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So rinnt das Geld aus dem 100-Milliarden-Topf der Bundeswehr

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Wenn die Bundeswehr in die Lage versetzt werden soll, ihr Heimatland zu verteidigen, wird es auch mit dem scheinbar so üppigen Sondervermögen knapp. Eine Aufstellung.

Es ging schnell. Als Olaf Scholz am 27. Februar 2022 die "Zeitenwende" verkündete, war der Krieg in der Ukraine gerade einmal drei Tage alt. Schon unter dem Eindruck der ersten Bilder wurde vielen Menschen in Deutschland bewusst, dass das deutsche Militär die Freiheit in diesem Land kaum effektiv verteidigen könnte.

Auf breite Zustimmung traf somit Scholz" Vorstoß, die Bundeswehr mit einem "Sondervermögen" von 100 Milliarden Euro auszustatten. Eine unglaubliche Summe, so schien es. Doch inzwischen wird deutlich: Das Geld wird kaum reichen.

 


An erster Stelle steht die Munition

Wofür muss das Geld also jetzt ausgegeben werden? Erst einmal für Munition. 2016 ging man bereits davon aus, dass bis 2030 rund 16 Milliarden Euro notwendig sind, um die Munitionslager wieder zu füllen. Jetzt muss es schneller gehen. Günstiger wird es dadurch nicht.

Von 20 Milliarden Euro war zuletzt die Rede. Einige Experten halten diesen Ansatz für zu optimistisch - auch, weil manche Lieferanten ihre Produktion erst wieder aufbauen müssen oder sogar vom Markt verschwunden sind. Doch mit der vielen Munition für Gewehre, Artillerie, Schiffe, Panzer und Flugzeuge ist es nicht getan.

Bei den Flugzeugen gibt es immerhin eine Entscheidung

Stichwort Flugzeuge: Bereits 2018 berichtete "Der Spiegel", dass die 93 Bundeswehr-Jets vom Typ Tornado nicht mehr an Nato-Einsätzen teilnehmen können. Im Gespräch waren damals schon amerikanische Modelle als Nachfolger, doch die Bundesregierung grenzte 2020 die Auswahl ein: auf den europäischen Eurofighter, der weiterentwickelt werden sollte, und die F18 von Boeing.

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Jetzt entschied sich Verteidigungsministerin Christine Lambrecht kurzerhand doch für ein funktionierendes System: die F35 von Lockheed Martin. Rund 3,5 Milliarden Euro dürften die 35 amerikanischen Düsenjets kosten. Dazu kommen irgendwann noch 15 Eurofighter, ebenfalls um die 100 Millionen das Stück.

Das wären insgesamt also fünf Milliarden Euro. Marcus Faber, Verteidigungsexperte der FDP-Bundestagsfraktion, spricht von 15 Milliarden Euro. Er scheint wohl schon mit den Kostensteigerungen zu rechnen, die man zuletzt gewohnt war bei der Bundeswehr.

Die Hubschrauber sollen wieder fliegen können

Ein gutes Beispiel dafür sind die Hubschrauber, die zu den Sorgenkindern des deutschen Militärs gehören. 2014 musste sich die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) rechtfertigen, weil von 43 Marine-Hubschraubern nur vier einsatzfähig waren.

Sie wollte gegensteuern, plante den Kauf von 138 neuen Hubschraubern. Mit etwas Verzögerung wurden immerhin 49 Marinehubschrauber bestellt, einige davon sogar schon ausgeliefert. Mehr als vier Milliarden Euro kosten sie.

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Doch ein Ersatz für die in die Jahre gekommenen Transporthubschrauber ist noch nicht in Sicht. Annegret Kramp-Karrenbauer hatte angesichts galoppierender Kosten die Reißleine gezogen. Von fünf Milliarden Euro war da die Rede, die jetzt wohl kaum noch ausreichen dürften.

Ungeschützt gegen Raketen

Mulmig dürfte es nicht nur Militärexperten geworden sein, als Russland gegen die Ukraine erstmals seine Hyperschallrakete einsetzte. Auch wenn die offiziellen Angaben über die Reichweite von 2000 Kilometern angezweifelt werden, so verfügt Deutschland grundsätzlich über kaum etwas, womit ein Flugkörper vom Himmel geholt werden könnte.

Ende 2020 wurde die Entwicklung eines Nachfolgers für die Patriot-Raketen gestoppt - weil es zu teuer wurde. Nach Kriegsausbruch schaute sich eine Abordnung aus Deutschland um die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), deshalb umgehend in Israel das Raketenschutzschild namens "Iron Dome" an.

