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Ex-ZDF-Experte Toni Innauer: "Die Vorzeichen der Vierschanzentournee sind sehr außergewöhnlich"

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Toni Innauer spricht vor dem Auftakt der Vierschanzentournee über die Auswüchse der deutsch-österreichischen Rivalität, die deutsch-österreichischen Ambitionen und die neue Stärke von Karl Geiger und Andreas Wellinger.

Der ehemalige Experte beim ZDF, Toni Innauer, spricht über den Auftakt der Vierschanzentournee.
Der ehemalige Experte beim ZDF, Toni Innauer, spricht über den Auftakt der Vierschanzentournee.  Foto: IMAGO/Zoonar.com/Joachim Hahne

Es knistert aus deutsch-österreichischer Sicht vor der Vierschanzentournee, nur Skispringer beider Nationen haben diesen Winter im Weltcup Siege geholt. Geht das bei der Tournee weiter? Toni Innauer, Intimkenner beider Lager, hat viel zu erzählen und sagt über die ewig junge Rivalität: "In der DDR wussten sie schon, was taktische Kriegsführung im Sport ist."

Herr Innauer, wie nehmen Sie die Stimmungen vor der 72. Vierschanzentournee wahr, die verspricht, nach langer Zeit wieder ein deutsch-österreichisches Duell zu werden?

Toni Innauer: Die Vorzeichen sind schon sehr außergewöhnlich und sehr spannend. Österreich schaut mit großer Hoffnung auf diese Vierschanzentournee – sie ist einfach das Nonplusultra, die Wintersportveranstaltung, die es am längsten gibt. Das mag man, wenn die nationalen Helden richtig in Form sind – auch in Deutschland. Alle wissen: Wenn wir jetzt einschalten, sehen wir ein schönes Programm zum Jahreswechsel.

Wie haben Sie die deutsch-österreichische Rivalität früher erlebt?

Innauer: Das geht zurück in die Zeit, wo es noch zwei Deutschlands gab. Es war damals in erster Linie eine Rivalität zwischen Österreich und der DDR. Das war unschön. Beispielsweise waren im Bergiselstadion in Innsbruck unheimlich viele deutsche, westdeutsche Touristen – mehr als Österreicher –, die die ostdeutschen Springer massiv ausgepfiffen haben. Die waren mehr auf der Seite der Österreicher - das war viele Jahre lang eine Konstellation, die man sich heute gar nicht vorstellen kann. Die Ostdeutschen waren teilweise sehr provokant, haben das Verhältnis vorher mit Aussagen geschürt. Die wussten schon, was taktische Kriegsführung im Sport ist.

Gab es mal richtigen Zoff?

Innauer: Oh ja, in Zeiten von Reinhard Hess und Co-Trainer Wolfgang Steiert. Der wurde dann aber bei einem Bier auch wieder beigelegt. Die Emotionen sind oft hochgekocht. Wir hätten die Vierschanzentournee ja so gerne gewonnen. Aber es war zum Verrücktwerden: Wir hatten etliche Springer auf den Plätzen zwei bis sechs – mal hinter Jens Weißflog, mal hinter Dieter Thoma, mal hinter Sven Hannawald. Aber umgekehrt soll es ja auch mal der Fall gewesen sein. (lacht)

Herrliche Vorlagen für die Reporter.

Innauer: Ja, zumal natürlich Kraftausdrücke gefallen sind. Es gab Versuche, das medial aufzuladen. Wir haben uns auch aufladen lassen, weil wir alle nervös waren vor der Tournee. Schon damals hat man gewusst, wie man Interviews führen muss, wie man den Kollegen aus dem Ausland aus der Reserve lockt. Heute kommuniziert ja jeder direkt über Social Media. Und für Journalisten ist es nicht mehr so leicht, die Trainer in die Hahnenkampfposition zu bringen. Zudem gibt es einen weiteren großen Unterschied.

Und der wäre?

Innauer: Wir sind als Österreicher bei euch mit dem Trainerteam mehr präsent als umgekehrt. Stefan Horngacher hat die Tournee schon als Cheftrainer gewonnen – nicht mit den Österreichern, sondern mit Polen. Er weiß, wie man so etwas durchbringen kann.


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Wem drücken Sie die Daumen?

Innauer: Es wäre schon geheuchelt, wenn ich sage: Ich drücke nur Stefan Horngacher die Daumen und hoffe, dass die Deutschen nach 22 Jahren die Tournee gewinnen. Aber ich könnte sehr gut damit leben. Das hat natürlich auch mit meiner zwölfjährigen Tätigkeit beim ZDF zu tun. Ich hatte zu den deutschen Springern, gerade zu Andreas Wellinger, engen Kontakt. Karl Geiger schätze ich sowieso sehr. Ich würde mich freuen, wenn einer von den beiden gewinnen würde. Aber auch, wenn es Stefan Kraft ist, der die Tournee für sich entscheidet.

