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Nach VfB-Warnung: Panzer, Krieg, Gewalt? Experte erklärt Fankultur von Roter Stern

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Der VfB Stuttgart warnt mitreisende Fans vor "gewaltsuchenden" Anhängern des Gegners Roter Stern Belgrad. Doch was steckt hinter der Gewaltwarnung und worauf müssen Fans sich einstellen?

Pyrotechnik gehört in Belgrad auf der Tribüne häufig dazu. Ob die Fans von Roter Stern Belgrad auch gegen den VfB Stuttgart eskalieren?
Pyrotechnik gehört in Belgrad auf der Tribüne häufig dazu. Ob die Fans von Roter Stern Belgrad auch gegen den VfB Stuttgart eskalieren?  Foto: Imago

Gewalt, Münzverbot, Politik auf den Rängen? Das Auswärtsspiel des VfB Stuttgart in der Champions League in Belgrad (Mittwoch, 18.45 Uhr) steht schon Tage vor dem Anpfiff unter Beobachtung. Der VfB hat nach den Topspielen bei Real Madrid und Juventus Turin sowie den Heimspielen gegen Sparta Prag und Atalanta Bergamo vier Punkte auf dem Konto und will nun gegen vermeintlich leichtere Gegner weiter punkten

Sportlich also nahezu das tägliche Brot. Aber: Vor dem Spiel bei Roter Stern Belgrad gibt es vermehrt Warnung des VfB Stuttgart an mitreisende Fans. Die Anhänger von Roter Stern seien gewaltbereit, hieß es rund eine Woche vor dem Spiel. Eine andere Fan-Info besagt, dass Münzgeld im Stadion nicht erlaubt ist. Zu gefährlich. Münzen könnten schließlich als Wurfgeschoss eingesetzt werden. Wie gefährlich ist das Spiel in Serbien wirklich für den VfB Stuttgart und die mitfahrenden Fans?

Das erwartet die VfB-Fans beim Champions-League-Spiel in Belgrad

"Es wird ein volles Stadion und eine hitzige Atmosphäre", vermutet Dario Brentin gegenüber der Heilbronner Stimme. Der Sozialwissenschaftler der Universität Graz beschäftigt sich mit dem Zusammenhang von Fußball und Politik in Osteuropa. Er ist Experte auf dem Gebiet und kennt die Gegebenheiten und Geschichte des Belgrader Vereins. Gewöhnlich sei es im Stadion Rajko Mitić, der Heimspielstätte von Roter Stern, dass Pyrotechnik gezündet wird und politische Meinungen gestreut werden. 

Politische Botschaften und militärische Choreografien finden häufig den Weg ins Stadion bei Roter Stern Belgrad.
Politische Botschaften und militärische Choreografien finden häufig den Weg ins Stadion bei Roter Stern Belgrad.  Foto: IMAGO/Sven Sonntag

Für den "Otto-Normal-Fan" wird es laut Brentin ein "schönes Erlebnis". Belgrad ist eine der ältesten Städte Europas und durchaus sehenswert. Dennoch ist die Warnung legitim – Brentin: "In der Fankultur gibt es eine Gewaltbereitschaft, die sich aber eher mit Ultras auseinandersetzt." Ganze Plätze einnehmen, wie in Madrid den Plaza Mayor, sollten VfB-Fans allerdings nicht. "Wenn man nicht in großen Gruppen Teile der Stadt oder Lokale übernimmt, nicht randaliert und sich benimmt, kommt es auch nicht zu Auseinandersetzungen", erklärt Experte Brentin.

Warnung vor Champions-League-Spiel: Darauf sollten VfB-Fans in Belgrad unbedingt verzichten

Aber gegenüber der Heilbronner Stimme sagt der Sozialwissenschaftler auch: "Wenn da aber 200 oder 300 Leute kommen, dann kann es schonmal sein, dass ein Statement gesetzt wird." Das Mobilisierungspotenzial der Fans von Roter Stern Belgrad ist sehr diffus. "Ob das 500 oder 1000 in der Kerngruppe sind und 20.000 oder 30.000 als Mobilisierungspotenzial, kann man kaum sagen", erklärte Brentin vor einem Jahr gegenüber "rblive". Die „Delije”, die Fans von Roter Stern Belgrad, geben in der Regel keine Interviews. Informationen sind rar, zumal es schwierig sei, wissenschaftliche Erhebungen zu bekommen. 

