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Das Neckarsulmer Handball-Konstrukt wackelt bedenklich

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Die Sport-Union Neckarsulm droht kurz vor dem Jahreswechsel und dem Heimspiel gegen Bensheim/Auerbach im Chaos zu versinken. Luisa Schulzes Zeit als Spielführerin ist zu Ende, ein Linksaußen-Transfer hat sich zerschlagen.

Degradiert: Luisa Schulze hat sich ihre Zeit in Neckarsulm anders vorgestellt. Sie musste ihr Amt als Spielführerin abgeben.
Degradiert: Luisa Schulze hat sich ihre Zeit in Neckarsulm anders vorgestellt. Sie musste ihr Amt als Spielführerin abgeben.  Foto: IMAGO/Eibner-Pressefoto / Jan Strohdiek

Alles habe angefangen mit unglaublich viel Pech, sagt Gerhard Husers und blickt einige Wochen und Monate zurück. Mit der Krankheits- und Verletzungswelle zu Saisonbeginn sei der Start mit den vielen neuen Spielerinnen denkbar schlecht gewesen. Seitdem ist viel passiert - vieles davon nicht zum Besseren, da möchte der Sportliche Leiter der Handball-Abteilung der Sport-Union Neckarsulm nicht drumherum reden.

Es lässt sich inzwischen auch nicht mehr kaschieren: Der Bundesligist ist seit dem Spätsommer gehörig vom selbst anvisierten Weg abgekommen. Rund um das Heimspiel am Mittwoch gegen die HSG Bensheim/Auerbach (19.30 Uhr, Ballei-Sporthalle) besteht in Neckarsulm auf mehreren Ebenen akuter Handlungs- und Klärungsbedarf. Die Situation ist verfahren.

Verein führt derzeit keine Trainerdiskussion

Optimistisch: Tanja Logvin kennt die Mechanismen des Geschäfts. "Die Leute erwarten eine Reaktion", sagt sie vor der Partie gegen die HSG Bensheim/Auerbach.
Optimistisch: Tanja Logvin kennt die Mechanismen des Geschäfts. "Die Leute erwarten eine Reaktion", sagt sie vor der Partie gegen die HSG Bensheim/Auerbach.  Foto: Veigel, Andreas

"Meine Kinder haben mich heute gefragt, ‚Mama, wirst du entlassen?"", berichtet Trainerin Tanja Logvin. Die Österreicherin kann noch lachen, als sie die kleine Anekdote erzählt. Aus dem Verein sei mit Blick auf ihre Zukunft in Neckarsulm bisher niemand an sie herangetreten. Logvin, die einen Vertrag bis 2025 besitzt, sagt aber auch: "Ich bin nicht dumm, ich weiß, dass die Leute über die Trainerin sprechen."

Die Sport-Union hat nach fünf teils bedenklichen Niederlagen in Folge eine Trainerdiskussion - ob sie will oder nicht. Allerdings nur von außen, nicht im Verein, wie Rolf Härdtner betont. "Bei uns gibt es diese Debatte noch nicht", sagt der Vorstandschef. So wie die Trainerin, ist sich jedoch auch Härdtner über die Mechanismen der Branche im Klaren. "Ich kann ja nicht die Mannschaft austauschen", sagt er, "ich würde es gerne, aber ich kann es nicht." Im Umfeld werde im Angesicht von Misserfolgen schnell vergessen, was zuvor alles geleistet worden sei, betont Härdtner. Tanja Logvin sitzt weiterhin im Sattel. Wie fest, wissen einzig die Neckarsulmer Verantwortlichen.

Gerhard Husers sieht ein Kopf-Problem

Enttäuscht: Gerhard Husers sieht die Spielerinnen in der Pflicht.
Enttäuscht: Gerhard Husers sieht die Spielerinnen in der Pflicht.  Foto: Bertok, Alexander

Gerhard Husers, der den Bundesliga-Kader als Sportlicher Leiter gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Logvin zusammengestellt hat, sieht das Problem auf einer anderen Ebene: "Es hilft nicht, einen neuen Trainer, einen neuen Geschäftsführer oder neue Sponsoren zu holen, das ist ein Problem, das zwischen den Ohren der Spielerinnen liegt. Und das kann man nicht trainieren."

Die Mannschaft selbst sei es, die sich aus der aktuellen Situation und aus dem Tabellenkeller wieder herauskämpfen müsse. "Die Mädchen müssen selbst bessere Leistungen bringen, selbst wieder aufstehen. Nicht ich oder Tanja können das machen."

Nicht alle Sommer-Transfers haben eingeschlagen

Husers räumt ein, dass einige der im Sommer getroffenen Personalentscheidungen unglücklich gewesen seien: "Es hat sich herausgestellt, dass das nicht die richtigen Spielerinnen sind, die wir geholt haben, dass es auf die ein oder andere Weise nicht zusammenpasst", sagt der Niederländer, der neben seiner Beschäftigung in Neckarsulm auch als Spielerberater in der Branche tätig ist. "Aber ich kann nicht zaubern. Wenn ich wüsste, was man tun könnte, würde ich es machen", sagt er angesichts der sportlichen Schieflage.

