In Ihrem dortigen Werk haben Sie ja auch Probleme?

Schlenkermann: Natürlich ist auch Schweden von der Automobilkrise betroffen. Wir passen dort gerade die Kapazitäten an und erarbeiten eine neue Kostenstruktur. Die Situation dort ist ebenfalls von der ungewissen Zukunft der großen schwedischen Automobilbauer abhängig, die ja auch zu US-amerikanischen Herstellern gehören.

Wie sieht die Lage in Bari aus? Bis wann gilt dort noch Kurzarbeit Null?

Schlenkermann: Wir sind gerade dabei, Bari auf einen neuen Serienauftrag für Doppelkupplungsgetriebe umzurüsten. Das gilt sowohl für den Umbau des Werkes als auch für die Entwicklung der Getriebe zur Serienreife. Der Serienanlauf ist für Ende 2009 geplant und für ein weiteres Doppelkupplungsgetriebe Mitte 2010. Wir rechnen mit Volllast für Ende 2011.

Wie läuft das Mexiko-Projekt? Dort investieren Sie zurzeit ja auch eine halbe Milliarde Dollar in ein neues Werk, das Doppelkupplungsgetriebe für Ford produzieren soll? 

Schlenkermann: Die Investition in Mexiko läuft planmäßig, jedoch werden wir diesen neuen Standort zunächst nur als Montagestandort ausbauen. Dies reduziert die Investitionen deutlich auf rund 100 Mio. US-Dollar. Dieses Werk ist ein Schlüsselprojekt für die zukünftige technologische Ausrichtung von Getrag im nordamerikanischen Markt.

Wann wird dort die Produktion anlaufen?

Schlenkermann: Wir werden im Jahr 2010 den Serienanlauf haben und dann sehr schnell auf volle Kapazität kommen.

Und China? Auch dort gibt es im Automobilmarkt schließlich größere Turbulenzen. Hat das Auswirkungen auf Ihr Jointventure?

Schlenkermann: Unser Unternehmen, die Getrag (Jiangxi) Transmission Co. Ltd., mit ihren drei Standorten hat sich in den ersten Jahren der Geschäftstätigkeit hervorragend entwickelt. Neue europäische Technologie wurden eingeführt, neue Produkte auf den Markt gebracht und zwei neue Werke fast fertiggestellt. Natürlich spürt auch diese Gesellschaft die Reduzierungen auf dem chinesischen Automobilmarkt, aber hier handelt es sich lediglich um ein langsameres Wachstum und nicht um eine Marktreduzierung wie auf den übrigen Märkten der automobilen Welt.


Zur Person

Dieter Schlenkermann, 54, wohnt in Neuenstein, wo die Getrag ihren mit etwa 1000 Beschäftigten größten deutschen Standort betreibt. Er ist seit 1975 im Unternehmen, seit 1986 als Geschäftsführer. mfd

Internet: www.getrag.de


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