Wirtschaft sorgt sich um Standort Deutschland
Unternehmer Baden-Württemberg kritisieren Untätigkeit der Politik. Bosch-Chef vermisst klares Bekenntnis zur Marktwirtschaft.

Er komme sich vor wie Bill Murray im Filmklassiker "Und täglich grüßt das Murmeltier", sagt Thomas Bürkle. Und damit trifft der Vizepräsident der Unternehmer Baden-Württemberg (UBW) am Dienstagabend in Stuttgart genau die Stimmung im Festsaal des Verbandes. Denn wie Bürkle haben auch die meisten der 280 Unternehmer beim Unternehmertag das Gefühl, dass sich ihre Klagen gegenüber der Politik permanent wiederholen. Zu hohe Steuern und Sozialabgaben, überbordende Bürokratie, zu hohe Energiekosten, zu lange Planungs- und Genehmigungsverfahren, Fachkräftemangel - diese Punkte werden seit vielen Monaten Richtung Landes- und vor allem Bundespolitik adressiert.
Bürkle: Zukunftshemmende Vollkasko-Mentalität
Doch es tut sich nach allgemeiner Einschätzung viel zu wenig. Stattdessen, konstatiert Bürkle, habe sich in Deutschland eine "zukunftshemmende Vollkasko-Mentalität" herausgebildet, die von der aktuellen Bundesregierung auch noch gefördert werde. "Es ist schlicht eine untragbare Entwicklung, wenn der Sozialstaat Jahr um Jahr mit höheren Raten wächst als die Wirtschaft insgesamt", sagt Bürkle. Mit einer Politik, die zu viel auf Umverteilung und zu wenig auf das Erwirtschaften setze, werde der Wirtschaftsstandort Deutschland keine Zukunft haben.
Hoffmeister-Kraut: Es ist Zeit zu handeln
Dieser Analyse stimmen die Vertreter aus Politik und Wirtschaft in der Podiumsdiskussion grundsätzlich zu. Konkrete Maßnahmen zu einer schnellen Verbesserung der Situation kündigen sie jedoch nicht an. Von einer "besorgniserregenden wirtschaftlichen Realität" spricht die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU), die den erkrankten Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) vertritt. Die Industrie im Land sei auf dem Niveau des Jahres 2014, der Standortwettbewerb so intensiv wie nie zuvor. "Es ist Zeit zu handeln", sagt Hoffmeister-Kraut. Vor allem die hohen Steuern stören die CDU-Politikerin. "Nur Belgien hat in Europa höhere Steuern als Deutschland." Und das Bürgergeld bezeichnet sie als Flop. "Der Sozialstaat muss aktivieren, nicht passivieren."
Bosch-Chef Hartung: Ist Marktwirtschaft noch angesagt?
Bosch-Chef Stefan Hartung stellt etwas ketzerisch die Frage, ob Marktwirtschaft eigentlich noch angesagt sei in diesem Land. "Das sollte man politisch mal klarstellen", fordert er. Der Staat müsse es den Unternehmern erlauben, Unternehmer zu sein - und Geld zu verdienen", sagt Hartung. Der Politik wirft er vor, zu viele Ziele gleichzeitig verfolgen zu wollen. "Das kann nicht funktionieren." Diskussionen seien richtig, aber die Politik müsse Prioritäten setzen und dann für klare Entscheidungen sorgen. Das passiere derzeit leider nicht. "Wir machen es uns gerade ziemlich schwer", sagt der Bosch-Chef.
Ricarda Lang: Klimaschutz und Sicherheit nur durch Wohlstand und Wachstum
FDP-Politikerin Linda Teuteberg und Grünen-Chefin Ricarda Lang sind sich einig, dass es ohne Marktwirtschaft und Wachstum nicht geht. Ob beim Klimaschutz oder beim Thema Sicherheit: "Wirtschaftspolitische Stärke ist immer Voraussetzung", betont Lang. Man müsse die Menschen bei diesen Themen mitnehmen, und das funktioniere nur mit Wohlstand und Wirtschaftswachstum, sagt Lang.
Ukraine braucht den baden-württembergischen Mittelstand beim Wiederaufbau
Einen Appell zur Hilfe beim Wiederaufbau der Ukraine richtet Rainer Lindner an die versammelten Unternehmer. Lindner ist Chef der mittelständischen Heine & Beisswenger Gruppe und Vorsitzender des Deutsch-Ukrainischen Forums. Er weist auf den gewaltigen Unterstützungsbedarf der Ukraine hin, wenn das Land nach einem Frieden mit Russland wieder aufgebaut werden muss. Das wurde zuletzt auch bei der Aufbaukonferenz für das vom Krieg geschundene Land in Berlin deutlich. Für die Mittelständler in Baden-Württemberg biete das riesige Chancen. Den Vorwurf, möglicherweise Kriegsgewinnler zu sein, weist Lindner klar zurück. Zum einen habe die Ukraine dringend um die deutsche Hilfe gebeten. Und: "Ich gehöre gerne zu denen, die der Ukraine helfen, diesen Krieg zu gewinnen."