Husers kennt den Markt, schaut gerne über die nationalen Grenzen hinaus. Doch personelle Veränderungen seien zurzeit kaum denkbar. "Wir können wenig tun. Es sind fast keine Spieler verfügbar und wir haben auch nicht die finanziellen Mittel wie der Thüringer HC oder Bietigheim."

So muss die Sport-Union auf das Personal vertrauen, was sie bereits hat. Stand jetzt bleibt das auch so, denn der Großteil des Kaders hat Verträge bis 2024. Mehrere Vertragsgespräche seien daher kurzfristig nicht notwendig, betont Husers. Im Sommer laufen die Kontrakte von Sarah Wachter, Carmen Moser (mit einer Option bis 2024), Daphne Gautschi und Sophie Lütke aus.

Logvin setzt Luisa Schulze als Spielführerin ab

Sogar bis 2025 ist auf dem Papier auch noch Luisa Schulze an die Sport-Union gebunden. Ob die 32-Jährige, die sich derzeit beim Verein krankgemeldet hat, ihren Vertrag auch erfüllen wird, ist inzwischen mehr als fraglich. "Vor kurzem", sagt Tanja Logvin, habe sie die Nationalspielerin als Spielführerin abgesetzt. Warum, bleibe intern, sagt die 48-Jährige. "Das Vertrauen zwischen beiden Seiten war nicht mehr da", weiß Vorstandsvorsitzender Rolf Härdtner. Schulze selbst mochte sich am Dienstag auf Nachfrage nicht zum Sachverhalt äußern.

Besorgt: Rolf Härdtner appelliert an die Mannschaft.
Besorgt: Rolf Härdtner appelliert an die Mannschaft.  Foto: Berger

Logvin will sich mit der Suche nach einer Nachfolgerin Zeit lassen, wie sie sagt. Wer die Rolle gegen Bensheim übernehmen wird, möchte sie im Vorfeld nicht verraten. Zuletzt war Neuzugang Nina Engel (19) zweimal eingesprungen. Aus dem Kreise des Mannschaftsrates (Wachter, Lütke, Olga Gorshenina) hatte sich offenbar keine der erfahrenen Spielerinnen berufen gefühlt, die vakante Position - zumindest interimsweise - zu übernehmen.

Welche Rolle spielt Schulzes neue Berateragentur?

"Es ist schwierig einen neuen Kapitän zu finden, weil es jemand braucht, der die ganze Mannschaft mitziehen kann", benennt Gerhard Husers ein Problem. Ob Luisa Schulze eine Zukunft im Unterland hat, wisse er nicht.

An Spekulationen, nach denen Schulzes sportliche Zukunft mit ihrem im Spätherbst bekanntgewordenen Wechsel zur niederländischen Berateragentur "Grand Slam International" in Zusammenhang steht, möchte sich Husers nicht beteiligen. Dort ist mit Maura Visser eine ehemalige Bietigheimer Teamkollegin Schulzes einer der führenden Köpfe.

Tanja Logvin hofft auf Unterstützung der Fans

Die Mannschaft trainiere wie ein Weltmeister, spiele mitunter aber wie in der Kreisklasse, sagt der Niederländer. "Tanja und ich geben alles. Wir sind überzeugt, dass sich das Blatt wenden wird. Das Team braucht nur mal einen Schubs", ist sich Husers sicher. Diesen versuchte Rolf Härdtner der Mannschaft am Dienstag mit auf den Weg zu geben, indem er dem Team beim Abschlusstraining noch einmal eindrücklich ins Gewissen redete.

Tanja Logvin betont: "Ich hoffe am Mittwoch auf eine gute Kulisse und dass die Fans uns mit Herz unterstützen." Ob sie dies tun werden und wie es angesichts des engen Spielplans weiter geht, scheint derzeit offen. Auszuschließen ist in Neckarsulm dieser Tage nichts.


Wajoka-Wechsel vorerst geplatzt

Es passt ins derzeit unglückliche Bild, dass der angedachte Wechsel von Suzanne Wajoka (21), einer Linksaußen-Spielerin vom sich im Insolvenzverfahren befindenden französischen Zweitligisten Fleury Loiret HB, auf den letzten Metern doch noch platzte.

Husers hatte, nachdem Wajoka bereits ein Probetraining in Neckarsulm absolviert hatte, mehrere Tausend Kilometer auf der Autobahn verbracht, um den Deal auf den Weg zu bringen. Dann habe sich jedoch der französische Handballverband eingeschaltet und 15000 Euro Ausbildungsentschädigung gefordert. Trotz der Unterstützung von Sponsoren, sei ein solches Transfervolumen nicht stemmbar, sagt Husers enttäuscht.

Eine Verstärkung auf der Linksaußen-Position, auf der derzeit nominell nur Lin Johannsen zur Verfügung steht, war überhaupt erst nötig geworden, weil die Norwegerin Marthine Svendsberget im Spätsommer ihre Zelte in Neckarsulm nach wenigen Wochen vorzeitig abgebrochen hatte. Husers ärgert sich über den Abgang immer noch: "Marthine war eine top Linksaußen, vielleicht die beste Verpflichtung, die wir je gemacht haben."

 
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