Stimme+
Handball
Hinzugefügt. Zur Merkliste Lesezeichen setzen

Als die Neckarsulmer B-Juniorinnen die deutsche Meisterschaft feierten

   | 
Lesezeit  7 Min
Erfolgreich kopiert!

(Un)vergessen: Vor zehn Jahren feierten die Nachwuchs-Handballerinnen der Neckarsulmer Sport-Union einen unerwarteten Triumph und legten damit den Grundstein für das heutige Bundesligateam.

von Dominik Knobloch und Alexander Bertok
2015 (v.l.): Maria und Helena Odenwald, Tanja Brunn und Svenja Kaufmann.
2015 (v.l.): Maria und Helena Odenwald, Tanja Brunn und Svenja Kaufmann.  Foto: Veigel

Es wird kein Jubiläumstreffen geben. Zumindest nicht in voller Mannschaftsstärke und persönlich. "Eine gebührende Feier zum Zehnjährigen geht wegen Corona nicht. Begrenzungen sind schwierig, man will ja niemanden ausschließen", sagt Isabel Tissekker über ihr ehemaliges Jugend-Team, das stets von seiner Geschlossenheit lebte und auch zehn Jahre später noch durch viele Freundschaften verbunden ist. Das finale Tor der späteren Bundesliga-Spielerin war es, das den Neckarsulmer B-Juniorinnen am 12. Juni 2011 den unvergessenen Deutschen Meistertitel brachte.

Zumindest mit ein paar Teamkolleginnen von damals hat Tissekker schon am Freitag virtuell auf das Highlight angestoßen. Was aus den jugendlichen Siegerinnen von einst geworden ist? Einige sind dem Handball treu geblieben, wenige haben es als Aktive bis nach oben geschafft. Nur eine einzige ist noch in der Bundesliga tätig - im Veranstaltungsmanagement und Marketing der Männer aus Ludwigshafen. Eine Skizze des Werdegangs der NSU-Meistermannschaft des Final Fours:

Vanessa Steinhoff: Bei der ehemaligen Keeperin ist die Spurensuche nicht ganz einfach, weil ihr Weg in den vergangenen Jahren auch im Ausland verlief. Stationen waren Japan und Australien, wissen ehemalige Mitspielerinnen aus den sozialen Medien. Handballerisch gab es bei Steinhoff einen klaren Cut. Mit 17 Jahren riss das Kreuzband. Danach entschied sich die Torhüterin gegen die Passion zwischen den Pfosten.

Jana Eisele: Der Neckarsulmer Rückhalt von einst steht bei der Sport-Union noch immer zwischen den Pfosten. Zumindest stand Eisele für die Corona-Saison 2020/21 im Kader der dritten Mannschaft in der Bezirksklasse. Auch beruflich ist sie bei Audi Neckarsulm treu geblieben. Neben dem Handball-Feld hat die Obergriesheimerin auch auf dem Fußballplatz gestanden. Hochklassig spielte sie nie.

Das Meisterteam der Neckarsulmer Sport-Union, B-Juniorinnen 2011. Hinten von links: Sven Fischer, Helena Odenwald, Svenja Kaufmann, Tanja Brunn, Isabel Tissekker, Maria Odenwald, Sandra Bechtold, Julia Ost. Vorne: Trainer Jürgen Kaufmann, Vanessa Steinhoff, Jana Eisele, Amelie Hummel, Ursula Berthold, Sabine Kreuzwieser. 
Foto: privat
Das Meisterteam der Neckarsulmer Sport-Union, B-Juniorinnen 2011. Hinten von links: Sven Fischer, Helena Odenwald, Svenja Kaufmann, Tanja Brunn, Isabel Tissekker, Maria Odenwald, Sandra Bechtold, Julia Ost. Vorne: Trainer Jürgen Kaufmann, Vanessa Steinhoff, Jana Eisele, Amelie Hummel, Ursula Berthold, Sabine Kreuzwieser. Foto: privat  Foto: privat

