Von unserer Redakteurin Andrea Eisenmann
Ein Mauerwerk aus rötlichen Ziegeln und weißem Putz prägt die Fassade der früheren Methodistenkirche an der Hofwiesenstraße in Heilbronn-Sontheim. In dem vier Meter hohen Kirchenraum, in dem einst gebetet und gesungen wurde, bilden zusammen geschobene Tische vor einer schwarzen Wand eine Arbeitsinsel. Eine weiẞlackierte Treppe führt ins Obergeschoss hinauf. Wer die Stufen empor steigt, kommt an einem kleinen Weihwasserbehältnis vorbei und gelangt in den Besprechungsraum, dessen weißgestrichene Dachbalken den Buchstaben „A“ zu bilden scheinen. An diesem Morgen kann Christoph Herzog beim Interview auf ein weiteres Mitglied seiner Familie zählen: Tochter Antonia Herzog hat vor kurzem ihr Studium abgeschlossen und arbeitet nun in dem renommierten Architekturbüro mit. So sind mit Gründer Karl-Adolf Herzog drei Generationen unter einem (Kirchen-)Dach tätig.
Herr Herzog, dass man einen Architekten in einem Gebäude besucht, das er selbst gebaut oder saniert hat, ist ja nichts Ungewöhnliches. Ungewöhnlich ist das Gebäude, das Sie dafür gewählt haben: die frühere Methodistenkirche in der Hofwiesenstraße. Wie kam es dazu?
Christoph Herzog: Wir waren schon länger auf der Suche nach neuen Räumlichkeiten. Es sollte ein Gebäude sein, das von der Größe und der äußeren Haptik zum Profil unseres Büros passt. Wir hatten das Objekt längere Zeit beobachtet, weil es leer und zum Verkauf stand. Aufgrund des Denkmalschutzes mussten wir natürlich gewisse Auflagen erfüllen, aber wir konnten den Umbau so umsetzen, wie wir uns das vorgestellt hatten.
Wie erging es Ihnen, Frau Herzog? Hat Sie das Vorhaben auf Anhieb überzeugt?
Antonia Herzog: Als ich die Kirche zum ersten Mal betrat - damals war ich noch am Anfang meines Studiums, konnte ich mir nicht vorstellen, wie daraus ein Büro werden könnte. Als das Projekt immer weiter vorangeschritten ist, habe ich jedoch verstanden, was den Reiz des Gebäudes und seiner Umgebung ausmacht, wie interessant es ist und wofür es steht. In einem Gebäude zu arbeiten, das Alt- und Neubau vereint, entwickelt die Kreativität nochmals anders.
Aufgrund von geringer werdenden Mitgliederzahlen und dadurch leerstehenden Kirchen, wird es wahrscheinlich künftig mehr solcher Projekte geben...
Christoph Herzog: Das ist richtig. Diese Tendenz ist in den vergangenen Jahren immer stärker aufgekommen. Für uns Architekten ist natürlich die Frage interessant, wie kann man diese Gebäude umnutzen, was lässt sich mit Anbauten realisieren? Da ist die Stadt insofern gefragt, als dass sie Architekten und Bauherren bei den Planungen unterstützt. In unserem Fall ist sowohl eine Büro-, als auch eine Wohnnutzung zulässig, sprich: man kann das Gebäude später umnutzen und das war uns unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit sehr wichtig.
Mit Ihnen beiden sitzen zwei unterschiedliche Generationen an einem Tisch, die vielleicht deshalb auch einen anderen Blick auf die aktuellen Herausforderungen in der Architektur haben. Wo sehen Sie diese?
Christoph Herzog: Ich denke, dass wir aktuell an dem Punkt stehen, an dem wir uns über die Kreislaufwirtschaft-Gedanken machen müssen. Wir müssen uns überlegen, wie wir bestehende Bauteile oder Materialien wiederverwenden. Das könnte beispielsweise über Kataloge funktionieren. Es kann nicht sein, dass wir immer wieder neu bauen, immer wieder neue Materialien und Baustoffe verwenden. Diese müssen vielmehr auch wieder ausgebaut und zurückgeführt werden. Das gilt auch bei Neubauten.
