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Beats statt Baldrian

Kultur: Auf dem Festival „c/o pop“ legen Frauen über 70 Jahre Musik auf - Wie das geht, lernen sie in Workshops

Foto: dpa

Über das Lied „Bauch Beine Po“ lässt sich trefflich streiten. Die einen empfinden das von Rapperin Shirin David skizzierte Körperbild („Geh' ins Gymmie, werde skinny, mach' daraus eine Show. Wir sind pretty im Bikini, das ist Bauch, Beine, Po“) als gelungene Gesellschaftskritik, andere als Verherrlichung eines ungesunden Ideals. Ingrid Jatho, 73 Jahre alt, die den Song von ihrem DJ-Pult aus gerade durch die Boxen gejagt hat, fällt ein Urteil, auf das man sich einigen kann. „Schräge Frau“, sagt sie über Shirin David. „Aber die Musik fand ich gut.“ Ingrid Jatho hat sich in letzter Zeit relativ intensiv mit dem Werk der mehr als 40 Jahre jüngeren Rapperin auseinandergesetzt. Früher war Jatho Lehrerin neuerdings ist sie DJ. 

Bühnenerfahrung: „Forever Fresh“ heißt das Projekt des Kölner Musikfestivals „c/o pop“. Bei diesem sollten laut Ankündigung „Frauen ab 70 die Möglichkeit erhalten, ihre Liebe zur Musik neu zu entdecken“ sowie die „Festivalbühnen zu erobern“. Im Kern ist es eine Schnellausbildung zum DJ. Aber mit einem konkreten Ziel: ein Auftritt.

Klischees: Um das zu schaf fen, wird geübt. Abwechselnd stehen die Frauen an den Pulten, schieben die Lautstärkeregler hoch, drücken auf Knöpfe und wippen in den Beinen. Ihre Namen sind auf Klebestreifen geschrieben: Edeltraud, Uschi und Irmgard etwa. Tendenziell andere Namen, als man sie aus Szene Clubs kennt. Tatsächlich darf man nicht den Fehler begehen und das ganze Unterfangen verwitzeln. Frau steht vor blinkender Technik - da lässt sich leicht ein leidiges Klischee abrufen. Bei älteren Frauen und Musik ebenso - Stichwort Schlager. In Wahrheit versucht der Kurs genau das Gegenteil. Er ist auch ein Aufstand gegen Altersklischees.

Songwechsel: Ingrid Jathos Playlist ist jedenfalls so weit entfernt von Schlager wie Howard Carpendale von Gangsta-Rap. Sie hat sich für „Flowers“ von Miley Cyrus, „Hips Don't Lie“ von Shakira und eben „Bauch Beine Po“ entschieden. Geübt wurden gerade die Übergänge und das „Akzente setzen“ wie sie sagt. Wie kommt man von einem Song in den nächsten? Wie „fadet“ man? So nennt man das Ein- und Ausblenden eines Songs.

Jatho kommt aus einer musikaffinen Familie. Aber selbst für Musik zu sorgen - das ist neu für sie. Am DJ-Pult habe sie sich „richtig durcharbeiten müssen“, sagt sie. Aber das findet sie gut. Kurskollegin Inge Dobrinski, 79 Jahre alt, beschreibt es ähnlich. „Es war ein Ausflug in eine für mich neue Richtung“, sagt sie. „Zu meinen Zeiten, als ich mir die Nächte um die Ohren geschlagen habe, gab es noch keine DJs“, sagt sie, nur „Tanzveranstaltungen“. Und heute? Die Club-Szene gibt sich gerne aufgeschlossen. Aber viele 70-Jährige trifft man dort nicht. Angelernt werden die Nachwuchskräfte von zwei Frauen, die halb so alt sind. Anna Cainelli und Sedaction (so nennt sie sich) haben viel DJ-Erfahrung. Von ihren Schützlingen sind sie begeistert. In Sachen Lehrstoff haben sie quasi bei null angefangen. Wobei die Technik gar nicht mal im Fokus steht. „Uns geht es mehr darum, dass sie sich wohlfühlen mit der Musik, die sie gerade spielen.“

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Neue Welt: Was da geleistet werde, sei nicht zu unterschätzen. Manche Teilnehmerinnen haben nicht einmal einen Computer zu Hause - nun stehen sie vor einem Meer aus Knöpfen und Reglern. Jatho geht noch immer nicht„Bauch Beine Po“ aus dem Kopf. Der Text, das ganze Sujet: Sie muss an Frauenzeitschriften denken, die sie früher las. Auf 20 Seiten superdünne Models, auf weiteren zehn Seiten Diäten.„Und dann noch 20 Seiten Koch-Rezepte“, sagt sie. „Das diente nur der Verwirrung der Frauen.“ Da sei man heute „schon ein Stück weiter“.