Experte: Der Digital Services Act ist ein neues Grundgesetz für das Internet in der EU
Ab Samstag gilt der Digital Services Act (DSA) vollständig in der EU. Er verpflichtet Apple, Google, Amazon und Co. zu mehr Transparenz, verschafft Nutzern mehr Rechte und soll Hass und Hetze bekämpfen. Der Internetforscher Matthias Kettemann erklärt, was sich durch das Gesetz ändert.

Ab Samstag (17.02.) gilt das Digitale-Dienste-Gesetz (kurz DSA) in der EU vollständig. Während die EU-Kommission über Apple, Google und alle Dienste mit mehr als 45 Millionen Nutzern wacht, sind die EU-Länder für kleinere Firmen zuständig. Der DSA spricht Nutzern mehr Rechte zu und verpflichtet digitale Dienstleister zu mehr Transparenz. Der Internetforscher Matthias Kettemann erklärt, wie sich das auswirkt.
Der DSA ist ab Samstag vollständig in Kraft. Wird man das merken?
Matthias Kettemann: Nutzer werden davon wohl erst mal nichts merken. Für große Plattformen gilt der DSA schon seit Sommer des vergangenen Jahres. Alle, die sich nun dran halten müssen, haben das längst vorbereitet. Wenige schwarze Schafe, wie Elon Musk mit seiner Plattform X, werden sich nicht daran halten. Dort wird die EU-Kommission einschreiten müssen, ein Verfahren läuft bereits. Der DSA ist aber nicht zu unterschätzen: Gemeinsam mit dem Digitale-Märkte-Gesetz ist er ein neues Grundgesetz für das Internet in der EU.
Eine Neuerung: Apple muss seinen App Store für fremde Anbieter öffnen, macht das nun aber nur in der EU. Hat der DSA keine Signalwirkung?
Kettemann: Ich glaube schon. Wir haben das bei der Datenschutzgrundverordnung gesehen. Damals haben die Plattformen ihre Systeme zuerst für Europa nachgerüstet. Dann haben sie gemerkt, dass das ein Wettbewerbsvorteil und ethisch besser ist und die Regeln weltweit eingeführt. Dasselbe wird mit dem DSA passieren: Mehr Rechte für Nutzer, Informationen wenn gelöscht wird, mehr Wissen über Empfehlungsalgorithmen und den Kampf gegen Desinformation - wir brauchen das. Auch die Amerikaner wollen das, aber sie bekommen es nicht hin, weil der Kongress blockiert. Die EU ist einfach schneller gewesen und hat mehr Rechtsschutz geschaffen.
Die EU-Kommission hat für einige Plattformen selbst festgelegt, dass sie mehr als 45 Millionen Nutzer haben und damit unter den DSA fallen. Warum?
Kettemann: Das ist auch nicht so einfach. Was sind Nutzer? Normalerweise wollen die Plattformen immer, dass die Nutzerzahlen hoch sind. Jetzt werden sie heruntergespielt, um den DSA zu umgehen. Das ist eine eher technische Frage. Die Kommission will natürlich, dass möglichst viele Plattformen streng reguliert werden. Und die Konzerne, die sich gewehrt haben, wollen zeigen: Wir lassen nicht alles mit uns machen.
Auf der Liste großer Dienste fehlt OpenAI mit ChatGPT. Warum?
Kettemann: OpenAI gehört zu den digitalen Diensten. Die spannenderen Regelungen finden sich da aber in der KI-Verordnung, die noch nicht verabschiedet ist.
Was müssen speziell die großen Plattformen jetzt anders machen?
Kettemann: Der DSA macht ziemlich coole Vorgaben zur Risikoabschätzung. Die großen Plattformen müssen konkret abschätzen, welche Wirkungen ihre Empfehlungssysteme und ihre Medien auf demokratische Prozesse und die öffentliche Gesundheit haben. Das war noch nie unter Aufsicht.
Die Kommission geht gegen X und Tiktok vor, aber die Verfahren dauern Monate, wenn nicht Jahre. Wie "bissig" wird der DSA durchgesetzt?
