Stimme+
90. Geburtstag
Hinzugefügt. Zur Merkliste Lesezeichen setzen

Reinhold Würth im Interview: „Als wir angefangen haben, waren wir zu dritt“

   | 
Lesezeit  8 Min
Erfolgreich kopiert!

Im Interview zum 90. Geburtstag spricht Reinhold Würth über seinen früh verstorbenen Vater, seine Anfänge als Unternehmer, sein Lebenswerk – und auch die Familie, sein Leben und den Tod.


Externer Inhalt

Dieser externe Inhalt wird von einem Drittanbieter bereit gestellt. Aufgrund einer möglichen Datenübermittlung wird dieser Inhalt nicht dargestellt. Mehr Informationen finden Sie hierzu in der Datenschutzerklärung.

Herr Professor Würth, Sie werden in wenigen Tagen 90 – was löst diese Zahl in Ihnen aus?

Reinhold Würth: Gar nichts. Ich merke bloß, dass die Leute um mich herum alle älter werden. Ich bin sehr dankbar, dass es mir eigentlich gut geht. Ich weiß nicht, was Schmerzen sind. Ich war gestern eine Dreiviertelstunde im Wald spazieren, bin danach eine halbe Stunde geschwommen.

Sie feiern Ihren Geburtstag, der auf Ostersonntag fällt, im Familienkreis. Halten Sie eine Ihrer berühmten, mitunter berüchtigten Ansprachen wie bei anderen Familienfesten?

Würth: Ach, wissen Sie, im Familienkreis gibt es kein Programm. Das wird sich ergeben. Wichtig ist, dass die Familie erfreulicherweise sehr angenehm miteinander auskommt.

Sie erinnern Ihre Nachkommen bei Zusammenkünften hin und wieder daran, immer bescheiden zu bleiben. Wie ist Ihnen das trotz des Erfolgs in all der Zeit selbst gelungen?

Würth: Für mich ist das sehr einfach, weil ich aus ganz einfachen Verhältnissen stamme. Ich bin so aufgewachsen und wollte diesen Stil beibehalten. Mir war es immer zuwider, wenn Menschen sich wie die Pfauen aufführen, weil sie vielleicht einen helleren Kopf oder auch mehr Geld haben.


Dabei haben Sie Großes vollbracht, haben aus einer überschaubaren Schraubenhandlung einen Weltkonzern geformt.

Würth: Als ich angefangen habe, hatte der Betrieb von meinem Vater ein Eigenkapital von vielleicht 10.000 D-Mark. Heute haben wir 9,2 Milliarden Euro Eigenkapital. Das ist ein netter Unterschied. Aber ich mache da nichts draus, lebe ein ganz normales Leben mit meiner lieben Frau. Wir haben Mittagessen und Abendessen, wie jeder meiner Mitarbeiter auch. Abends esse ich einen Joghurt, Brezel und ein Stück Obst – fertig.

Ist diese Bescheidenheit vielleicht auch ein Stück weit Ihr Erfolgsgeheimnis?

Würth: Nicht nur die Bescheidenheit, auch die gepflegte Unternehmenskultur hat einen Anteil am Erfolg. Ich habe immer wieder erlebt: Es gibt Menschen, die sind Führungstechniker, haben aber von Unternehmenskultur keine Ahnung. Meiner Erfahrung nach ist die Pflege der Unternehmenskultur wichtiger, wie das geschliffene Zahlenwerk von Führungstechnikern.

Hätten Sie sich damals je vorstellen können, dass die Würth-Gruppe einmal so groß wird?

Würth: So weit habe ich nicht gedacht. Als wir angefangen haben, waren wir zu dritt. Dass es einmal 88.000 Mitarbeiter sind, habe ich mir nicht ausdenken können damals. Mein Ansatz war immer, zehn Jahre in die Zukunft zu planen und dafür Planbilanzen aufzustellen. Dabei habe ich immer den Grundsatz meines Vaters befolgt: Wachstum ohne Gewinn ist tödlich. Wir haben dafür gesorgt, dass es in der ganzen Zeit nicht ein einziges Verlustjahr gab, auch jetzt nicht. So sind mit der Zeit über neun Milliarden Euro Eigenkapital daraus geworden.

Wirtschaftskrisen hat Reinhold Würth in seinen 75 Arbeitsjahren einige erlebt. Den aufziehenden Handelskrieg macht ihm keine große Sorge. "Am Ende wird die Vernunft schon siegen", sagt er.
Wirtschaftskrisen hat Reinhold Würth in seinen 75 Arbeitsjahren einige erlebt. Den aufziehenden Handelskrieg macht ihm keine große Sorge. "Am Ende wird die Vernunft schon siegen", sagt er.  Foto: Berger, Mario

Mit den immer größer gewordenen Zahlen ist auch die Verantwortung gestiegen. Dem muss ein Unternehmer gewachsen sein – wie sind Sie da mitgewachsen?

