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Antisemitismus-Affäre um Aiwanger: Wie Söder sich Zeit verschafft

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Der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger hat sich in einer Krisensitzung zu den antisemitischen Flugblätter geäußert, die während seiner Schulzeit aufgetaucht sind. Ministerpräsident Söder will an einer Koalition mit Aiwangers Freien Wählern festhalten. Was sich der Antisemitismusbeauftragte in Baden-Württemberg von den Freien Wählern in Bayern wünscht.

von Philip-Simon Klein und dpa
Hubert Aiwanger, Wirtschaftsminister und Landesvorsitzender der Freien Wähler in Bayern, muss nun 25 Fragen zur Flugblatt-Affäre beantworten.
Foto: dpa
Hubert Aiwanger, Wirtschaftsminister und Landesvorsitzender der Freien Wähler in Bayern, muss nun 25 Fragen zur Flugblatt-Affäre beantworten. Foto: dpa  Foto: Matthias Balk

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hält in der Affäre um ein altes antisemitisches Flugblatt bis auf weiteres an seinem Vize Hubert Aiwanger fest, erhöht aber den Aufklärungsdruck: Der Freie-Wähler-Chef soll nun 25 Fragen schriftlich beantworten, wie Söder nach einer Sondersitzung des Koalitionsausschusses am Dienstag in München sagte. Danach soll es eine abschließende Bewertung geben. "Bis zur abschließenden Klärung, solange kein neuer Beweis vorliegt oder bisher Gesagtes komplett widerlegt werden kann, wäre eine Entlassung aus dem Amt eines Staatsministers ein Übermaß", sagte er.

Eine Frist zur Beantwortung der Fragen nannte Söder nicht. Auch zum Inhalt des Fragenkatalogs sagte der CSU-Vorsitzende zunächst nichts. Man hoffe aber sehr auf "rasche und umfangreiche" Beantwortung - und Aiwanger habe Antworten "nach bestem Wissen und Gewissen" zugesagt.

 


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Wegen der Vorwürfe gegen seinen Vize Hubert Aiwanger (r) hat Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die Freien Wähler zu einer Sondersitzung «einbestellt» (Archivbild).
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Fall Aiwanger: Söders unerträglicher Hebel


Die Opposition im bayrischen Landtag ist mit Söders Reaktion unzufrieden

Der Landtagsopposition warf Söder Wegducken, eine Hängepartie und Hinhaltetaktik vor - und erhöhte knapp sechs Wochen vor der Landtagswahl ihrerseits den Druck auf die Regierung: Voraussichtlich kommende Woche soll es nun eine Sondersitzung im Landtag geben. Aiwanger sei "nicht mehr tragbar", hieß es etwa von den Grünen.

Söder bekannte sich klar zur Fortsetzung der Koalition. "Die Zusammenarbeit mit den Freien Wählern als Ganzes hat sich bewährt, sie ist gut, und wir wollen sie auch fortsetzen." Es gebe auch keinen Anlass, daran etwas zu ändern. Er deutete aber ein mögliches Szenario an, das schon am Montag in der Koalition vereinzelt zu hören war: dass Aiwanger nach der Wahl auf den Fraktionschef-Posten wechseln könnte. Koalitionen hingen "nicht an einer einzigen Person", sagte Söder. "Es geht mit oder ohne eine Person im Staatsamt ganz genauso."

Der Ministerpräsident von Bayern ist in einer Zwickmühle

Tatsächlich steckt Söder in einem fast ausweglosen Dilemma: Würde er Aiwanger vorschnell entlassen, könnten die Freien Wähler davon bei der Landtagswahl massiv profitieren - so jedenfalls die große Sorge der CSU. Andererseits könnte auch jeglicher Eindruck, dass er seinen Vize allzu schnell davonkommen lässt, Söder und der CSU schaden. Er muss deshalb seine Reaktion auf den Skandal sehr fein austarieren. Dabei könnte es auf jedes Wort ankommen. Auffällig war am Dienstag: Nach seinem Pressestatement ließ Söder - für ihn absolut unüblich - keine einzige Nachfrage zu.

Aiwanger selbst äußerte sich am Dienstag zunächst nicht, dafür aber Freie-Wähler-Generalsekretärin Susann Enders. Dass Söder noch weitere Fragen habe, "steht ihm zu", sagte sie. Aiwanger jetzt zu entlassen, "wäre in meinen Augen tatsächlich ein Skandal gewesen".

 


Der Antisemitismus-Beauftragte in Stuttgart findet die Aiwanger-Affäre nicht nur peinlich für Bayern

Auf Stimme-Anfrage zeigt der Landesbeauftragte gegen Antisemitismus, Michael Blume, Verständnis für alle, die einen schnellen Abschluss der Causa Aiwanger wünschen. Diese sei nicht nur für Bayern peinlich. "Jetzt muss endlich aufgeklärt werden", sagt Blume und verweist auf die gleichlautende Forderung seines bayerischen Amtskollegen Ludwig Spaenle. Mit dem Fragenkatalog zwinge der bayerische Ministerpräsident seinen Vize dazu.

Mit Bezug auf Medienberichte, die 2008 Gespräche mit einem ehemaligen Lehrer Aiwangers über das NS-verherrlichende Flugblatt dokumentiert hatten, schließt Blume: "Die Gebrüder Aiwanger hätten also längst alle Chancen gehabt, von sich aus die Sache aufzuklären." Stattdessen habe Aiwanger mit Rechtspopulisten demonstriert und "als Staatsminister anfragenden Journalisten mit juristischen Schritten" gedroht, erklärt Blume. "Ich fürchte, das passt zur Feigheit vieler Deutscher gegenüber dem eigenen Antisemitismus." Lieber rede man über den Antisemitismus von Zugewanderten als den "in unserer eigenen Mitte", wie Blume sagt.

Blume setzt darauf, dass Parteikollegen von Aiwanger aktiv werden

"Ich hoffe nun, dass die Freien Wähler Herrn Aiwanger die Tür weisen werden", sagt Blume. Kommt es dazu nicht, seien die bayerischen Wähler oder der Ministerpräsident gefragt. "Herrn Aiwanger erneut zum Minister zu erheben", so Michael Blume, "wäre beschämend für die Republik."

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