Helena Odenwald: Sportlich der tragischste Werdegang. "Sie hatte sich am meisten auf das Thema Handball fokussiert", erinnert sich ihr ehemaliger B-Jugend-Coach Jürgen Kaufmann an seine ehrgeizigste und athletischste Spielerin. Wahrscheinlich hätte es Odenwald bis in die Bundesliga geschafft, in der Jugend-Nationalmannschaft war sie bereits - bis die Ärzte ihr nach einer schweren Knieverletzung zum Karriereende rieten. Die Spielmacherin hat aber auch abseits Köpfchen bewiesen - und Wirtschaftspsychologie studiert. Maria Odenwald: Zwar die Zwillingsschwester von Helena Odenwald, aber sportlich doch eine ganz andere Person. Sie lebte von ihrer linken Wurfhand, aber nie für eine große Handball-Karriere. Beruflich ist sie als angehende Zahnärztin trotzdem anderen Familienmitgliedern der Odenwalds gefolgt. Bald soll eventuell auch wieder Zeit für das Hobby Handball bei Degmarn-Oedheim sein.

Isabel Tissekker: Die wurfgewaltige Halblinke ist mit Neckarsulm den Weg bis in die Bundesliga gegangen. So richtig zu Hause schien Tissekker in Deutschlands Elitekreis aber nie zu sein. Auch nach einem Wechsel zum Lokalrivalen Nellingen nicht. Zuletzt war die ehemalige Jugend-Nationalspielerin in der Schweiz aktiv und ist vor kurzem in die Heimat zurückgekehrt. Ob und wie es mit Handball weitergeht, ist noch offen.

Julia Ost: Macht mit dem Handball bis heute Bundesliga-Karriere - neben dem Feld. Ihre ambitionierte aktive Zeit war hingegen als Studentin beendet. Sie spielte noch etwas Württembergliga in Nordheim während eines dualen Studiums bei der Bank. Ein Master im Sportmanagement führte sie dann zu einem Praktikum bei den Eulen Ludwigshafen. "Jetzt bin ich fast dreieinhalb Jahre dort. Es ist viel los - nicht immer gut fürs Herz", sagt sie lachend.

Tanja Brunn: Die Kreisläuferin ist den Neckarsulmer Weg noch eine ganze Weile mitgegangen. Aber nicht bis in die Bundesliga. Nach einer Studiumsstation in Amsterdam hat sie sportlich bei Drittligist Schozach-Bottwartal ein Zuhause gefunden. Wegen einer stark lädierten Schulter könnte nach der Corona-Zwangspause aber Schluss sein. Sicher ist der Abschied vom Sport aber noch nicht.

Svenja Kaufmann: Auch sie ist sportlich bei der SG Schozach-Bottwartal gelandet und wird dort als ehemalige Bundesliga-Spielmacherin auch in der nächsten Saison wohl eine tragende Rolle einnehmen. In ihrer langen Neckarsulmer Zeit war Svenja Kaufmann bis in die Erstklassigkeit stets eine absolute Identifikationsfigur.

Sandra Bechtold: Das intensive Hobby Fasching und Karneval hat das intensive Hobby Handball mittlerweile klar abgehängt - als echte Gundelsheimerin kein Wunder.

Sabine Kreuzwieser: War zumindest bis vor der Corona-Pause noch handballerisch bei Degmarn-Oedheim aktiv, ist allerdings auch etwas jünger, weil sie damals als C-Juniorin kurzfristig zum Meisterteam stieß. Hochklassig ist der Freund der Neckarsulmerin aktiv: Daniel Grosser. Er steht im Drittliga-Kader des TSB Horkheim.

Ursula Berthold: Auch sie stieß 2011 als C-Juniorin nur für das Final Four zum Neckarsulmer Team. Danach war sie noch eine Weile in Neckarsulm aktiv, widmete sich aber mehr und mehr dem Familien-Weingut Berthold in Neckarsulm, wo sie mittlerweile stark involviert ist.

Amelie Hummel: Hat Neckarsulm handballerisch in den Reserve-Teams lange die Treue gehalten und tut das auch privat.

 

Ohne die B-Juniorinnen gäbe es heute keine Bundesliga

Ohne die B-Juniorinnen der Neckarsulmer Sport-Union der Jahrgänge 1994 und 1995 gäbe es keinen Bundesliga-Frauenhandball in der Ballei - auch wenn von den damaligen Spielerinnen keine mehr im Erstligakader steht. Ihr DM-Titel war der Startschuss für das, was von 2011 an erreicht wurde.