Kettemann: Bisher hat die Kommission eine Beißhemmung. Wir werden aber bald mehr solcher Verfahren sehen und das wird einen positiven Effekt haben. Aber wir dürfen das Recht auch nicht überschätzen. Wichtig ist, dass es zu einem Kulturwandel bei den Plattformen kommt. Sie müssen sich als Teil eines großen Ökosystems verstehen und ihre Regeln anpassen. Das dauert. Wir haben ja auch viel zu spät begonnen. Viele Plattformen gibt es seit den 2000ern, jetzt haben wir 2024. Wir haben also ein Vierteljahrhundert lang verschlafen, sie zu regulieren. Und wir haben gesehen, dass es der Markt nicht kann. Jetzt schauen wir, ob der Staat es schafft. Ich bin da guter Hoffnung.
Elon Musk wollte sich wegen des DSA aus der EU zurückziehen. Alles Bluff oder werden Dienste verschwinden?
Kettemann: Ich persönlich halte es für extrem unwahrscheinlich, dass das passiert. Musk will immer noch Geld verdienen. Europa ist ein sehr wichtiger Markt, die Nutzer haben viel Geld. Und es gibt den Vorteil, dass die Regulierung einheitlich ist. In Afrika zum Beispiel hat jedes Land seine eigenen Regeln.
Was bezweckt Musk dann?
Kettemann: Er will sich aufspielen und zeigen, dass er sich um Gesetze nicht schert. Empirisch gesehen trifft er aber einfach falsche Entscheidungen. Seine Plattform wird objektiv schlechter. Deshalb ziehen sich viele Unternehmen von dort zurück. Die Kommission geht sehr bewusst gegen X, vormals Twitter, vor. Auch für Twitter gilt europäisches Recht. Aber wenn es bewusst gebrochen wird, wie von Musk, dauert es eine Zeit, bis das korrigiert wird.
Und wenn er sich trotzdem querstellt?
Kettemann: Denken Sie an Telegram. Die ließen sich lange Zeit nicht von deutschen Behörden kontaktieren. Erst als die Justizministerin einen cleveren Umweg genommen hat und Apple und Google gesagt hat, sie sollen Telegram aus den App Stores werfen, passierte etwas. Rechtsstaatlich kann man das schwer deuten, was der Staat da gemacht hat. Er hat halt gehandelt, außerhalb der klassischen Rechtsmittel. Wir sind mit dem Internet momentan in einer ganz spannenden Phase, in der wir neue Wege sehen, wie Staaten aktiv werden.
Die Bundesregierung hat noch keine Behörde für den DSA beauftragt. Die Bundesnetzagentur ist dafür vorgesehen, aber das Gesetz noch in Arbeit. Ein Problem?
Kettemann: Die Abstimmung zwischen Bund und Ländern hat gedauert, weil Kompetenzfragen geklärt werden mussten. Neben der Bundesnetzagentur sollen die Landesmedienanstalten und die Datenschutzbehörden zuständig sein. Außerdem musste man bei der Bundesnetzagentur eine eigene Einheit aufbauen, denn die DSA-Koordinatoren müssen unabhängig sein. Man hätte das alles früher machen können, aber im Gegensatz zu anderen Ländern ist Deutschland gut dabei.

Es soll sogenannte vertrauenswürdige Hinweisgeber geben. Wenn sie strafbare Inhalte melden, sollen diese Meldungen bevorzugt bearbeitet werden. Wer kommt dafür infrage?
Kettemann: Dazu sind die NGOs aus den jeweiligen Bereichen prädestiniert. Für Algorithmen wäre das Algorithm Watch, für Hass und Hetze Hate Aid, für Rassismus die Amadeu Antonio Stiftung. Was noch ein bisschen unklar ist, ist, welche Rolle die Wissenschaft hier spielen kann. Sie hat durch den DSA jetzt einen gewissen Zugang zu Daten der Plattformen und wird zu diesen Themen besser forschen können.
Zur Person
Matthias C. Kettemann ist Professor für Innovation, Theorie und Philosophie des Rechts an der Universität Innsbruck. Am Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft in Berlin leitet er unter anderem die Forschungsgruppe "Globaler Konstitutionalismus und das Internet" sowie das Forschungsprojekt "Völkerrecht des Netzes". Zuvor lehrte er in Frankfurt, Heidelberg und Jena.