Franziska Brantner: "Wir brauchen in der Krise eigene Stärke"
Die Grünen-Politikerin Franziska Brantner ist Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Sie sagt: „Wir arbeiten jeden Tag daran, dass wir weniger abhängig von Kohle, Öl und Gas aus Russland werden.“

Frau Brantner, wir befinden uns in der fünften Woche, in der Russland Krieg gegen die Ukraine führt. Wenn Sie heute auf diesen Konflikt in Europa schauen: Was bewegt Sie besonders?
Franziska Brantner: Jeden Tag bewegt mich die Frage, wie wir diesen Krieg beenden und welchen Beitrag wir dazu leisten können. Dass ein europäisches Land ein Nachbarland angreift, bleibt unerträglich. Zivilisten stehen unter Beschuss, Millionen sind auf der Flucht vor den unerbittlichen Angriffen. Mich bewegen auch die vielen Einzelschicksale derjenigen, die zu uns kommen. Kinder, die so alt sind wie meine Tochter, berichteten mir davon, wie ihre Großmutter getötet wurde. Das berührt mich zutiefst, das darf uns alle nicht kalt lassen.
Kann Europa gestärkt aus dieser Krise herausgehen?
Brantner: Das hoffe ich sehr. Europa ist das größte Friedensprojekt, das wir je hatten. Trotz aller Fehler, die das Gebilde EU noch hat, konnte es uns bisher ein Leben in Frieden und Freiheit sichern. Es ist also unabdingbar, dass wir dieses Haus des Friedens gegen jede Form von Aggression schützen. Ich habe immer für mich selbst gewusst, wie wichtig die EU als Garant friedlichen Zusammenlebens ist. Dass wir nun in Europa Zeuge eines Krieges werden, nur wenige hundert Kilometer von der deutsch-polnischen Grenze entfernt, hätte ich so nicht für möglich gehalten. Der Erhalt des Friedens hat aber seinen Preis.
Einen hohen Preis zahlen wir beispielsweise für unsere Abhängigkeit von Putins Gas.
Brantner: Richtig, und deshalb arbeiten wir jeden Tag daran, dass wir weniger abhängig von Kohle, Öl und Gas aus Russland werden. Und wie gut wir das schaffen, hängt auch davon ab, ob wir beim Energiesparen, bei der Energieeffizienz, beim Ausbau der Erneuerbaren und bei der Diversifizierung von Erdgasquellen schnell vorankommen. Deshalb war auch die Reise von Robert Habeck nach Katar und in die Vereinigten Arabischen Emirate richtig. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat auch die Frage der Energiesicherheit in das Zentrum der internationalen Diskussion gerückt. Wir müssen mehr denn je für eine Energiewende hier und global werben. Einerseits brauchen wir kurzfristig und vorübergehend mehr Flüssigerdgas und wollen dies an eigenen Terminals anlanden. Anderseits müssen wir die künftige Umstellung von konventionellem Erdgas auf grünen Wasserstoff jetzt noch schneller auf den Weg bringen.
Mit Blick auf die Menschenrechtslage in Katar waren die Gespräche nicht unumstritten.
Brantner: Robert Habeck hat in Katar die dortige Menschenrechtssituation angesprochen. Aber zwischen einem nicht demokratischen Staat, bei dem die Situation der Menschenrechte sehr problematisch ist, und einem autoritären Staat, der einen aggressiven, völkerrechtswidrigen Krieg mitten in Europa führt, gibt es noch mal einen Unterschied. Der Minister betont zurecht: Wir können nicht alle Länder von Lieferungen ausschließen. Wir dürfen es nicht mehr zulassen, dass sich eine Abhängigkeit auf ein Land bezieht. Diversifizieren bedeutet, Ex- und Importe auf mehrere Schultern zu verteilen. Natürlich gehören diese vorzugsweise demokratischen Partnern. Deswegen sprechen wir auch mit anderen Partnern wie Norwegen, um mehr Flüssiggas nach Deutschland zu bekommen.
Ein sofortiges totales fossiles Energieembargo gegen Russland hätte hierzulande massive Folgen, ökonomisch und soziale?
Brantner: Wir kämen zwar gut durch bis zum Sommer, aber im Winter müssten wir mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit mit Versorgungsengpässen rechnen. Das wirkt sich auf die Industrie, auf Lieferketten und Arbeitsplätze aus. Es bestünde die große Gefahr, dass wir erheblich geschwächt würden, aber wir brauchen in dieser Krise auch eines: eigene Stärke.
War der Bau von Nord Stream II der größte Fehler der letzten Jahre?
