Außenpolitiker Kiesewetter: Putin träumt vom großrussischen Reich
Der Obmann der Union im Auswärtigen Ausschuss, Roderich Kiesewetter (CDU), hält im Ukraine-Konflikt massive Sanktionen gegen Russland für notwendig. Die EU müsse nun schnell von russischem Gas unabhängig werden.
Herr Kiesewetter, die Sanktionen sollen teuer werden für Putin, verspricht der Westen - was sollte das bedeuten?
Roderich Kiesewetter: Zunächst muss man Sanktionen richtig einordnen. Die Entsendung russischen Truppen ist unmittelbar, sie findet gerade statt. Sanktionen wirken immer zeitversetzt. Daher ist gerade in einer solchen Ausnahmesituation auch die Wirkung entscheidend. Die EU muss, gemeinsam mit den USA und Großbritannien, rasch massive Sanktionen beschließen. Es ist richtig, dass nun alle Sanktionen auf dem Tisch liegen und im gestuften Sanktionsplan umgesetzt werden sollen.
Was wird das weitere Vorgehen für uns heißen, Stichwort Inflation und Energiepreise?
Kiesewetter: Die Sanktionen sind auch für uns mit hohen Kosten verbunden, sie werden Auswirkungen auf unsere Wirtschaftsunternehmen, die Beziehungen zu Russland haben und könnten die aktuell ansteigende Inflation weiter verstärken. Es kommt darauf an, wie resilient sich unsere Gesellschaft zeigt. Es ist zu hoffen, dass die Aussagen der EU-Kommissionspräsidentin zutreffend sind und die Gas-Vorräte für dieses Jahr ausreichen. Damit Sanktionen wirken, braucht es einen langen Atem derjenigen, die Sanktionen verhängen. Deshalb muss die EU schon heute alles daran setzen, im nächsten Jahr möglichst weitgehend unabhängig von russischem Gas zu sein.
Auch könnten sich Menschen veranlasst sehen, aus der Region zu entkommen.
Kiesewetter: Wir müssen natürlich mit Vertriebenen und Geflüchteten rechnen und hier auch insbesondere osteuropäische Staaten wie Polen unterstützen, die bereits seit 2014 sehr viele ukrainische Vertriebene aufgenommen haben. Auch Deutschland muss bereit sein, Menschen aufzunehmen. Dies alles wird für Europa und Deutschland zu einer Kraftanstrengung werden, die aber nur dann leistbar ist, wenn wir nun geschlossen stehen und gemeinsam handeln.
Ist Nord Stream II nun Geschichte?
Kiesewetter: Es gilt sich nun hinter dem gestuften Sanktionsplan der EU zu versammeln – dies gilt auch für Nord Stream 2.
Gerade die USA taten zuletzt so, als sei jeder Schritt Putins vorhersehbar. Hat Putin aber den Westen mit seinem „Drehbuch” überrascht?
Kiesewetter: Die USA wie auch Nato und EU haben ja sehr konkret darauf hingewiesen, dass es jederzeit zu einem militärischen Angriff Russlands kommen kann und dass die nachrichtendienstlichen Erkenntnisse auf eine geplante militärische Eskalation seitens Putin hinweisen. Biden hat dies sehr unmissverständlich gesagt, insofern kam der Schritt nicht überraschend. Nato und EU waren vorbereitet. Die EU hat innerhalb weniger Stunden mit einer ersten Stufe des Sanktionsplans begonnen und Sanktionen gegenüber beteiligten Personen verhängt. Daran lässt sich erkennen, dass sich die EU, gemeinsam mit seinen Partnern, auf unterschiedliche Szenarien vorbereitet hat.
Wladimir Putin hat weiteren diplomatischen Bemühungen einen Riegel vorgeschoben . . .
Kiesewetter: Das Verhalten Putins hat nur dazu geführt, dass der versöhnliche Plan der EU, mit unterschiedlichen Sanktionen zu reagieren und damit die Gesprächsmöglichkeit offenzuhalten, unbeantwortet blieb. Putin lehnt Diplomatie und die internationale regelbasierte Ordnung ab. Putins Rede war da sehr eindeutig und so muss auch die Antwort des Westens sein – ohne Hintertür. Bemerkenswert war Putins Rede und die historischen Narrative, die er bediente und die sein geostrategisches Denken wie das Großmachtstreben offenlegten.
Putin sprach unter anderem auch von einer atomaren Bedrohung Russlands durch die USA und die Ukraine.
Kiesewetter: Die Rede Putins war in jeder Hinsicht bemerkenswert. Putin träumt nicht nur von einem großrussischen Reich, sondern sieht sich auch in der Reihe russischer Zaren und Stalins. Die gesamte Rede ist dominiert von Lügen und historischen Rechtfertigungen, die schockieren. Der Ukraine ihr Existenzrecht abzusprechen, ist einzigartig in Europa und wird unser Verhältnis zu Russland grundlegend verändern. Eine geschlossene EU heißt nun auch, dass den Großmachtphantasien Putin sehr deutlich entgegengetreten wird. Und die Rede hat vor allem auch gezeigt, wovor Putin am meisten Angst hat: vor Freiheit und Demokratie. Selten hat ein Staatsführer demokratische Werte dermaßen öffentlich diskreditiert. Es zeigt am Ende nur die eigene Schwäche Putin. Seine Regierung hat in der Bevölkerung keinen Rückhalt und nur wer sich nicht auf die Legitimation der Mehrheit stützen kann, versucht eine Legitimation durch Krieg und das Beschwören eines Feindbildes zu konstruieren. Hier liegt unsere große Chance. Wir müssen der Ukraine als Demokraten beistehen und Putin sich selbst langfristig mit seinen eigenen Waffen schlagen lassen.
Besteht die Gefahr, dass Putin weitere Versuche unternehmen wird, den Einflussbereich Russlands zu vergrößern, im dem er andere Länder, beispielsweise im Baltikum, ins Visier nimmt?
Kiesewetter: Das wäre dann denkbar, wenn sich Putin nicht durch die geschlossene Reaktion von seinem Irrweg abbringen lässt. Die Sicherheitsbedenken osteuropäischer Staaten und des Baltikums sind berechtigt. Deshalb darf die EU wie Großbritannien keinen Zweifel an der Geschlossenheit und der Solidarität lassen. Die EU ist ein nicht trennbarer supranationaler Staatenbund. Hieran wird es niemals einen Zweifel geben und hieran werden wir als Partner auch niemals einen Zweifel lassen.
Was muss man nun von der Bundesregierung erwarten?
Kiesewetter: Es gilt nun zunächst die Auswirkungen der Sanktionen bei uns im Inneren abzufedern, um die Langfristigkeit der Sanktionen zu ermöglichen. Wir müssen unsere Bevölkerung vorbereiten und konkrete Wirkungen und die Notwendigkeit der Sanktionen erläutern, um die Resilienz wie auch die Akzeptanz für eigene Einschränkungen zu steigern. Eine rasche Diversifizierung unserer Energieversorgung ist notwendig und wir sollten keine Option von vornherein ausschließen. Weiter muss die Bundesregierung an ihrem eng-abgestimmten Kurs mit unseren Partnern in Europa wie transatlantisch festhalten und wenn nötig auch die Präsenz in den östlichen Nato-Staaten erhöhen. Selektive Waffenlieferungen und die Lieferung von Schutzausrüstung wie z.B. Fernmeldeaufklärung, Störsendern, Nachtsichtgeräten aber auch Panzerabwehrtechnologie oder Flugabwehrraketen werden Teil der weiteren Überlegungen sein.