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Timo Boll: Au revoir eines Weltsportlers nach sieben Olympischen Spielen

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Mit Timo Boll verliert der deutsche Sport nach dem Aus im Viertelfinale von Olympia einen Star, der selbst in China verehrt wird.

Sieben Mal Olympia − 2024: Tränen nach der Niederlage gegen die starken Schweden. Timo Boll nimmt international Abschied.
 Fotos: dpa
Sieben Mal Olympia − 2024: Tränen nach der Niederlage gegen die starken Schweden. Timo Boll nimmt international Abschied. Fotos: dpa  Foto: Marijan Murat

Da sitzt er auf seinem Stuhl und spürt eine gewisse Leere. Timo Boll weiß nicht, wie er sich verhalten soll. Es ist ja jetzt eine neue Situation. Es gibt Augenblicke, auf die sich auch ein Profi nicht vorbereiten kann. Erschöpft ist er. Ratlos und enttäuscht nach seinem 1:3 gegen Anton Källberg und damit dem Aus der deutschen Mannschaft im olympischen Viertelfinale am Dienstagabend gegen Schweden. Aber irgendwie ist Timo Boll auch froh, dass es vorbei ist mit dem Druck.

Alles Kämpfen hat nichts geholfen. Timo Boll verliert. Auch Deutschland, denn der Abschied eines Sportlers von Weltruhm ist gekommen. Es ist das internationale Ende einer Ausnahmekarriere. "Ein herausragender Spieler, der Größte, den wir je hatten", sagt Bundestrainer Jörg Roßkopf. "Es war herausragend, mit ihm zu arbeiten. Ein Großer, der die Sportbühne verlässt."

Die Sprechchöre übermannen ihn

2008 in Peking: Auch in China ist der Odenwälder ein gefragter Mann.
2008 in Peking: Auch in China ist der Odenwälder ein gefragter Mann.  Foto: Jens Buettner

Durch die Halle 4 in Paris Süd schallen "Timo, Timo"-Rufe. Timo Boll weint seine Tränen in ein weißes Handtuch. "Die Sprechchöre", sagt der 43-Jährige, "da hat es mich brutal übermannt."

Das Publikum erhebt sich. Ovationen und ein minutenlanger Applaus. Timo Boll verneigt sich - auch vor den Siegern aus Schweden, die artig klatschen, statt sich selbst zu feiern. Sie wissen, was dieser Mann für ihren Sport geleistet hat. Wie der Hallensprecher: "Dies waren seine siebten Spiele, er gewann mit dem deutschen Team zweimal Olympia-Silber, zwei Mal Olympia-Bronze, er stand drei Mal an der Spitze der Weltrangliste."

Auch Dirk Nowitzki ist dabei

2004 in Athen: Boll kommt im Einzel bis ins Viertelfinale.
Foto: imago/Chai v.d. Laage
2004 in Athen: Boll kommt im Einzel bis ins Viertelfinale. Foto: imago/Chai v.d. Laage  Foto: imago

Ein Vierteljahrhundert Tischtennis-Vita im Schnelldurchgang. "Wir reden über Timo ..." - dann pausiert der Sprecher. "Boll!", übernimmt das Publikum. Auch Basketball-Legende Dirk Nowitzki ist darunter. Er weiß, wie sich solche Momente anfühlen.

Sie haben sich mehrmals besucht. Timo Boll ist bei den Mavericks in Dallas gewesen, auch bei der Aufnahme in die NBA-Hall of Fame im August 2023 ist er dabei. Angefangen hat ihre Freundschaft bei Olympia in Peking. 2008. "Dass er mein letztes Spiel hier mitbekommen hat, ist toll", sagt Timo Boll. "Er sagt schon jahrelang, hör endlich auf, dass wir ein bisschen mehr zusammen unternehmen können. Ich habe mich dagegen gewehrt." Jetzt ist es soweit.

