Meisterlicher Tim Holzapfel, auch in der Niederlage
Tim Holzapfel wird bei den deutschen Meisterschaften in Kassel Achter über 800 Meter, Laura Raquel Müller Siebte im Weitsprung.

Hinter der Südkurve wartet Anne Braun. Dort, wo die Sieger zur Medaillenübergabe geleitet werden, umarmt die Achte über 400 Meter Hürden ihren Freund. Lange und innig, dazu flüstert sie ihm einige Worte ins Ohr. Seinen deutschen Meistertitel über 800 Meter hat der Mann von der ULG/TV Flein in Kassel nicht erfolgreich verteidigt. Anders als vor einem Jahr, wo er mit weit ausgebreiteten Armen in Berlin feiert, lässt es Tim Holzapfel austrudeln, weil nichts mehr geht. Der Horkheimer läuft nach 1:55,27 Minuten als Achter ins Ziel - und ist erster Gratulant für Meister Luis Oberbeck (1:47,48).
"Ich könnte enttäuscht sein, weil es ein Sch…rennen war. Es war keine Kraft da, ich hatte von Beginn an nicht den Druck, dass ich mitlaufen kann", sagt Tim Holzapfel. Seine Analyse ist grundehrlich. "Ich gehe davon aus, dass man jetzt den Trainingsrückstand spürt, die Pause von drei Wochen." Denn: Der fieseste Gegner ist für den 26-Jährigen zuletzt kein Konkurrent. Es ist sein Rücken. Die Vorstufe eines Bandscheibenvorfalls quält Tim Holzapfel besonders bei Kurvenläufen. "Das hat mich viele intensive Tempoläufe gekostet", sagt der Mittelstreckler, der selbst nachts ob der Schmerzen im Bett aufwacht und Schwierigkeiten hat, sich die Socken anzuziehen.
Erst kurzfristig für den Start entschieden
Ausgerechnet inmitten der Saison, vor dem Höhepunkt. Der Start in Kassel ist lange in Gefahr, erst vor neun Tagen fällt die endgültige Entscheidung, den Titel persönlich zu verteidigen. Am frühen Sonntagabend zeigt sich, dass noch die Wettkampfhärte fehlt, um zwei solch qualitativ hochwertige Rennen binnen 29 Stunden durchzustehen. "Klar ist es ärgerlich, dass ich den Titel so hergeben muss, aber das zieht mich nicht runter. Ich bin trotzdem mega happy, dass ich es ins Finale geschafft habe", sagt Tim Holzapfel.
Mit seinem Trainer Thomas Jeggle bespricht der Projektmanager für erneuerbare Energien nun, ob sie sich in einer späteren Phase der Saison noch ein Highlight herauspicken. Am Wochenende läuft der Dritte der Unterländer Sportlerwahl bei den Landesmeisterschaften in Walldorf.
Meisterliches Hitzemanagement
"Die Siegerzeit von hier, das ist das Potenzial, das ich draufhabe und was mein Körper in fittem Zustand hergibt. Es war ein Rennen, wo alles gepasst hätte." Auch das Hitzemanagement ist meisterlich: Kühlen von innen und außen. Im Gesicht. Im Nacken. In den Haaren. Das einzige Manko: Tim Holzapfel ist physisch (noch) nicht wieder zur Gänze auf der Höhe gewesen.
Bei Jara Ellinger ist die Situation eine andere. Papa Markus Ellinger filmt, der Trainer Tamas Kiss gibt Ratschläge, dennoch ist für die Hochspringerin von der TSG Heilbronn am Sonntagnachmittag viel zu früh Schluss. Drei Fehlversuche bei 1,77 Meter bedeuten für die 22-jährige Sportstudentin nur Position zwölf - von Zwölfen. Als die Tränen der Enttäuschung getrocknet sind, sitzt Jara Ellinger auf der Tribüne und verfolgt das Siegerinterview mit der nun achtmaligen Meisterin Marie-Laurence Jungfleisch.
Jara Ellinger landet auf Rang zwölf
"Beim Einspringen war es echt gut", sagt Jara Ellinger, "dann war das Gefühl für den Anlauf weg. Daran haben wir zuletzt viel gearbeitet, aber unter Druck war es nicht so einfach, das umzusetzen." Auch Jara Ellinger wird sich nun andere Ziele setzen. Auf dem Heimweg nach Untergruppenbach gibt es gegebenenfalls schon erste Erkenntnisse.
Wie Anne Braun ist auch der Liebste von Laura Raquel Müller, Weitsprung-Kollege Oliver Koletzko, in Kassel. Allerdings heftet sich der 19-Jährige schweren Herzens keine Startnummer an sein VfB-Trikot. Für den U20-Europameister hebt am Dienstag der Flieger zu den kontinentalen Titelkämpfen nach Finnland ab. Am Stand eines Verbandpartners gibt er daher Autogramme, am Abend drückt er Laura Raquel Müller die Daumen - und sieht, wie sich die Verrenbergerin schwertut. "Die ersten Versuche war ich richtig aufgeregt. Als ich durch die Katakomben kam und so viele Leute gesehen habe - durch Malaika Mihambo sind doppelt so viele Leute auf unserer Tribüne gesessen", sagt das Sprungtalent von der ULG/TSG Öhringen.
Laura Raquel Müllers Erkenntnis bei der Premiere
Dennoch schafft es das Mitglied des Sporthilfe-Perspektivteams in das Finale der besten Acht - "obwohl es nicht aufs Brett gereicht hat. Entweder war ich zu weit weg oder drüber", sagt Laura Raquel Müller. Ihr vierter Versuch auf 6,10 Meter wird ihr bester. Platz sieben bei der Aktiven-Premiere und die Erkenntnis: "Cool und bei der Sache zu bleiben, sich nicht ablenken lassen", sagt die Hohenloherin. Und: "Ich nehme viel Motivation mit."