Viele Eltern fürchten um Lernerfolg ihrer Kinder
Die Corona-Pandemie lässt seit zwei Jahren das Schulsystem knirschen. Der Philologenverband warnt vor zusätzlicher Belastung durch die Integration von Flüchtlingskindern.

Nach über zwei Pandemie-Jahren hat man sich daran gewöhnt, dass Lehrer- und Bildungsverbände in immer kürzeren Abständen an die Öffentlichkeit treten und über die Folgen der Pandemie an den Schulen berichten. Der Landesphilologenverband, in dem vor allem Gymnasiallehrkräfte organisiert sind, hat sich jetzt etwas Neues einfallen lassen. Er hat die Eltern schulpflichtiger Kinder nach ihrer Bewertung von zwei Jahren Corona an den Schulen befragt.
Defizite bei der Ausstattung
Das Ergebnis der vom Verband in Auftrag gegebenen repräsentativen Forsa-Umfrage, das am Mittwoch in Stuttgart vorgestellt wurde, hat es in sich: Fast zwei Drittel der Eltern (62 Prozent) sehen den schulischen Lernerfolg ihrer Kinder in den vergangenen beiden Jahren deutlich beeinträchtigt. 42 Prozent der Eltern stellten fest, dass die sozial-emotionale Entwicklung ihrer Kinder durch Corona deutlich gelitten habe.
Zudem kritisierten die Eltern die nach wie vor unzureichende Gesundheitsausstattung an den Schulen. In lediglich 14 Prozent der Klassenräume stehen der Umfrage zufolge Raumluftreinigungsgeräte zur Verfügung, nur etwa ein Drittel der Klassenräume verfügt über CO2-Ampeln. Auch die digitale Ausstattung an den Schulen habe sich nur wenig verbessert.
Windstille beim Rückenwind-Programm
Zudem machte die Umfrage deutlich, dass Angebote aus dem von Land und Bund finanzierten und seit Herbst angelaufenen "Rückenwind"-Programm, mit dem Lernlücken bei den Schülern aufgeholt werden sollen, bislang offenbar kaum wahrgenommen werden. 51 Prozent der Eltern erklärten, ihr Kind benötige trotz der Lernlücken kein Aufholprogramm. 29 Prozent bemängelten, es gebe kein für ihr Kind passendes Angebot. Und lediglich fünf Prozent der befragten Eltern gaben an, ihr Kind nehme bislang an einer solchen Maßnahme - dazu gehören etwa vertiefende Stunden in den Schulen, aber auch Nachhilfegutscheine - teil. "Hier herrscht eher Windstille als Rückenwind", konstatierte dann auch Ralf Scholl, Landesvorsitzender des Philologenverbands.
Verband fordert massive Institutionen
Der Verband fürchtet durch die nicht aufgearbeiteten Lernrückstände auf lange Strecke einen weiteren Abfall der baden-württembergischen Schüler in den bundesweiten Bildungsvergleichen und fordert massive Investitionen in den Bildungsbereich mit mehr Lehrerstellen und kleineren Klassengrößen. Eine zumindest kurzfristige Abhilfe könnte laut Verband eine schnelle Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium schaffen - einer Forderung, die laut Umfrage von 91 Prozent der befragten Eltern unterstützt wird.
Integration als große Aufgabe
Das Bildungssystem werde nun zusätzlich durch die Aufgabe gefordert, eine große Zahl von ukrainischen Flüchtlingskindern zu integrieren. "Darauf ist das System nicht vorbereitet", so Scholl.
Nach eigenen Berechnungen geht der Verband von rund 65 000 Kindern aus der Ukraine aus, die im Land an den Schulen betreut werden müssten und für die der Verband bis zu 4000 zusätzliche Lehrerstellen berechnet hat. Zwar werde die Integration der ukrainischen Kinder nach Auffassung des Philologenverbandes leichter werden als die der Kinder aus der letzten Flüchtlingswelle., "Die Kinder aus der Ukraine sind an Schule gewöhnt, die Eingliederung ist einfacher. Wichtig sind jetzt vor allem intensive Deutschkurse", so Scholl.
Planungen laufen an
Unterdessen verwies das baden-württembergische Kultusministerium darauf, dass die Planungen zur Integration der ukrainischen Kinder bereits liefen. "Da kommt eine riesige Aufgabe auf uns zu, das wissen wir", so Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne).
"Wir sind täglich dabei, unser Bild von der Lage zu präzisieren, da die Menschen aber über verschiedene Wege bei uns ankommen, ist das Bild noch diffus. Diese Grundlage brauchen wir aber, wir können keine Politik mit dem Rechenschieber machen", so Schopper.



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