Er war der bisher letzte österreichische Tourneesieger, 2014/2015. Ist das ein Vorteil für ihn?

Innauer: Ja, ich halte es für einen Vorteil. Ich selber habe die Tournee nie gewonnen, war mir da zum Teil selber im Weg: Weil es mir zu viel bedeutet hat. Wenn man den Tourneesieg aber mal in der Tasche hat, braucht man zwischen den Springen vielleicht weniger Energie. Weil man weiß, was die entscheidenden Züge sein werden.

Somit ist Stefan Kraft der Topfavorit.

Innauer: Ja. Aber bei ihm werden zwei Dinge wichtig sein: Hält der Rücken, der sich wieder gemeldet hat, dieser doch dichteren Belastung stand? Er hat nicht wie beim Weltcup ein paar Tage dazwischen zum Regenerieren, bei der Tournee geht es Schlag auf Schlag. Und: Garmisch ist die Schanze, die für Stefan Kraft die Tournee entscheidet. Sehr oft hat es ihn dort schon ausgespuckt. Bei Geiger und Wellinger sehe ich keine Schanze, auf der sie überhaupt nicht zurechtkommen.

Ist es ein großer Vorteil, dass sich die Last der Deutschen diesmal auf mehrere Schultern verteilt?

Innauer: Ja, es war vielleicht bisher immer das deutsche Problem, dass sie zwar einen Guten gehabt haben – aber an dem hing dann einfach alles. Das scheint heuer anders zu sein, da ist eine mannschaftliche Stärke da. Karl Geiger und Andreas Wellinger haben jedenfalls beide das sportliche Kaliber, die Vierschanzentournee zu gewinnen.

Und Pius Paschke?

Innauer: Er ist für mich die große Sensation dieses Winters. Aber er ist ein bisschen zu neu in dem Spiel. Deshalb würde ich ihn nicht ganz so hoch handeln. Wenn Geiger oder Wellinger die ersten zwei Bewerbe durchhalten, dann sind sie gut dabei. Weil der Druck in Österreich für die Österreicher eher ein bisschen mehr werden wird. Und gerade Wellinger liegt die Schanze in Bischofshofen besonders. Wenn er sich bis zum Finale im Spiel hält, dann wird er dort ganz stark sein.

Läuft es rein auf dieses deutsch-österreichische Duell hinaus, oder tut sich einer auf der Überholspur leichter?

Innauer: Es kommen höchstens Halvor Egner Granerud, Dawid Kubacki oder Ryoyu Kobayashi infrage – einer, der die Tournee schon gewonnen hat. Aber nur, wenn die jetzt noch richtig in Tritt kommen.

Wie werden Sie die Tournee nach Ihrem Rücktritt beim ZDF verfolgen?

Innauer: Ich werde nur in Innsbruck vor Ort dabei sein, sonst mit der Fernbedienung hin und her schalten. Es interessiert mich natürlich, was mein Nachfolger Severin Freund macht und wie er das macht. Er ist ein cleverer Bursche, der als Experte genauso akribisch ist wie als Springer. Sprechen kann er auch. Und ich horche bei meinem Freund Werner Schuster auf Eurosport rein. Natürlich auch beim ORF.

Und an Neujahr legen Sie die Beine mal hoch aufs Sofa?

Innauer: Ja, tatsächlich. Ich will diesmal die volle Kombination erleben: erst das Neujahrskonzert, für das es sich nie ausgegangen ist, dann das Neujahrsspringen.

Als Zugabe gibt"s dann noch das Frauenskispringen aus Oberstdorf?

Innauer: Natürlich! Das muss ich gesehen haben.

Die Premiere der Two-Nights-Tour ist etwas Halbes und nichts Ganzes: Wie wird die halbe Vierschanzentournee der Skispringerinnen ankommen?

Innauer: Ich glaube, dass ein großes Interesse da ist. Es geht dabei nicht nur um den Sport, sondern auch um Bastionen, darum, dass das Frauenskispringen in ganz wichtigen Wettbewerben Flagge zeigen kann. Es wird ein wichtiger Anfang sein, es wird Geschichte geschrieben – wenn auch nur die halbe. Diese Dinge müssen ausprobiert werden. Auch für die Organisatoren, um daraus Rückschlüsse zu ziehen, wie es dann weiterzuführen wäre, ob ein volles Programm mit vier Springen möglich ist und wie man es organisatorisch bewältigen kann.

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