Abgang ohne Erfolg, aber mit Ehrenrunde

2012 in London: Timo Boll, das Feierbiest, im Kreise seiner Teamkollegen.
2012 in London: Timo Boll, das Feierbiest, im Kreise seiner Teamkollegen.  Foto: Friso Gentsch

Ein Abgang ohne sportlichen Erfolg, aber mit Ehrenrunde. Boll, der trotz seiner Erfolge und der enormen Popularität in China - wo sie ihn studiert und kopiert haben, obwohl sie diesen Sport dominieren - nie abgehoben ist, sondern zurückhaltend und bescheiden geblieben, winkt. Weil die Menschen, die unentwegt seinen Namen skandieren, ihn nicht gehen lassen mögen.

Eine Woche Urlaub mit der Familie gönnt sich Timo Boll nun, eher er für Düsseldorf bis zum Ende seines Vertrages 2025 noch in der Bundesliga spielt. Doch auf der internationalen Bühne sehen sie ihn nach sieben Spielen, vier Olympia-Medaillen, zwei WM-Titeln und acht EM-Goldmedaillen nur noch als Gast.

Gerührte Kollegen

2000 in Sydney: Ein 19-Jähriger entdeckt Olympia.
Foto: imago/Pressefoto Baumann
2000 in Sydney: Ein 19-Jähriger entdeckt Olympia. Foto: imago/Pressefoto Baumann  Foto: imago sportfotodienst

"Eine brutale Situation für alle", sagt Dimitrij Ovtcharov, "Timo, einer der größten Tischtennisspieler aller Zeiten. So eine unfassbar lange Karriere auf dem Niveau. Alle wussten, heute, morgen, einer der Tage wird es. Es war hochemotional. Weil wir verloren haben und es Timos letztes Spiel war. Sch…." Teamkollege Dang Qiu meint: "Von ihm muss man sich so viel abschauen, wie man nur kann, er hat alles richtig gemacht."

Das Miteinander wird Timo Boll vermissen. "Als Patrick Franziska ein kleiner Junge war, vielleicht sieben oder acht Jahre, hat er bei mir zu Hause im Keller trainiert", erzählt Boll. Mit den Jungs verliert er eine kleine Familie, auch das macht ihn in Paris emotional. Doch der Mensch Boll vergisst selbst in diesen hochemotionalen Momenten die anderen nicht. Weil Jörg Roßkopf den Mann aus dem Odenwald für Olympia nominiert, ist Patrick Franziska nur Ersatzmann. "Er hat das mit sehr viel Achtung und Stolz ertragen, ich habe großen Respekt vor ihm."

Franziska, Ovtcharov und Qiu als Stützen

2016 in Rio de Janeiro: Gute Laune nach Bronze mit der Mannschaft.
2016 in Rio de Janeiro: Gute Laune nach Bronze mit der Mannschaft.  Foto: How Hwee Young

Sportlich hofft Timo Boll, dass der 32-Jährige, Ovtcharov und Qiu nun die Stützen sind, die es braucht, um auf Olympia-Niveau eine Medaille zu holen. Mit Blick auf die Niederlage gegen Schweden meint Boll auch klar: "Wir müssen halt respektieren, dass die anderen auch hart arbeiten, brutal aufgeholt und uns auch überholt haben. Die Jungs müssen ohne mich nochmal eine Schippe drauflegen."

Doch er wird im Wohnmobil nicht mehr zu Turnieren fahren, es dafür noch mehr für die Freizeit nutzen, sich Zeit für die Tochter, Familie und Freunde nehmen. Den Kopf freibekommen - und nicht Bundestrainer werden: "Rossi macht es sehr gut, seinen Job will ich ihm auf keinen Fall streitig machen", sagt Timo Boll. Überhaupt: "Als ich meine Karriere angefangen habe, dachte ich, Ende 20 wird Schluss sein und dann mache ich eine Ausbildung zum Bankkaufmann. Keine Ahnung, ob es dafür jetzt zu spät ist."

 
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