Wie R. Stahl den digitalen Zwilling zum Geschäftsmodell macht
Mit einer eigenen Plattform und einer strategischen Partnerschaft setzt der Explosionsschutzspezialist R. Stahl früh auf den bald verpflichtenden Digitalen Produktpass – und will nun anderen Firmen helfen.

Der faustgroße Sicherungsautomat, der vor Roland Dunker auf dem Tisch liegt, erinnert wahrlich nicht an einen Datenträger. Und doch, sagt der Leiter der digitalen Services von R. Stahl, handelt es sich bei dem Produkt um ein Medium, auf dem sich Informationen speichern lassen. Wie für jedes industrielle Erzeugnis weltweit gilt das für die Artikel des Explosionsspezialisten. „Ein Produkt ohne Daten ist wie ein Buch ohne Seiten“, sagt der Digitalchef.
Mithilfe der digitalen Erweiterung des kleinen gedruckten Typenschilds zum Beispiel durch einen QR-Code lassen sich alle relevanten Informationen zu einem Produkt bereitstellen: Betriebs- und Wartungsanleitungen, Lagerdaten und Zertifikate bis hin zu Recyclingdaten und dem Umweltfußabdruck. Ein digitaler Produktpass, kurz DDP. Der ist zentraler Bestandteil der EU-Ökodesign-Verordnung, die ab 2027 in Kraft tritt.
R. Stahl hat in den neuen EU-Vorgaben keine Bürokratiemonster gesehen
Der Digitale Produktpass soll die Kreislaufwirtschaft fördern, die Umweltbelastung durch nachhaltige Prozesse in der Produktion minimieren und letztlich die Effizienz der Unternehmen erhöhen. So entsteht ein digitaler Zwilling, ein virtuelles Abbild eines Produkts, das den gesamten Lebenszyklus begleitet – Daten, die entlang der gesamten Wertschöpfungskette ausgetauscht werden. Der Schlüssel zur Industrie der Zukunft.
R. Stahl hat sich früh mit dem Thema auseinandergesetzt und könnte nun davon profitieren. Ausgangspunkt war 2021, die Regularien und Vorgaben wollte der Explosionsschutzspezialist nicht als Bürokratiemonster abtun – und nur seine Pflicht erfüllen. „Wir haben darin eine Chance gesehen und überlegt, wie wir das Thema umwandeln und daraus einen Mehrwert für uns und unsere Kunden schaffen“, sagt Sezai Colak, der für neue digitale Services im Unternehmen zuständig ist.
Resonanz der Kunden auf die Idee der Waldenburger fällt sehr positiv aus
Der Anspruch, die digitale Transformation in der Industrie mitzugestalten, nahm schnell Formen an: Noch im ersten Jahr baute R. Stahl einen Demonstrator, um das Thema mit Kunden zu diskutieren und herauszufinden, ob eine Plattform für digitale Zwillinge hilfreich sein kann. Die Verantwortlichen hatten mit Zurückhaltung gerechnet, doch das Gegenteil trat ein. „Unsere Kunden haben uns widergespiegelt: Das ist so visionär und so hilfreich, setzt das unbedingt um“, erzählt Roland Dunker.
2022 startet die Umsetzung, Mitte 2024 ging das Portal für die eigenen Produkte live – just in dem Moment, als in Europa die ESPR-Verordnung über das Ökodesign nachhaltiger Produkte, die neue Anforderungen an Gestaltung, Herstellung und Lebenszyklusmanagement physischer Produkte in Kraft trat. Diese gilt für nahezu alle physischen Güter, die schrittweise ab 2026 einen digitalen Produktpass mit allen relevanten Daten verpflichtend brauchen.
Mit der Conplement AG hat R. Stahl einen strategischen Partner gefunden
Problem: „Die meisten mittelständischen Unternehmen haben gar nicht auf dem Schirm, was da auf sie zukommt“, sagt Colak. Entsprechend würden den Firmen die Ressourcen für den Aufbau einer eigenen Plattform fehlen. Und genau darin sehen die Waldenburger ein mögliches neues Geschäftsmodell. „Wir sind auf dem Gebiet weit vorne, haben eine Plattform, die für viele interessant sein könnte“, hatte Vorstandsvorsitzender Matthias Hallmann schon vor ein paar Monaten im Gespräch mit der Heilbronner Stimme gesagt.
Anfang des Jahres hat das Unternehmen eine strategische Partnerschaft mit der Conplement AG aus Nürnberg öffentlich gemacht. Ziel der Kooperation mit dem Digitalisierungs-Spezialisten war die gemeinsame Entwicklung, Implementierung und Vermarktung eines Software- und Beratungsportfolios rund um Digitale Zwillinge. Daraus ist inzwischen ein sogenanntes White-Label-Portal entstanden, das die Waldenburger mit Beginn der Messe für smarte Produktionslösungen am Dienstag in Nürnberg anderen Unternehmen anbieten.
Schnelle Lösung: White-Label-Portal von R. Stahl spart Firmen zwei Jahre Zeit
„Ziel war es, Unternehmen den Einstieg in die Verwaltung digitaler Zwillinge so einfach wie möglich zu machen“, sagt Roland Dunker. Mit dem White-Label-Portal biete man eine Lösung, die ohne eigene Entwicklungsressourcen genutzt werden könne, sagt der Digitalchef. „Unternehmen können sich zwei Jahre Entwicklungszeit sparen“, sagt Sezai Colak.
Bereits nach wenigen Minuten stehe mit der Lösung von R. Stahl die komplette Systemumgebung zur Verfügung – bei voller Kontrolle über Design, Struktur und Funktionen. Ergänzend bieten die Waldenburger Beratung und auch Schulungen an. „Wir wissen aus der Perspektive eines Betroffenen, was alles zu beachten ist und wie es geht“, sagt Roland Dunker.
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