Hintergrund dafür sind die laut Brentin fast schon "Mafia-ähnlichen Strukturen". "Es ist ein schwieriges Milieu", so Brentin gegenüber der Heilbronner Stimme. Viele leitende Personen der Fangruppierungen des kommenden Gegners des VfB Stuttgart, sollen Beziehungen zu staatlichen Sicherheitsbehörden haben. Das sei historischer Natur, denn: "Die organisierten Fans wurden als parastaatliche Einsatztruppen genutzt. Beispielsweise für Gewaltexzesse gegen Botschaften westlicher Staaten", erklärt Brentin und weist auf die jüngere Geschichte und Entstehung der Fankultur in Belgrad hin. 

VfB Stuttgart in der Champions League: Fankultur von Roter Stern Belgrad

Fußballfans in Belgrad sammelten sich demnach "vor allem aus dem Rotlichtmilieu, haben Drogenhandel und andere illustren Geschäftsbereiche übernommen". Das war Ende der 80er, Anfang der 90er-Jahre. Brentin gegenüber der Heilbronner Stimme: "Die Verbindung von kriminellem Milieu und organisierter Fußballfankultur ist bestehen geblieben." Auf ihre militärische Vergangenheit sind Teile der Belgrad-Fans stolz, oft sind sie nationalistisch unterwegs, ohne das zu pauschalisieren. Der Jugoslawien-Krieg hat jedenfalls auch in der Fankultur Spuren hinterlassen.

Gegen Young Boys Bern fuhren Fans von Roter Stern Belgrad mit einem Panzer vor das Stadion.
Gegen Young Boys Bern fuhren Fans von Roter Stern Belgrad mit einem Panzer vor das Stadion.  Foto: Imago

2019 fuhren Fans von Roter Stern Belgrad gegen Young Boys Bern (ebenfalls Gegner des VfB Stuttgart in der Ligaphase) bei einem Heimspiel mit einem Panzer aus dem Krieg bis vor das Stadion. Im Stadion Rajko Mitić wurde 2023 eine Panzer-Choreographie gezeigt. Auch gegen RB Leipzig stand ein Panzer vor dem Stadion. In der Fußballwelt sind auch die Gewaltausschreitungen 1990 bei einem Spiel von Roter Stern Belgrad gegen Dinamo Zagreb unvergessen, bei denen über 100 Menschen verletzt wurden. Dass dieser Exzess zum Ausbruch des Kroatien-Krieges geführt haben soll, hält Brentin allerdings für einen Mythos.

Gewalt-Warnung des VfB Stuttgart vor Belgrad-Spiel eher präventiv – "Potenzial vorhanden"

Die Historie im Blick behaltend, besteht für den VfB Stuttgart jedoch eher weniger Gefahr für große Gewaltbereitschaft. "Es gibt keine historische Animosität der Vereine und keine zeitgemäßen Konfliktpunkte", erklärt Sozialwissenschaftler Brentin der Heilbronner Stimme. Als wahrscheinlich gelten eher "kleinere Scharmützel am Rande großer Menschenmassen", also ähnlich wie bei der EM 2024 als englische und serbische Fans in Gelsenkirchen aneinander gerieten. Brentin geht nicht von "großen Auseinandersetzungen" aus. Auch, weil bei den vergangenen Champions-League-Spielen nichts passiert ist.

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Die Warnungen des VfB Stuttgart sollten mitreisende Fans dennoch dringend beachten. "Das Potenzial ist da", sagt Experte Brentin vor allem auf die Bereitschaft der Belgrad-Fans bezogen. "Wenn so ein Gewaltpotenzial vorhanden ist, ist es auch legitim, darauf hinzuweisen. Auch damit die Fans sich bewusst sind, dass es das Potenzial gibt." Der Verein warnt präventiv, "auch um nachher nicht in die Kritik zu kommen", meint Brentin.

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