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Einzige wilde Gelbkopfamazonen-Kolonie Europas lebt in Stuttgart

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Mitten in Stuttgart lebt die europaweit einzige wilde Kolonie von Gelbkopfamazonen, zu der etwas mehr als 60 Tiere gehörten. Fotografin Bianca Hahn kennt sie alle. Und manchmal verirren sich einzelne Papageien auch nach Heilbronn.

Von unserer Korrespondentin Ulrike Bäuerlein
Die Gelbkopfamazonen leben seit 1984 in der Landeshauptstadt.  Foto: Eric Isselée/stock.adobe.com
Die Gelbkopfamazonen leben seit 1984 in der Landeshauptstadt. Foto: Eric Isselée/stock.adobe.com  Foto: Marijan Murat

Morgens um sieben herrscht in der Stille des nur von einzelnen Joggern, Radlern und Nilgänsen bevölkerten Stuttgarter Schlossgartens plötzlich helle Aufregung. Hoch oben aus dem grünen Laub der alten Baumriesen ist ohrenbetäubendes Geschrei zu hören. Zu sehen ist nichts, aber es kreischt aus vielen Kehlen durchdringend aus dem Blätterdach. 20 Meter über dem Boden ist mächtig Bewegung in den Baumkronen. Plötzlich flattern zwei blattgrüne Papageien auf und lassen sich auf tieferen Ästen im Sichtfeld der Fotografin nieder. Sie haben dicke, gelbe Schnäbel und gelbe Köpfe mit einer roten Federzeichnung. "Das sind Mimi und Rudolfo", sagt Bianca Hahn nach kundigem Blick durch das schwere 500er-Teleobjektiv ihrer Kamera. "Sie imponieren gegenüber Finn und Tobia, die haben nebenan ihr Revier."

Die Tiere gehören zu der europaweit einzigen freilebenden Kolonie von Gelbkopfamazonen, einer vom Aussterben bedrohten Papageienart. Ihren Lebensraum haben die Tiere ausgerechnet im Herzen der Großstadt Stuttgart gefunden, im Areal zwischen Bahnstrecke und vierspuriger Bundesstraße, in den Baumhöhlen der alten Platanen von Schlossgarten, Rosensteinpark und Wilhelma. Etwas über 60 Tiere umfasst der Bestand derzeit. Und Bianca Hahn kennt sie alle - und ihre Lebens- und Liebesgeschichten. Die 49-jährige Fotografin aus der Nähe von Stuttgart ist den Tieren seit über sechs Jahren verfallen, als sie ein befreundeter Ornithologe erstmals auf die seit 35 Jahren hier ansässige Kolonie aufmerksam machte.


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Im Früh- und Hochsommer, wenn die Papageien brüten und später die Jungen flügge werden, schaut Bianca Hahn nun jeden Tag vor der Arbeit in ihrem Fotoatelier am frühen Morgen bei den Papageien vorbei. Sie fotografiert, beobachtet die Tiere und benennt sie, dokumentiert, veröffentlicht Bilder und Daten zu den Gelbkopfamazonen und ist über die Jahre zu einer anerkannten Expertin und Referentin über den Stuttgarter Schwarm geworden.

Die Fotografin Bianca Hahn begleitet den Schwarm seit mehreren Jahren fast täglich und dokumentiert dessen Entwicklung. Foto: Ulrike Bäuerlein
Die Fotografin Bianca Hahn begleitet den Schwarm seit mehreren Jahren fast täglich und dokumentiert dessen Entwicklung. Foto: Ulrike Bäuerlein  Foto: Alternativer Fotograf

Begonnen hat die Amazonengeschichte 1984 mit einem einzelnen entflogenen oder ausgesetzten Vogel, dem vermutlich Tierfreunde einen Gefährten beigesellten. Tatsächlich wurde aus den beiden Gelbkopfamazonen ein Paar - das Geschlecht sieht man den Tieren am Äußeren nicht an -, das sich langsam, aber erfolgreich fortpflanzte und an die Umgebung anpasste. 1986 wurden die ersten Jungtiere gesehen, der Bestand wuchs langsam, aber stetig. "Es dauert etwa fünf Jahre, bis die Tiere geschlechtsreif sind", sagt Bianca Hahn. Und wenn sich ein Pärchen findet, bleibt es in der Regel lange zusammen. Aber dass es auch bei den Papageien "menschelt", davon kann Hahn viele Geschichten erzählen - von verlassenen, vermissten oder trauernden Papageien, von langen und enttäuschten Lieben, sorgenden Müttern und allein erziehenden, tragisch überfordertern Vätern. "Sie haben alle ihren eigenen Charakter, eine eigene Persönlichkeit. Das fasziniert mich, und weil die Population so klein ist, kann man das Sozialverhalten auch sehr gut beobachten."


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Die Ornithologin Friederike Wook hat einen weniger emotionalen Blick auf die Amazonen. Sie ist stellvertretende Leiterin des Teams Zoologie und Kuratorin im Stuttgarter Naturkundemuseum und hat den Schwarm in seinen ersten Jahren intensiv beobachtet. "Es ist erstaunlich, dass diese Art es geschafft hat, sich anzupassen und hier auch harte Winter zu überleben", sagt die Vogelkundlerin. Mehr als ein paar erfrorene Krallen sind auch in harten Wintern nicht zu beklagen, die Tiere sind robust, widerstandsfähig und wenig wählerisch beim Futter. Eine Bedrohung für die heimische Flora und Fauna stellen die Tiere im Gegensatz zu anderen Arten, die sich in anderen Städten ausbreiten, nicht dar.

Gelbkopfamazonen verirrten sich auch nach Heilbronn

Zwei Tiere der Stuttgarter Gelbkopfamazonen haben sich kürzlich auch nach Heilbronn verirrt. In Böckingen drehten im Februar Bonnie und Clyde ihre Runden. Bianca Hahn hat sogar einen Aufruf gestartet, um die beiden zu finden. Mitte Januar war das Paar aus Stuttgart aufgebrochen und dann in Böckingen gelandet. Clyde kehrte schließlich wieder nach Stuttgart zurück. Bonnie hingegen blieb in Böckingen - wohl, weil sie die Orientierung verloren hatte. Sie und Clyde waren seit 2016 ein Paar und hatten bereits zwei Mal Nachwuchs.

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