"Wir haben die Mädels 2009 als württembergischer Meister und baden-württembergischer Pokalsieger der C-Juniorinnen übernommen", sagt Sven Fischer, mit Jürgen Kaufmann Trainer der damaligen Erfolgstruppe. Im ersten Jahr reichte es zum Mittelfeldplatz in der Württembergliga. Doch 2010/11 startete das Team durch. "Wir wollten uns für die Baden-Württemberg Oberliga qualifizieren", sagt Kaufmann beim Blick zurück.

Die T-Shirts wurden schwäbisch-sparsam umgestaltet

Als die Oberliga geschafft war, gab es als Belohnung T-Shirts mit dem Aufdruck "BWOL wir sind dabei". Sie waren aber nicht nur dabei, sie holten den Titel. Neue Shirts gab es keine. Aber: "Im Aufdruck wurde das Wort dabei durchgestrichen und durch das Wort Meister ergänzt", sagt Kaufmann über das "schwäbisch-sparsame" Update.

"Danach war das Team laut Fischer nun noch motivierter - oder wie Kaufmann ergänzt: "Ganz nach dem Motto von HVW-Trainerlegende Kurt Reusch, der stets zu pflegen sagte: GWG - gugga was gohd."

Arrogante Frankfurterinnen

Anno 2014 in Nordheim aktiv, heute im Hintergrund bei den Eulen: Julia Ost
Anno 2014 in Nordheim aktiv, heute im Hintergrund bei den Eulen: Julia Ost  Foto: Veigel

Es ging viel: Die süddeutsche Vizemeisterschaft und die damit verbundene Qualifikation für das DM-Viertelfinale. Auch diese Hürde meisterten die Mädels bravourös und standen im Final Four in Blomberg. Mittendrin unter den besten vier Teams in Deutschland, es war das Sahnehäubchen auf einer traumhaften Saison, aber die Krönung mit Kirsche sollte noch folgen.

In Blomberg übernachteten sie in einer Jugendherberge. "Es war schönes Wetter, die Mädels hatten ihren Spaß an der Tischtennisplatte", erinnert sich Fischer an die Ankunft des Halbfinalgegners Frankfurt/Oder, in dessen Team die komplette brandenburgische Landesauswahl versammelt war. "Die sind mit ihren Rollkoffern und Kopfhörern in Zweierreihe siegessicher vorbei marschiert - ohne uns zu beachten. Auch deren Trainerstab würdigte uns keines Blickes."

Mittagessen abbestellt

Beachtung fand tags darauf der 26:20-Erfolg, der auf dem Papier als Außenseiter abgestempelten NSU-Truppe. Damit hatte der Frankfurter HC nicht gerechnet. "Nach unserem Halbfinalsieg wollte Jürgen in der Jugendherberge das Mittagessen für den darauffolgenden Finaltag bestellen", erzählt Fischer. "Das ginge um diese Uhrzeit nicht", meinte der Herbergsvater, da hätten bereits die Frankfurter ihr Essen fix gebucht", fährt Kaufmann fort, der sich heute noch ein Grinsen nicht verkneift. "Ich habe damals geantwortet: Die brauchen diesen Termin nicht mehr, da sie um Platz drei spielen und früher essen müssen."

Im Endspiel wartete die JSG Nellingen-Wolfschlugen. Jener Verein, den Neckarsulm in der BWOL-Runde nach einem Unentschieden und einem Sieg auf Rang zwei verwiesen hatte, und dem sich die Unterländerinnen in den Finalspielen um den Süd-Titel nach einem 25:25 und einer 17:23-Niederlage geschlagen geben mussten.

Taktischer Kniff bringt die Entscheidung

"Wir wussten, gegen Nellingen haben wir eine Chance", erzählt Kaufmann, wie der Traum vom DM-Titel Realität wurde. Auch dank eines taktischen Kniffs nach einer Auszeit 45 Sekunden vor dem Ende beim Stand von 24:24. Isabel Tissekker (halblinks) und Svenja Kaufmann (halbrechts) tauschten ihre Positionen. "Eine Ansprache war nicht mehr nötig, die Mädels standen unter Strom, waren bis in die Haarspitzen motiviert", sagt Sven Fischer und Jürgen Kaufmann schließt an: "Isi hat das entscheidende Tor erzielt." Der erste deutsche Meistertitel einer Neckarsulmer Handballmannschaft war perfekt.

