Skispringer Karl Geiger, der Schanzenflüsterer
Der Oberstdorfer gewinnt die Generalprobe der Tournee und startet zu Hause in Gelb. Erster am Samstag, sonntags reicht es zu Platz zwei.

Skispringen ist ohne Worte. Die formidablen Flieger haben Mühe, die glückseligen Sekunden beim Sprung von der Schanze in Worte zu fassen. Engelberg ist in diesem himmlischen Sport alle Jahre wieder eine ganz besondere Station. Weil es die Generalprobe für die Vierschanzentournee ist. Und weil die Groß-Titlis-Schanze sehr speziell ist. Markus Eisenbichler sagte am Samstag tief frustriert: "Die Schanze spricht nicht mit mir." Auch Karl Geiger hatte bis zu seinem allerersten Weltcup-Sieg auf der sehr steilen Naturschanze "keine Ahnung, wie ich sie knacken kann". Doch seit dem Coup am 15. Dezember 2018 "reise ich mit einem Grinser im Gesicht nach Engelberg und denke mir: Ja, die Schanze ist schwierig. Aber sie kann sehr cool sein." So wie am Samstag - als dem 28-jährigen Schanzenflüsterer sein elfter Weltcup-Sieg glückte. Es ist ein besonders wichtiger.
Presserunde unter 2G-plus-Bedingungen
Karl Geiger hatte am Samstagmorgen im himmlischen, tief verschneiten Schweizer 4000-Einwohner-Ort eine Ankündigung gemacht. "Das Engelberg-Wochenende ist für mich wichtig", sagte er in einer Presserunde unter 2G-plus-Bedingungen. Es gebe sprungtechnisch noch einiges aufzuarbeiten vor dem Tourneestart am 28. Dezember mit der Qualifikation in Oberstdorf. Und der Freitag hatte den besten deutschen Skispringer nicht gerade glücklich gemacht.
Für Geiger ist Skispringen eine Art Steigerungslauf
"Wenn ich im Probedurchgang besser bin als in der Qualifikation, dann ärgert mich das", sagte Geiger. Ihn zeichne eigentlich aus, dass es genau andersherum sei. Ja, für den Spätstarter Karl Geiger ist Skispringen eine Art Steigerungslauf. Das gilt für seine Erfolge. Das gilt für seine Sprünge. Wenn es wichtig ist, packt der viermalige Weltmeister noch eine Schippe drauf. Auf die 129,5 Meter im Probedurchgang folgten am Samstagnachmittag 137 Meter im ersten Durchgang, 140 Meter im zweiten.
Ein Sieg, der für viel Auftrieb sorgt
"Das war echt ein Schritt nach vorne. Der Sieg gibt mir extrem viel Auftrieb, der war mir wichtig", stieß Karl Geiger im eiskalten Engelberg ein Rauchwölkchen der Erleichterung durch seine FFP2-Maske und scherzte: "Auf der Skala von eins bis zwei war es definitiv eine zwei: Mir sind mal wieder zwei Granaten rausgerutscht." Constantin Schmid, als Zwölfter zweitbester Deutscher, war nicht überrascht: "Das ist halt der Wettkampf-Karl, der kann immer so Sprünge machen. Die Schanze hier kann er."
Am Sonntag war das Mannschaftsergebnis besser
Die anderen Deutschen konnten sie nicht so recht: Pius Paschke wurde 21., der von der Groß-Titlis-Schanze unerhörte Markus Eisenbichler ("Sie ist ein schwerer Gegner für mich") und Stephan Leyhe teilten sich Platz 27, Andreas Wellinger verpasste den zweiten Durchgang (43.). Gestern war das Mannschaftsergebnis besser. "Ich bin sehr zufrieden mit der Mannschaft, die Tournee kann kommen", sagte Bundestrainer Stefan Horngacher. Wenngleich diesmal Eisenbichler als 35. auf der Strecke blieb, der bescheidene Bayer keine weitere Chance zur Kommunikation mit der bockigen Schanze bekam.
Leyhe (25.), Wellinger (18.), Schmid (11.) und Paschke (9.) präsentierten sich am Sonntag bei zum Teil schwierigen Windbedingungen gut, Karl Geiger wurde Zweiter, musste sich lediglich Ryoyu Kobayashi geschlagen geben - der Japaner war am Samstag Zweiter geworden.
Tourneestart im Gelben Trikot des Führenden im Gesamtweltcup
Was bedeuten die beiden Springen von Engelberg nun für die Vierschanzentournee? "Was hier passiert", sagte Karl Geiger, "spielt im Endeffekt bei der Tournee überhaupt keine Rolle." Wobei er wie in Engelberg auch in seinem Heimatort Oberstdorf mit dem Gelben Trikot des im Gesamtweltcup Führenden an den Start gehen wird. "Das ist megacool, ich freue mich drauf, in meiner Heimat als Letzter oben sitzen zu dürfen. Das ist das, worauf man immer hinarbeitet. Aber am liebsten wäre es mir natürlich, wenn ich das Trikot auch noch nach dem letzten Springen Ende März in Planica anhätte." Das wäre dann wahrscheinlich: ohne Worte.