Würth: Ich habe in der Tat schlaflose Nächte gehabt, mehr als eine. Das Unternehmen hat auch in die Familie hineingestrahlt. Meine Kinder und meine Frau mussten viel Rücksicht nehmen, ich war vor allem anfangs sehr viel unterwegs. Ich habe mein Leben diesem Unternehmen geopfert. Obwohl es kein Opfer war, sondern Spaß. Sie können das nur durchhalten, wenn es tatsächlich Freude macht, wenn Sie Spaß haben am Erfolg.

Apropos schlaflose Nächte: Wir leben in einer Zeit der Multikrisen. US-Präsident Donald Trump beschwört mit seinen Zöllen einen Handelskrieg herauf. Mit der Erfahrung aus 75 Berufsjahren als Unternehmer, der viele Krisen erlebt hat: Wie gehen Sie damit um?

Würth: Der Handelskrieg macht mir keine große Sorge. Das regelt sich wieder. Innerhalb von zwei Jahren, schätze ich, wird auch Herr Trump spätestens merken, was er da angerichtet hat. Sofern sich bis dahin nichts an den Zöllen ändert, wird in den USA eine solche Unzufriedenheit aufkommen, dass die Demokraten bei den Midterm-Wahlen schöne Zuwächse haben werden.

Die Sorge vor den kurzfristigen Auswirkungen auf die Wirtschaft sind aber groß.

Würth: Das wird schon Arbeitsplätze kosten, das sehe ich schon. Auch in Amerika. Aber wirtschaftlich rüttelt sich das wieder ein. Am Ende wird die Vernunft schon siegen.

Gehen Sie davon aus, dass die Würth-Gruppe trotzdem ihren Wachstumskurs fortsetzen kann?

Würth: Wir befinden uns in schwierigen Zeiten, keine Frage. Ich habe in meinen 75 Berufsjahren zwei große Krisen miterlebt: die Benzinkrise, in der Autofahren am Wochenende verboten war. Und die Finanzkrise 2008. Wir sind mit Bedacht wohlbehalten durch diese beiden Krisen hindurchgekommen. Wir lassen uns nicht verrückt machen. Es hat sich gezeigt, dass nach jeder Krise ein Aufschwung kommt. Das wird auch dieses Mal so sein.

„Einer musste es halt machen. Ich wurde auch gar nicht gefragt.“

Reinhold Würth

Wenn Ihr Vater sehen könnte, was Sie aus seiner Schraubenhandlung gemacht haben: Wie würde er heute reagieren?

Würth: Ich glaube, er würde schon schmunzeln und sagen: Das hat der Kerle gar nicht so schlecht gemacht.

Was für die Verhältnisse Ihres Vaters ein großes Lob gewesen wäre.

Würth: Ja. Für meinen Vater galt das schwäbische Motto: Nichts g‘sagt, ist genug g‘lobt. Er hat mich schon mit 16 zum Verkaufen geschickt – Richtung Köln und Düsseldorf und ich war dann 14 Tage unterwegs. Als ich nach Hause kam mit einem ganz netten Päckchen von Aufträgen, hat er es durchgeschaut und gesagt: Ist schon recht. Jahre später habe ich von meiner Mutter erfahren, dass er schmunzelnd in die Küche kam und ihr sagte: Das war gar nicht so schlecht, was der Lausbub gemacht hat. Aber mir wollte und konnte er das nicht sagen.

Hätten Sie das gerne von ihm selber gehört, hat Ihnen das gefehlt?

Würth: Natürlich. Aber ich kannte meinen Vater ja gut. Ich glaube, er war auch ein Auslöser für meinen Führungsstil. Ich habe mir angewöhnt, viel Anerkennung auszusprechen – schriftlich, persönlich, telefonisch. Aber nicht nur Danke zu sagen oder meinen Respekt zum Ausdruck zu bringen, sondern auch mal einen Sonderbonus auszuschütten. Oder den besonders begabten, engagierten Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, aufzusteigen und Karriere zu machen.

Sie haben von Ihren Anfängen als 16-Jähriger erzählt. Keine drei Jahre später waren Sie nach dem frühen Tod Ihres Vaters plötzlich Chef. Wurden Sie ernst genommen?

Würth: Da gab es keinen großen Unterschied. Einer musste es halt machen. Ich wurde auch gar nicht gefragt. Ich war plötzlich der Ernährer der Familie: Es gab meine Mutter, meinen Bruder, der zehn Jahre jünger ist: Wir brauchten was zu essen. Also musste das Unternehmen einen kleinen Gewinn abliefern, dass wir Marmelade kaufen konnten.

