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"Ich gebe für Peking eine tröstende Schulter"

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DIe Doppel-Olympiasiegerin im Rodeln, Natalie Geisenberger, und die Olympia-Zweite Dajana Eitberger sprechen im Interview offen über ihre schnelle Rückkehr in den Weltcup nach der Geburt ihrer Söhne, die Schwierigkeit loszulassen und ihre Ziele.

Nur wenige Monate nach der Babypause möchte Dajana Eitberger im Weltcup jubeln.
Nur wenige Monate nach der Babypause möchte Dajana Eitberger im Weltcup jubeln.  Foto: Expa/Stefan Adelsberger

Zwei Topathletinnen, zwei Geburten, zwei Comebacks - und zwei Wege, wie Mama-Sein und Leistungssport vereinbar sind. Doppel-Olympiasiegerin Natalie Geisenberger (32) und die Olympia-Zweite Dajana Eitberger (29) sprechen vor dem Weltcup-Auftakt an diesem Samstag in Innsbruck-Igls offen über ihren stressigen Alltag, Gefühle und Ziele.

Wie fühlt sich das Leben als Mama und Weltklasserodlerin an?

Dajana Eitberger: Sehr gut. Mein Freund und ich wussten, auf welches Abenteuer wir uns einlassen. Es lässt sich für mich gut vereinbaren, weil Levi ein sehr entspanntes Kind ist, aber er braucht auch sein gewohntes Umfeld. Einzig die Partnerschaft steht etwas hintenan. Kam Chris in der Vorbereitung nach Hause, habe ich ihm das Kind in die Hand gedrückt und bin zum Training. Unsere Qualitätszeit beginnt erst, wenn Levi im Bett ist.

Die Doppelolympiasiegerin Natalie Geisenberger spricht vor dem Weltcup-Auftakt über ihren stressigen Alltag, ihre Gefühle und Ziele.
Die Doppelolympiasiegerin Natalie Geisenberger spricht vor dem Weltcup-Auftakt über ihren stressigen Alltag, ihre Gefühle und Ziele.  Foto: Martin Schutt

Wie klappt es bei Ihnen aus, Frau Geisenberger?

Natalie Geisenberger: Wir sind wahnsinnig dankbar, dass wir seit Mai Eltern sind. Ich habe von Anfang an gesagt, wenn alles klappt, würde ich nach der Geburt gerne wieder in den Sport einsteigen. Olympia 2022 in Peking reizen mich sehr. Bei mir leidet wenig - maximal habe ich weniger Zeit für mich. Ich stille den Kleinen auch noch, das ist mir wichtig. Quasi zwischen Training und Werkstatt. Er ist überall dabei, mein Mann macht Hotel-Homeoffice. Es ist logistisch nicht ganz einfach und ich weiß am Abend, was ich getan habe. Dass das stressig wird, war uns aber klar.

Bei wie viel Prozent Leistungsfähigkeit sind Sie denn schon wieder?

Geisenberger: Schwierig zu sagen. Ende Juni habe ich wieder mit Training angefangen, aber man geht nicht gleich in den Kraftraum und macht Bankziehen, sondern beginnt mit Rückbildung. Mir fehlt schon einiges an Training, wobei ich die Zeit, die ich hatte, extrem gut nutzen konnte. Doch ich werde auch nicht jünger, daher fällt mir alles ein bisschen schwerer. Aber ich bin athletisch auf einem Stand, wo ich mich zumindest nicht verstecken muss.

Eitberger: Bei mir war das etwas schwieriger - auch wenn ich meinen Sohn zehn Wochen vor Geisi geboren habe -, denn ich hatte einen Not-Kaiserschnitt. Das ein oder andere Mal schmerzt die Narbe auch noch. Wir haben einen Physiotherapeuten, der das behandelt. Ich habe einen langsamen Aufbauplan gewählt und bin athletisch noch nicht auf dem alten Niveau. Für mich zählen die Spiele 2022. Im Moment gibt mir Geisi am Start schon bis zu einer Zehntel. Das ist eine Hausnummer, aber ich überstürze nichts.

Sind Sie noch genauso risikofreudig unterwegs wie früher?

Eitberger: Für mich war klar, Rodeln ist eine Risikosportart, aber mir kann auch im Straßenverkehr was passieren. Ich bin jedoch behutsamer geworden, möchte schöne, konstante Läufe zeigen, weniger rumtüfteln. Aber mir ist aufgefallen, dass das Niveau in der Mannschaft unfassbar hoch ist, ich auf dem Schlitten ein anderes Liegegefühl habe und um die Fahrlage viel mehr kämpfen muss. Das ist dieses Risiko, das ich eingehe. Nicht, dass ich als Kamikaze runterfahre. Geisenberger: Ich hatte schon Respekt. Als ich in Altenberg meinen ersten Lauf gemacht habe, war kurz ein "Will ich das noch?" im Kopf. Im Ziel dachte ich: "Ja." Es ist Rennsport, und sobald man den Helm aufsetzt, hat das einen Grund. Nur: Ich bin schon vorher nicht diejenige gewesen, die den Kopf ausschaltet, das läuft mit Hirn und Verstand. Ich sitze jetzt nicht am Start und habe Angst, es macht einfach nur wieder Spaß.

Zur Person Natalie Geisenberger

Natalie Geisenberger hat am 2. Mai diesen Jahres ihren Sohn Leo geboren, Vater ist ihr Mann Markus Scheer. Die 32-Jährige ist Doppel-Olympiasiegerin von Sotschi 2014 und Pyeongchang 2018, eine der erfolgreichsten Rodlerinnen aller Zeiten. Insgesamt hat Geisenberger neun WM-Titel errungen und als erste Frau sieben Mal in Folge den Gesamtweltcup. Die Bayerin ist Polizeiobermeisterin und trainiert seit Jahren bei Bundestrainer Norbert Loch.