"Das muss jetzt alles sehr schnell gehen", sagte Strack-Zimmermann dem Sender "Welt". Das israelische "Arrow 3"-System , so wurde von der "Bild"-Zeitung geschrieben und vielfach kolportiert, koste zwei Milliarden Euro. Militärexperten schütteln da allerdings den Kopf.

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Auf zehn Milliarden Euro schätzt der verteidigungspolitische Sprecher der Union, Florian Hahn (CSU), einen Iron Dome allein für Berlin. Militärexperte Hauke Friederichs, der als Autor unter anderem für "Die Zeit" schreibt, fürchtet, der Aufbau eines solchen Raketenabwehrsystems könnte einen großen Teil des Sondervermögens in Anspruch nehmen. Zudem dauere es viele Jahre, bis es einsatzfähig ist.

Schiffe und Panzer

Dazu kommen fünf Korvetten K130 und ein bis zwei zusätzliche U-Boote, wie ein Branchenvertreter dem "Handelsblatt" erklärte. Die Größenordnung für diese Kriegsschiffe liegt wiederum bei etwa fünf Milliarden Euro.

Was die Panzer angeht, so ist die Lage noch unübersichtlicher als bei Luftwaffe und Marine. Nur jeder zehnte Leopard 2 ist einsatzbereit.

Zudem hat die Ukraine um die Lieferung von Schützenpanzern gebeten. Dies wurde zuletzt offiziell abgelehnt. Ob man sich auf solche Aussagen allerdings verlassen kann, ist mehr als fraglich. Sollten funktionierende Marder übergeben werden, müssen auch sie ersetzt werden.

Da ist noch kein Euro für den Cyberwar oder die Unterkünfte ausgegeben

Mehr als die Hälfte der 100 Milliarden Euro dürfte somit für Neu- und Ersatzbeschaffungen von Großgerät und Munition ausgegeben werden. Für Ersatzteile wird zusätzlich ein großer Batzen fällig. Auch die Infrastruktur ist in die Jahre gekommen. Und dann gibt es da ja auch noch den Bedarf für große Rechenzentren und weitere Systeme, um im Cyberwar bestehen zu können.

Das Problem: Auf Ausschreibungen in dieser Größenordnung ist das zuständige Bundesamt BaainBw nicht vorbereitet. Agenturen aus der Privatwirtschaft sollen nun helfen, hier effizient heranzugehen. Billiger wird es auch dadurch kaum werden.

 


Das Zwei-Prozent-Ziel

Gegründet als Verteidigungsarmee, hat sich die Bundeswehr ab den 1990ern vermehrt als "schnelle Eingreiftruppe" gesehen. Die Notwendigkeit, die Landesgrenzen zu verteidigen, erschien nach dem Fall der Sowjetunion nicht mehr aktuell. Deutschland war ja "umgeben von Freunden", also von Nato-Mitgliedern, die selbst allenfalls an ein damals freundschaftlich verbundenes Russland angrenzten. Die Folgen: Die Wehrpflicht wurde abgeschafft, die Bundeswehr "kaputtgespart", so lautet die vielfach geteilte Einschätzung.

Zwar ist formal gesehen auch in den vergangenen Jahren viel Geld für die Bundeswehr bereitgestellt worden. In den 2010er Jahren gab Deutschland um die 40 Milliarden Euro jährlich für die Verteidigung aus. Doch gereicht hat es nicht. Neuanschaffungen wurden zu teuer, Instandhaltung war kaum noch möglich, Munition fehlt seit Jahren. Die Ausgaben lagen letztlich oft nur knapp über einem Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) und damit weit entfernt von jenem unverbindlichen Ziel, das die Nato-Mitglieder 2002 auf zwei Prozent des BIP festgelegt hatten.

Im vergangenen Jahr noch verkündete das Bundesverteidigungsministerium: "Mit dem [...] Finanzplan des Bundes bis 2025 bekennt sich die Bundesregierung zu ihren internationalen Verpflichtungen gegenüber der NATO und der Europäischen Union." Auf 50 Millionen Euro sollte der Verteidigungshaushalt in diesem Jahr steigen - und lag damit weiterhin bei unter 1,5 Prozent des BIP. Das Sondervermögen ermöglicht nun, vier Jahre lang das Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen. Danach könnte das Budget über den Bundeshaushalt verstetigt werden.

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