Experte zu Musks Twitter-Kauf: "Langfristig wird sich die Plattform erheblich verändern"
Der Deal ist besiegelt und Elon Musk der neue Chef von Twitter. Der Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Schweiger von der Universität Hohenheim rät im Interview dazu, die Pläne des Tesla-Chefs im Auge zu behalten.

Wie wird Elon Musk Twitter verändern?
Wolfgang Schweiger: Ich kann mir vorstellen, dass er Twitter langfristig durchaus erheblich verändern wird. Kurzfristig werden Personen wie Donald Trump auf die Plattform zurückkehren. Sonst wird sich aber erst mal wenig ändern. Das hat Musk selbst in einem Schreiben an die Werbekunden betont, in dem er sagt, er wolle, dass Twitter noch stärker ein Forum für alle wird. Er schreibt, dort soll eine gesunde Debatte ohne Hass und Gewalt stattfinden. Ob es so kommt, weiß ich natürlich auch nicht. Wenn er in Zukunft etwas ändert, könnte es sein, dass er Twitter zu einer Art Multifunktionsplattform wie WeChat umbaut.
Musk hat WeChat als Vorbild genannt, weil man damit in China zum Beispiel bezahlen kann. Verliert Twitter dadurch seine Identität?
Schweiger: Das ist durchaus eine langfristige strategische Neuausrichtung. Der Charakter von Twitter, der ein sehr spezieller ist, wird sich dadurch verändern. Twitter ist die Social-Media-Plattform der Eliten, Politiker, Journalisten, Promis und Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen. Das ist völlig anders als bei anderen Plattformen. Das mit einer Multifunktionsplattform zu verknüpfen, könnte womöglich nicht funktionieren.
Was treibt einen Multimilliardär und E-Autobauer überhaupt dazu, ein soziales Netzwerk zu kaufen?
Schweiger: Das Ganze geht ja schon eine Weile. Zwischenzeitlich hatte er versucht, den Kauf wieder rückabzuwickeln, ist dabei aber gescheitert. Das ist seine Art, jetzt in die Offensive zu gehen. Er sagt, er wolle Twitter als Plattform erhalten, auf der öffentlicher Diskurs stattfinden kann. Ihm gehe es nicht ums Geld. Und er sagt selbst, er hält es für eine reelle Möglichkeit, mit Twitter zu scheitern. Das fand ich bemerkenswert. Andererseits will er mehr personalisierte Werbung und gegen Clickbait vorgehen. Insgesamt hat man das Gefühl, dass er keine wirkliche Ahnung hat, was er mit Twitter machen will.
Was halten Sie für wahrscheinlich?
Schweiger: Ich glaube, er wollte sein Ego befriedigen. Denn Twitter ist ökonomisch ziemlich erfolglos, als einzige große Social-Media-Plattform. Twitter hat nie wirklich Geld verdient. Ich glaube, Elon Musk will jetzt zeigen, dass er Twitter profitabel machen kann.
Musk vertritt die amerikanische Auffassung von Meinungsfreiheit, bei der alles gesagt werden darf. Wird das in Europa zu Problemen führen, wo die Meinungsfreiheit bei Beleidigungen und Volksverhetzung endet?
Schweiger: Natürlich muss man sich an die jeweiligen Märkte und die dortigen Regulierungsvorschriften anpassen. Nun reizen alle großen Plattformen die Zeit und Geduld der staatlichen Aufsichtsbehörden so stark wie möglich aus, schlicht weil die Bekämpfung von Hass und Lügen dort viel Geld kostet. Das wird Twitter natürlich auch tun. Aber Musk muss sich an Regeln halten, wenn er ökonomisch erfolgreich sein will. Ich denke, dass er nicht auf einer politischen Mission unterwegs ist. Er ist zu sehr Unternehmer, als dass er Twitter zur Kampfplattform der Konservativen machen wollen würde. Er selbst sagt, dass er die Polarisierung zwischen Links und Rechts nicht befeuern will, sondern einen Austausch für alle schaffen möchte. Diese Ankündigung nehme ich ihm durchaus ab.
Gibt es aus Ihrer Sicht ernstzunehmende Alternativen und werden die Nutzer wirklich dorthin wechseln?
Schweiger: Wenn es irgendwann eine größere Änderung gibt, könnte das sein. Bisher ist das aber ein Sturm im Wasserglas. Natürlich wird viel über Mastodon als nicht-kommerzieller, dezentraler Alternative geredet. Wie viele Nutzende Twitter verlieren und Mastodon gewinnen wird, hängt ganz stark davon ab, wo die aktiven Twitterer hingehen. Denen folgen die passiven Nutzer, die nur mitlesen. Jan Böhmermann ist zum Beispiel sehr aktiv auf Mastodon. Aber er bleibt auch noch auf Twitter, wo er 2,7 Millionen Follower hat. Auf Mastodon sind es nicht mal 50.000, das ist ein großer Unterschied. Solange so jemand auf Twitter bleibt, wird ein Großteil der Nutzer nicht auf eine etwas kompliziertere Plattform wie Mastodon wechseln.

Ist Twitter überhaupt so wichtig, dass es einen kümmern muss, was dort passiert?
Schweiger: Ich finde das tatsächlich sehr wichtig. Es ist immer hochgradig besorgniserregend, wenn Individuen wirtschaftlich große Macht haben. Elon Musk hat sogar politisch große Macht, wenn man sich Starlink anschaut, das Satelliteninternet in der Ukraine, das von seiner Firma SpaceX betrieben wird. Wenn er jetzt auch noch Macht über die Öffentlichkeit und Diskurse bekommt, muss man genau hinschauen. Man muss sich aber auch klarmachen: Eine Social-Media-Plattform ist nur eine technische Infrastruktur. Wenn die Nutzer weiterhin auf Twitter das tun, was sie immer getan haben, wird sich nichts großartig ändern.
Prof. Wolfgang Schweiger ist Professor an der Universität Hohenheim in Stuttgart und Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft und interaktive Medien- und Onlinekommunikation.