Und wie lauten die sportlichen Ziele?

Geisenberger: Ich plane auf jeden Fall erstmal bis Peking 2022. Diese Saison mit der neu gewonnenen Heim-WM am Königssee sehe ich aber nicht als Zwischenziel. Ich bin eh nicht der Typ, der einfach nur dabei sein will, um dabei zu sein. Allerdings habe ich mir keine konkreten Platzierungen als Ziel gesetzt. Mit Julia Taubitz haben wir die Gewinnerin des Gesamtweltcups der vergangenen Saison im Team, Dajana und ich haben das Rodeln in dem einen Jahr anscheinend auch nicht verlernt. Ich freue mich auf die Saison, auch wenn die Olympischen Spiele immer im Hinterkopf sind.

Eitberger: Ich habe das etwas anders gehandhabt, mir Meilensteine gesetzt. Der erste war der Startlehrgang im Sommer, wo ich wirklich unfit reingegangen bin. Der nächste Meilenstein war der zweite Lehrgang im September in Berchtesgaden, dann habe ich mir die Qualifikation für den Weltcup als Ziel gesetzt. Das ist jetzt gemeistert, daher ist der nächste Meilenstein die WM-Nominierung. Das klingt vielleicht nicht so schwer, aber die aktuelle Situation lässt es nicht zu, immer mit einem festen Startplatz zu rechnen. Jede Woche machen wir Corona-Tests. Fällt da mal einer positiv aus, bin ich ganz schnell weg und eingetauscht. Es wird sehr interessant, wie es international aussieht. Die Anderen schlafen auch nicht.

Haben Sie denn schon einen Vergleich zur internationalen Konkurrenz?

Geisenberger: Nein, wir waren vor den deutschen Meisterschaften zwar in Igls mit den Italienern in einer Gruppe, aber Vergleiche sind immer schwierig. Wir haben ja sogar teamintern kaum Vergleiche, weil wir Corona-bedingt alle in kleinen Gruppen trainieren. Es wird für alle spannend, für Dajana und mich noch ein bisschen mehr.

Werden Sie Ihren Sohn auch zu den Weltcups mitnehmen?

Geisenberger: Er ist nicht an der Bahn, doch mein Mann und meine Eltern sind nie weit weg - wenn was ist, bin ich schnell da. Nur für den Weltcup in Peking überlege ich mir noch eine Lösung. Für Sigulda schauen wir mal. Corona-bedingt kommt es mir entgegen, dass sonst alle Weltcups in der Nähe stattfinden. Daher kann Leo immer in meiner Nähe sein, anders würde es mein Mutterherz auch nicht schaffen. Mein kleiner Sohn ist jetzt einfach meine Nummer eins. Eitberger: Ich kann Natalie spätestens, wenn es nach Peking geht, eine tröstende Schulter geben. Ich weiß genau, wie sich das anfühlt. Den ersten Lehrgang in Sigulda Anfang Oktober habe ich mich das erste Mal für längere Zeit von meinem Sohn verabschiedet. Im Flugzeug habe ich mich nach ganz hinten verkrümelt und eine halbe Stunde lang geheult. Es war wirklich schwierig. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es mich so übermannt. Ich unterstütze Natalie, dass sie die Zeit in Peking übersteht.

Zur Person Dajana Eitberger

Dajana Eitberger hat am 21. Februar 2020 ihren Sohn Levi auf die Welt gebracht, Vater ist ihr Lebensgefährte Christopher Mayer. Die 29-jährige Thüringerin ist bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang Zweite hinter Natalie Geisenberger geworden und hat vor ihrer Schwangerschaft bei der WM Bronze im Sprint gewonnen. Die Sportsoldatin gehört zur Oberhofer Trainingsgruppe um Norbert Hahn und Jan Eichhorn und hat sechs Weltcupsiege errungen.

Und wie ist die Kinderbetreuung bei Ihnen geklärt?

Eitberger: Ganz anders. Mein Freund ist Radiomoderator. Für ihn geht Anfang des Jahres wieder die Funk-Analyse los, da muss er an seiner Arbeitsstätte sein. Dafür habe ich absolutes Verständnis. Wir haben großes Glück, dass Levi ab 1. Dezember einen Kita-Platz hat und dort betreut wird. Chris macht noch die restliche Elternzeit, die Eingewöhnung für Levi und ab Januar bespaßt Levi dort die anderen Kinder. Ich habe für mich beschlossen, entspannter zu sein, wenn meine Liebsten zu Hause sind. Ich weiß, Levi braucht einen geregelten Tagesablauf und das Umherreisen für ein kleines Wesen auch anstrengend ist. Dem wollte ich ihn nicht aussetzen.

Einfach wird das sicher nicht.

Eitberger: Ich trage einen Haufen emotionalen Ballast mit mir, lebe mit Videochats, Sprachnachrichten und bin so über alles informiert, was zu Hause los ist. Es ist nicht leicht als Mama, aber wir bekommen das hin. Wenn alles gut geht und ich Richtung Peking unterwegs bin, erlebe ich leider auch Levis ersten Geburtstag nicht mit. Das ist der Preis, den ich dafür zahle, das machen zu können, was ich halt auch liebe. Auch wenn zwei Herzen in meiner Brust schlagen, habe ich mich für diesen Weg entschieden und versuche es so gut es geht zu meistern.

 
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