War es von Vorteil, dass Ihr Vater Sie sehr früh ins Unternehmen eingebunden hat?

Würth: Ja. Es war ein Geniestreich meines Vaters, dass er mich nach Ableistung der Schulpflicht nach acht Jahren von der Realschule genommen hat. Ich hätte noch zwei Jahre machen müssen bis zur mittleren Reife. Er sagte aber: ‚Du kommst in den Betrieb und machst eine Lehre. Du brauchst nicht auf der Schulbank rumrutschen und nichts tun.'

Früh nahm Firmengründer Adolf Würth (links) seinen Sohn von der Schule. Ein Geniestreich, findet der im Nachhinein. Bis zum frühen Tod des Vaters im Jahr 1954 profitierte der Sohn im Betrieb noch fünf Jahre von dessen Wissen.
Früh nahm Firmengründer Adolf Würth (links) seinen Sohn von der Schule. Ein Geniestreich, findet der im Nachhinein. Bis zum frühen Tod des Vaters im Jahr 1954 profitierte der Sohn im Betrieb noch fünf Jahre von dessen Wissen.  Foto: Firmenfoto Würth zur Verwendung

Im Nachhinein eine weitsichtige Entscheidung Ihres Vaters.

Würth: Ich vermute, dass er schon eine Ahnung hatte, dass ihm eine kurze Lebenszeit bemessen ist. Er hatte einen Herzfehler, war deswegen auch kein Soldat. 1954 ist er an einem Herzinfarkt gestorben. Aber ich hatte das Glück, bei ihm drei Jahre die Lehre zu machen, noch zwei Jahre mit ihm zusammen zu arbeiten, sodass ich fünf Jahre von seinem Wissen profitieren konnte.

Hat Ihr Vater Ihnen in der Zeit auch verraten, welche Pläne er für das Unternehmen hatte?

Würth: Auslöser für die Gründung des Betriebs war meine Mutter, die hat ihn gedrängt, sich selbstständig zu machen. Ich glaube nicht, dass mein Vater an 88.000 Mitarbeiter gedacht hat, das sicher nicht.

Gab es später Situationen, in denen Sie ihn gerne um Rat gefragt hätten?

Würth: Es wäre für mich schon schön gewesen, wenn ich ihn als Berater im Hintergrund gehabt hätte. So wie meine Enkel Benjamin und Sebastian mich. Benjamin hat meine Position übernommen, wir haben so ein schönes Verhältnis, wir können viele Dinge miteinander besprechen. Und ich weiß, dass Benjamin gerne hört, was ich sage.

Inwiefern konnten Sie auf Ihre Mutter zurückgreifen, wenn es ums Geschäft ging?

Würth: Meine Mutter musste anfangs die Verträge für mich unterschreiben, ich war ja noch nicht volljährig. Sie hat dann noch einige Jahre im Betrieb mitgearbeitet, im Lager und im Büro. Sie war eine durchsetzungsfähige Frau. Bei uns in der Familie gibt es zwei Richtungen: die einen kommen nach Alma, meiner Mutter. Die anderen nach Adolf, meinem Vater. Die einen sind strikt und durchsetzungsfähig, die anderen zurückhaltend und introvertiert.

„Das ist dann mit meiner Frau ein großes Hurra. Da machen wir dann spontan kleine Ausflüge.“

Reinhold Würth

Zu welcher Sorte gehören Sie?

Würth: Ich gehöre schon zu den Alma-Tieren (lacht).

So gesehen hatte Ihre Mutter großen Anteil am Erfolg des Unternehmens. Und doch ist meistens von den Männern die Rede, wenn es um Würth geht. Wird der Rolle der Frau in der Entwicklung des Unternehmens vielleicht zu wenig gedacht?

Würth: Das will ich nicht sagen. Bettina, meine Tochter, war Jahrzehnte im Führungskreis des Unternehmens. Sie ist jetzt in Pension gegangen, hat aber noch verschiedene Aufsichtsratspositionen inne. Sie war schwer aktiv und hat ein hohes Ansehen im Konzern. Ihre Tochter Maria, meine Enkelin, ist als Geschäftsbereichsleiterin für den ganzen Bereich Kunst zuständig. Das ist sehr verantwortungsvoll, auf Maria bin ich besonders stolz.

Sie haben das Unternehmen Ende des Jahres offiziell übergeben. Fällt es Ihnen schwer loszulassen?

Würth: Ach, ich glaube nicht. Ich freue mich schon, wenn ich einen ganzen Tag habe, einen Werktag, der blank ist, wo nicht ein Termin drinsteht. Das ist dann mit meiner Frau ein großes Hurra. Da machen wir dann spontan kleine Ausflüge.