Antonia Herzog: Man spricht hier vom sogenannten Cradleto-Cradle-Prinzip. Christoph Herzog: Genau. Das wird sicherlich prägend und entscheidend sein für die Bauwirtschaft und die architektonische Entwicklung. Antonia Herzog: Ich möchte noch einen weiteren Punkt ergänzen: die Grundrissplanung. Es kommt gerade immer stärker auf, dass man Wohnen und Arbeiten in einem Gebäude vereint. Und auch die Grundrisse generell werden flexibler, so dass sich je nach Lebensphase den Besitzern die Möglichkeit bietet, beispielsweise ein Zimmer dazu zu nehmen oder wieder freizugeben beispielsweise an eine Gemeinschaft.
Christoph Herzog: Da muss man sich im Schwäbischen vielleicht auch noch ein wenig mehr zum gemeinschaftlichen Wohnen hin umorientieren, um dem Flächenfraß entgegen zu wirken. Nichtsdestotrotz gibt es hier eine gewisse Kulturlandschaft, die von Einfamilienhäusern geprägt ist. Da kann man nicht einfach sagen, das funktioniert so nicht mehr.
Wo finden Sie Inspiration für Ihre Projekte?
Christoph Herzog: Egal, ob man im Urlaub in anderen Städten ist, Fernsehen schaut, Fachzeitschriften liest oder Essen geht man hat als Architekt die Augen immer auf und fragt sich, warum man das und jenes gut findet und welche Vorteile es bietet. Heute Abend besuchen wir zum Beispiel die „Heilbronner Architekturgespräche“, bei denen Kollegen von Innauer Matt aus Österreich von ihren Projekten erzählen und so hört man, wie im Ausland gearbeitet wird.
Antonia Herzog: ... und natürlich darf man die sozialen Medien nicht außen vor lassen. Alle Architekturbüros haben einen Instagram-Kanal und posten dort regelmäßig Bilder.
Dann ist es ja ein Glücksfall, dass jetzt noch eine weitere Generation mit an Bord ist...
Christoph Herzog (lacht): Es ist immer ein Gewinn, die junge Generation mit dabei zu haben. Das war auch schon so, als ich damals bei meinem Vater miteingestiegen bin. Das hält die Architektur frisch und belebt das Ganze auch.
Frau Herzog, was hat Sie bewogen, in die Fußstapfen Ihres Vaters und Großvaters zu treten?
Antonia Herzog: Das war für mich tatsächlich nicht immer klar. Für eine Präsentation in der Schule über Anne Frank habe ich aber gemeinsam mit meinem Opa das Hinterhaus samt Grundriss nachgebaut, in dem sich die Familie damals versteckt hat. Das kann man vielleicht als ersten Schlüsselmoment bezeichnen.
Daniel Libeskind hat gesagt: „In Deutschland entsteht Architektur auf einem sehr hohen Level und ich arbeite sehr gerne dort. Es ist immer eine Herausforderung, weil die Erwartungen hoch und die Behörden sehr gründlich sind. Aber genau das führt zu guten Gebäuden.“ Teilen Sie diese Einschätzung?
Christoph Herzog: Das ist richtig. Wir arbeiten hier tatsächlich auf einem sehr hohen Niveau und die Behörden prüfen sehr gründlich.
Zu gründlich manchmal?
Christoph Herzog: Das möchte ich nicht sagen. Das Bauen ist sehr komplex und umfangreich. Jedes Gebäude hat andere Anforderungen. Klar gibt es vielleicht bürokratische Vorgänge, von denen man sagt, die könne man doch schlanker machen. Aber auch da gibt es Veränderungen - wie den digitalen Bauantrag.