Brantner: Ich war immer gegen das Projekt, aus sicherheits- und geopolitischen Gründen. Meiner Meinung nach war Nord Stream II ein großer Fehler, weil die Planung der Pipeline auf der falschen Annahme beruhte, dass Energie nicht politisch sei. Nun sehen wir, dass uns diese Abhängigkeit, in die sich Deutschland fahrlässig begeben hat, einen hohen Preis abverlangt. Sie kostet uns Handlungsspielräume, die wir gerne in dieser Krisensituation hätten. Wir verfolgen nun einen Ausstiegsplan. Bis Jahresende wollen wir allerspätestens aus russischer Kohle und Öl raus sein. Und jeder Tag, den wir das schneller schaffen, ist ein guter Tag, weil wir dann Putin weniger zahlen. Ein weiterer Fehler der vergangenen Jahre war, dass wir die wirklich eindringlichen Warnungen und Bitten unserer osteuropäischen, baltischen, skandinavischen Partner nicht ernst genommen haben. Das ist eigentlich unverzeihlich. Weiteres Versäumnis war der mangelhafte Ausbau der Erneuerbaren und der Energieeffizienz.
Heißt, die deutsche Politik hat zu lange auf der Bremse gestanden beim Ausbau der Erneuerbaren?
Brantner: Ja, leider, das erhöht nun den Druck auf uns selbst. Mehr noch, es wurde zuweilen der Rückwärtsgang eingelegt, die deutsche Solarindustrie beispielsweise wurde viel zu wenig unterstützt. Insgesamt wurde Innovationsfreude unzureichend belohnt. Ich merke jedenfalls, welchen Unterschied wir machen und dass es gut ist, dass wir Grünen in Regierungsverantwortung nun dafür sorgen können, dass Deutschland endlich schneller vorankommt beim Ausbau der Erneuerbaren und der Energieeffizienz. Klar ist: Echte Energiewende und ein Höchstmaß an Unabhängigkeit dienen der Krisenprävention.
Viele blicken mit Sorge auf die nächsten Strom- und Gasrechnungen, die Preise an den Tankstellen sind explodiert...
Brantner: Wir werden die Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen in diesen schweren Zeiten zielgerichtet entlasten, bei Heizkosten und der Mobilität. Das ist für mich jetzt das A und O, dass wir Entlastungen schaffen und diese sozial ausgestalten, damit sie bei denen ankommen, die sie wirklich brauchen. Auch wollen wir jenen Unternehmen Hilfen anbieten, die von den Energiepreisen besonders betroffen sind. Dass die Preise für Gas derzeit allerdings so hoch sind, hat nicht nur mit der Liefer- und Preispolitik Russlands in den vergangenen Monaten sowie dem Krieg zu tun, sondern es ist auch viel Spekulation im Markt zu beobachten. Außerdem hat das Kartellamt auch den Auftrag hier zu prüfen.
Kommt im Bewusstsein der Menschen mehr denn je an, dass Klimapolitik ein Querschnittsthema ist, das alle Ressorts und Lebensbereiche betrifft?
Brantner: Mein Eindruck ist, dass viele erkennen, dass die fossile Energieabhängigkeit ein rasches Ende finden muss. Wir sprechen auch mehr über Innovationen bei der Dekarbonisierung oder über Ressourcen schonende Verfahren und Recycling. Wenn man sieht, dass wir in Europa fast über 90 Prozent der Rohstoffe nicht wiederverwerten, dann dominiert die Wegwerfgesellschaft noch über die Kreislaufwirtschaft. Auch hier müssen wir deutlich besser werden.
Zur Person
Franziska Brantner wurde 1979 im südbadischen Lörrach geboren und wuchs in Neuenburg am Rhein auf. Ihr Abitur absolvierte sie am deutsch-französischen Gymnasium in Freiburg. Ihre Erfahrungen im Dreiländer-Eck hätten sie frühzeitig zu einer überzeugten Europäerin gemacht, sagt sie. Seit 2013 wurde sie erstmals in den Bundestag gewählt, sie vertritt den Wahlkreis Heidelberg. In der Wahlperiode bis 2021 war sie Sprecherin für Europapolitik sowie Parlamentarische Geschäftsführerin, Mitglied im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und stellvertretendes Mitglied im Auswärtigen Ausschuss sowie im Vorstand der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung.
2021 gewann Brantner das Direktmandat in ihrem Wahlkreis. Vizekanzler Robert Habeck holte sie als Parlamentarische Staatssekretärin in sein Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Nach Aufenthalten in Tel Aviv, Washington DC, Paris und New York lebt die promovierte Politikwissenschaftlerin heute in Heidelberg und Berlin.