Aber ganz Loslassen geht auch nicht?

Würth: Wenn Sie das 75 Jahre gemacht haben, erwartet das auch niemand. Weder im Betrieb noch in der Familie. Aber ich halte mich sehr zurück.

Wie schlägt sich denn die neue Generation so?

Würth: Sehr gut. Benjamin und Sebastian sind helle Köpfe, geprägt natürlich durch die Familie. Die haben 30, 40 Jahre nichts anderes gehört als indirekte oder direkte Gespräche über das Unternehmen. Und Benjamin hat selber über 25 Jahre Betriebszugehörigkeit auf dem Buckel, den habe ich bewusst ganz unten anfangen lassen. Als Verkäufer ist der in Indien während des Monsunregens auf dem Rücksitz eines Motorrads mitgefahren. Er hat – wie man so sagt – richtig Dreck gefressen, ist dann aufgestiegen und findet auch Anerkennung im Unternehmen.

Mit Blick auf die weltpolitische Lage ist Reinhold Würth in Sorge. Er selbst hat als Kind das Leid und die Zerstörung des Zweiten Weltkriegs erlebt. "Es hat mich mein ganzes Leben begleitet", sagt er.
Mit Blick auf die weltpolitische Lage ist Reinhold Würth in Sorge. Er selbst hat als Kind das Leid und die Zerstörung des Zweiten Weltkriegs erlebt. "Es hat mich mein ganzes Leben begleitet", sagt er.  Foto: Berger, Mario

Welche Wünsche haben Sie noch?

Würth: Meine Wünsche gehen in Richtung Familie. Ich habe fünf Urenkel, denen wünsche ich von ganzem Herzen Frieden auf der Welt.

Haben Sie aktuell Sorge, dass es anders kommen könnte?

Würth: Was mir Sorgen macht, ist die weltpolitische Lage. Wenn man die Entwicklung betrachtet, läuft alles auf den nächsten Weltkrieg zu. Herr Trump lässt sich ja von Putin wie ein Bär auf dem Jahrmarkt an der Nase herumführen. Darum hat er Russland auch bei seinen Zöllen ausgenommen.

Sie haben die Ausläufer des Zweiten Weltkriegs noch erlebt…

Würth: Ich bin 1935 geboren, als Kinder haben wir in den zehn Jahren bis zum Ende des Kriegs die Hitler-Diktatur nicht so sehr mitbekommen. Allerdings die Zerstörung schon, ich habe zwei Tage nach dem Angriff auf Heilbronn gesehen, was da angerichtet wurde. Es hat mich mein ganzes Leben begleitet. Danach habe ich die Entwicklung der Bundesrepublik miterlebt, es war ein unglaubliches Jahrhundert, mit jetzt 80 Jahren Frieden.

Wie blicken Sie mit fast 90 auf Ihr Leben zurück?

Würth: Für mich persönlich mit großer Dankbarkeit. Ich fühle mich wohl, hinterlasse geordnete Verhältnisse. Alles ist sauber geregelt, alle wissen Bescheid, wie es werden wird. Mehr kann ich nicht tun. Bleibt nur ein Fragezeichen: beim Tod.

Beschäftigt Sie das Thema sehr?

Würth: Eigentlich nicht. Dass mein Leben dem Ende zugeht, ist klar.

Ihr Vater ist früh gestorben, haben Sie sich mit dem Tod früh auseinandergesetzt?

Würth: Das war damals natürlich ein Schock. Aber ehrlich gesagt hatte ich gar nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, weil ich damit beschäftigt war, das Unternehmen am Leben zu halten und voranzubringen.

Haben Sie Angst vor dem Tod?

Würth: Eigentlich nicht, warum auch? Das ist Milliarden Menschen vor mir passiert und wird Milliarden nach mir passieren. Aber wenn ich es mir wünschen dürfte: ein schnelles Ende. Aber das muss ich wohl dem lieben Gott überlassen.

Zur Person

Reinhold Würth ist mit 14 Jahren ins Unternehmen seines Vaters eingestiegen, hat es nach dem frühen Tod von Adolf Würth 1954 übernommen und seither zum größten Händler von Schrauben und Befestigungsmaterial weltweit aufgebaut. 2024 feierte Reinhold Würth sein 75. Arbeitsjubiläum, die Festrede hielt Bundeskanzler Olaf Scholz. Inzwischen hat Reinhold Würth die Geschäfte an die nächste Generation abgegeben, ist aber Ehrenvorsitzender des Stiftungsaufsichtsbeirats der Würth-Gruppe. Am Ostersonntag wird er 90 Jahre alt.

Kommentar hinzufügen

Kommentare

Neueste zuerst | Älteste zuerst | Beste Bewertung
Keine Kommentare gefunden
Nach oben  Nach oben