Im Interview mit der Heilbronner Stimme vor etwas mehr als einem Jahr haben Sie das Bild eines kranken Kindes verwendet, um den Zustand der Heilbronner Innenstadt zu beschreiben. Wie ist es um den Gesundheitszustand des „Patienten“ denn mittlerweile bestellt?
Christoph Herzog: Dem „Patient“ ist bekannt, woran er erkrankt ist und jetzt werden Überlegungen angestellt, wie man ihm helfen kann.
Das heißt, Sie begrüßen die Debatte, die in den letzten Monaten Fahrt aufgenommen hat?
Christoph Herzog: Ja. Es ist wichtig, dass man immer wieder über die Innenstadt diskutiert. Diese darf man zu keinem Zeitpunkt vernachlässigen. Und es immer wichtig, darüber nachzudenken, ob das, was man macht, in die richtige Richtung geht oder muss man an anderen Stellschrauben drehen. Wir brauchen als Bürger die Innenstadt, sie bleibt immer wichtig und deshalb ist es mir ein Anliegen, dass man sich darüber unterhält.
Sie haben eine „Zeitenwende“ gefordert, um die Städte wiederzubeleben. Haben Sie das Gefühl, dass der Konsens in der Gesellschaft groß genug ist, dies anzupacken und dafür auch Opfer zu bringen? Ein Beispiel: Wenn Sie mehr Grün, mehr Wasser, mehr Aufenthaltsqualität fordern, kann das mitunter dazu führen, dass Parkplätze wegfallen - und dann ist der Aufschrei oft groß...
Christoph Herzog: Veränderungen tun weh - dem einen mehr, dem anderen weniger. Auch wenn es hart klingt: Man muss sich anpassen und der Mensch kann das. Aus schwierigen Situationen entsteht dann auch wieder Neues. Man muss es gut machen, man muss es überlegt machen, Aber auch wegen der ansteigenden Hitze und dem Klima braucht die Stadt mehr Grün. Man muss nachdenken, wo man ansetzt, um wieder zu einer schönen Innenstadt zu kommen. Und da können auch wir Architekten mitwirken.
Zur Person
Christoph Herzog studierte nach einer Schreinerlehre an der Fachhochschule für Technik in Stuttgart Architektur. 2002 wurde er Partner seines Vaters Karl-Adolf Herzog im Architekturbüro herzog + herzog. Der 58-Jährige ist Mitglied im Beirat der Architektenkammer Baden-Württemberg und seit 2018 Vorsitzender der Architektenkammer Heilbronn.
Antonia Herzog, geboren 1998, studierte an der Uni Stuttgart den Studiengang Architektur und Stadtplanung und beendete 2024 ihre akademische Ausbildung mit dem Master-Abschluss.
Ausgewählte Projekte von herzog + herzog

Funktionaler Umbau
Die Baumaßnahmen in der Lindenparkschule im sonderpädagogischen Diagnostik-Kompetenzzentrum zielten darauf ab, Raum für ein erweitertes Bildungs- und Beratungsangebot und Platz für Büros und Unterrichtsräume zu schaffen. Durch Abriss von Trennwänden und die Zusammenlegung von Räumen entstanden großzügige, flexible Bereiche. ае

Umbau zum Büro
Die Kapelle im alten Ortskern Sontheims wurde von herzog + herzog in ein Architekturbüro umgebaut. Der freitragende Anbau an der Längsseite erinnert an ein Seitenschiff. Das von übermäßigen Materialien und Einbauten befreite Gebäude erhielt 2020 die Auszeichnung der Architektenkammer BW für beispielhaftes Bauen und den Hugo-Häring-Preis.

Umbau zur Loftwohnung
Auch für den Ausbau des Obergeschosses eines Mehrfamilienwohnhauses direkt am Neckarufer Heilbronns gab es 2017 einen Hugo-Häring-Preis. Für das Projekt wurden drei Wohnungen in verschiedenen Ebenen als großzügige Loftwohnung miteinander verbunden. Highlight: Eine großflächige Schiebeverglasung gibt den Blick zum Neckar frei. ае