Als die deutsche Winzer-Elite auf Heilbronn blickte

Im Herbst 1924 ging in Württembergs ältester Weinstadt der 31. Deutsche Weinbaukongress über die Bühne

Was man nicht alles beim Ausräumen findet, oder zumindest beim Durchforsten des Dachbodens. Dr. Rainer Engel und seinem Sohn Ferdinand ist etwas ganz Besonderes in die Hände gefallen - und dabei fast auseinandergefallen: Die Festschrift zum 31. Deutschen Weinbau-Kongress vom 6. bis 10. September 1924 in Heilbronn, also zur besten Weindorf-Zeit, wobei das Heilbronner Hauptfest ehedem nicht auf dem Marktplatz, sondern als „Herbstfest“ auf der Cäcilienwiese über die Runde ging.

Tatsächlich blieb die Winzerelite, die aus dem ganzen deutschen Reich in Württembergs älteste Weinstadt pilgerte, nicht unter sich. Das Gipfeltreffen strahlte in die Öffentlichkeit aus. So findet sich in der Stadtchronik folgender Eintrag: Zum 31. Deutschen Weinbaukongress sind die Hauptstraßen geschmückt. Neben der offiziellen Festschrift werden von den Zeitungen Festbeilagen herausgegeben. Eine umfangreiche Weinbaufachausstellung, an der sich zahlreiche Firmen beteiligen, Sitzungen, Vorträge und Besichtigungen begleiten den Kongress. Am 6. September wird die Ausstellung eröffnet. Am 7. feiert der Württembergische Weinbauverein sein 100-Jähriges Bestehen - und demnach 2025 sein 200-Jähriges.

Vor 100 Jahren stand der Weinbau im Spannungsfeld der Industrialisierung, nicht nur in Heilbronn. Fotos: Archiv
Vor 100 Jahren stand der Weinbau im Spannungsfeld der Industrialisierung, nicht nur in Heilbronn. Fotos: Archiv

Auf dem Begrüßungsabend der Stadtverwaltung, der vom Wengerter-Männerchor Urbanus und vom Philharmonischem musikalisch Orchester umrahmt wird, kommt ein von Fabrikant Peter Bruckmann verfasster Prolog zum Vortrag. Am folgenden Tag finden wieder zahlreiche Fachreferate statt. Der Deutsche Weinbauverband feiert sein 50-jähriges Bestehen. Ein Festzug mit acht Wagen zieht bereits am Nachmittag zur Cäcilienwiese, wo das Herbstfest stattfindet. Es wird von zirka 5000 Personen besucht. Die Winzergenossenschaft schenkt 3900 Liter Wein aus.

Am 9. September findet im Harmoniesaalbau eine große Weinprobe statt. Es werden 120 Proben aus württembergischen Anbauregionen gereicht. Die Probe dauert sechs Stunden. Mit Besuchen bei der Weinbauschule Weinsberg, der Rebveredlungsanstalt Offenau und dem Salzwerk Kochendorf endet der Kongress.

Ein Blick in die Festschrift zeigt, dass damals nicht alles schöngeredet wird. Es findet sich darin sogar ein Aufsatz von Theodor Heuss, der 1905 seine Doktorarbeit über den Weinbau und Weingärtnerstand in Heilbronn am Neckar geschrieben hatte und der 1924 bereits in den Reichstag aufgerückt war. Zuvor prägte der spätere erste Bundespräsident in seiner Heimatstadt als Chefredakteur die liberale Neckar-Zeitung.

Die Festschrift zum Kongress 1924 ist mit viel Liebe gestaltet.
Die Festschrift zum Kongress 1924 ist mit viel Liebe gestaltet.

Fein säuberlich, teils mit reizvollen Fotos, werden in einem Kapitel in einer Art Streifzug durch die Region alle Weinbauorte Württembergs porträtiert. Darin heißt es, „wenn von württembergischen Weinen die Rede ist, so geschieht dies häufig mit einer gewissen Geringschätzung“. Außerhalb der „schwarz-roten Grenzpfähle“ gebe es keinen nennenswerten Handel damit. Und: Die Menge reiche nicht mal zur Deckung des „Inlandsbedarfs“ aus. Mit „Wehmut“ beobachte man die Halbierung der Rebfläche von 20000 Hektar anno 1824 auf 10000 im Jahr 1924: weil man zur Lebensmittelsicherung verstärkt auf Feldfürchte setze, aber auch wegen der Pilzkrankheit Peronospora, dem Ersten Weltkrieg und wegen der Industrialisierung, welche die Abwanderung vieler Wengerter in Fabriken mit sich bringt. Dort verdient man schon damals sein Geld leichter.

Von einer florierenden Wirtschaft zeugt auch die Festschrift selbst, in der sich auf den ersten zehn Seiten eine Fülle von Anzeigen finden: von Schädlingsbekämpfungsmitteln über den Rebenverkauf bis hin zu allerhand Kellerbedarf, Bütten und Fässer. Aber auch ein „Heilkundiger“, der angeblich Kropfoperationen überflüssig macht und Gallenstein verschwinden lassen kann, sowie einige Gastro-Betriebe geben ein Inserat auf: etwa das Gasthaus Eisenbahn oder das mondäne Neckar-Hotel, in dem täglich „Künstler-Konzerte“ angesagt sind und angeblich „bestgepflegte württembergische Creszenz-Weine erster Häuser“ auf der Karte stehen.

Vor genau 100 Jahren war Württembergs älteste Weinstadt für einige Tage Deutschlands Rebenmetropole: Beim Deutschen Weinbaukongress blühte ganz Heilbronn auf.
Von Kilian Krauth