 

Der lange Weg zum Titel

Es war ein langer Weg, den die NSU-Mädels in der Saison 2010/11 bis zum DM-Titel gehen mussten. Vom ersten Spiel in der Oberliga-Qualifikation bis zum großen Finale waren es 358 Tage, geprägt von vielen Emotionen. Gleich fünf Mal wurde gegen die JSG Nellingen-Wolfschlugen gespielt, zum krönenden Abschluss im Endspiel.

Oberliga-Qualifikation: Mit zwei Siegen über die JSG Deizisau/Denkendorf (17:10) und SG Schorndorf (12:5) wurde am 19. Juni 2010 das Oberliga-Startrecht gesichert.

Oberliga: Der 19. September 2010 ist der Beginn der Erfolgsgeschichte. "Als wir gleich im ersten Spiel gegen den Stützpunkt JSG Nellingen-Wolfschlugen 25:25 spielten, war uns klar, wir können mithalten", sagt Trainer Jürgen Kaufmann, dass eine Woche später beim B-Juniorinnen-Meister JSG Neuhausen/Metzingen 32:26 gewonnen wurde. Am 5. März 2011 endete das Saisonfinale in der Pichterichhalle gegen Nellingen mit einem 27:26. Auf Grundlage des direkten Vergleichs bejubelte die NSU die BWOL-Meisterschaft mit 25:3 Zählern vor dem punktgleichen Kontrahenten aus den Fildern.

Süddeutsche Meisterschaft: Nach zwei Halbfinal-Siegen gegen Ismaning (23:18, 27:22) am 10. und 16. April 2011 hieß der Gegner in den Spielen (1. und 8. Mai) um die süddeutsche Meisterschaft erneut Nellingen. Da beide Endspielteilnehmer für die nächste Runde der DM qualifiziert waren, wurde nach einem 25:25 und einer 17:23-Niederlage gegen den Rivalen der verpasste Süd-Titel verschmerzt.

DM-Viertelfinale: Mit zwei Siegen (27:24, 24:18) am 21. und 29. Mai 2011 gegen den norddeutschen Meister TSV Hannover-Burgdorf qualifizierten sich die NSU-Mädels für das Final Four.

Isabel Tissekker warf sich bis ins Jugend-Nationalteam. 
Fotos: Archiv/Veigel
Isabel Tissekker warf sich bis ins Jugend-Nationalteam. Fotos: Archiv/Veigel  Foto: Veigel

Final Four: Am Freitag, 10. Juni, ging es in zwei Kleinbussen auf die Fahrt ins 420 Kilometer entfernte Blomberg. Samstags wurde im Halbfinale der HC aus Frankfurt/Oder vor etwa 80 mitgereisten Neckarsulmern 26:20 besiegt. Das tags darauf stattfindende Endspiel um die deutsche Meisterschaft der B-Jugend war erreicht. Gegner war zum fünften Mal binnen eines Jahres die JSG Nellingen-Wolfschlugen, die den Thüringer HC bezwungen hatte. Ausgeruht, durch Spaghetti gestärkt und per Video-Analyse bestens vorbereitet, ging es ins Endspiel. Doch nach 21 Minuten führte Nellingen 12:7.

Nach einer Auszeit des NSU-Trainerduos Jürgen Kaufmann und Sven Fischer kam das Team in den restlichen vier Minuten bis zur Halbzeit auf 10:12 heran. Sechs Minuten waren nach dem Seitenwechsel vergangen, da leuchtete von der Anzeigetafel ein 14:14. Die NSU legte immer wieder ein Tor vor und Nellingen glich stets aus. Beim 19:19 packten die Neckarsulmerinnen eine Schippe drauf zum 24:21. Doch der Gegner kam zurück: 24:24 stand es in der letzten Spielminute. Nach einer erneuten NSU-Auszeit war es Sekunden vor dem Abpfiff Isabel Tissekker, die mit einem fulminanten Schlagwurf, ihrem zwölften Finaltor, zum 25:24 traf. Der letzte Angriff der Nellingerinnen wurde unterbunden. Danach: Abpfiff und grenzenloser Jubel. Eine feucht-fröhliche Heimfahrt im Fan-Bus - etliche NSU-Anhänger stiegen in die Kleinbusse des Teams um - ein famoser Empfang am späten Abend auf dem Neckarsulmer Markplatz und eine Meisterparty bis in den frühen Morgen folgten.

 
Kommentar hinzufügen

Kommentare

Neueste zuerst | Älteste zuerst | Beste Bewertung
Keine Kommentare gefunden
Nach oben  Nach oben