Die Könige Johannes Thingnes und Tarjei Bø verlassen ihr Biathlon-Reich
Nach 23-WM-Goldmedaillen, fünf Olympiasiegen und 90 Weltcup-Triumphen verabschiedet sich der Norweger Johannes Thingnes Bø mit einer riesigen Party am legendären Holmenkollen. Was kommt nun?

Die Wax-Mafia hat nicht nur ihr eigenes Label auf der Bierflasche, die Truppe um Norwegens Cheftechniker Gianluca Marcolini weiß darüber hinaus, was es für eine anständige Party braucht. Allen voran, wenn es die Abschiedsfete für ihre zwei Stars, Johannes Thingnes und Tarjei Bø ist. Über Jahre haben der Italiener und die Männer aus Stryn die schnellste Einheit im Biathlon-Zirkus gebildet. Der Eine hat die Raketen präpariert, die Anderen die Langlauflatten mit ihrem eleganten Stil auf den Biathlon-Strecken der Welt kraftvoll und doch technisch hocheffizient eingesetzt.
Perfekte Feier-Kulisse
Am sonnigen Sonntag ein allerletztes Mal unter Rennbedingungen mit den Rängen sieben (Johannes) und 23 (Tarjei). Dass der legendäre Holmenkollen hoch über dem Oslofjord dazu die perfekte Kulisse geliefert hat, ist nur ein Steinchen im glitzernden Mosaik der Bø-Karrieren gewesen.Zwei, deren Lebensträume aufgegangen sind. Brüder, die Biathlon-Geschichte geschrieben haben – und von jetzt an auch mal genießen. „Jetzt sind wir fertig“, hat ein strahlender Johannes Thingnes Bø nach viel Applaus von den Athleten, Helfern, Funktionären und Fans, Umarmungen, Sektfontänen und einer letzten Ehrenrunde auf Ski begleitet von den Klängen zu „Time to say goodbye“ entlang der noch immer rappelvollen Haupttribüne gesagt. Auf dem Kopf haben der 31-jährige Johannes und sein fünf Jahre älterer Bruder Tarjei goldene Pappkronen getragen, über ihre Schulterpartien einen Umhang in Form der norwegischen Flagge.
Eine Ära geprägt
Zwei Könige sind abgetreten. Zwei, die zwölf Jahre lang gemeinsam auf höchstem Niveau den Weltcup mitbestimmt sowie eine Ära geprägt und die Grenzen des Machbaren verschoben haben. Sie hinterlassen eine Lücke. „Der Biathlonsport geht weiter, aber es wird anders sein“, sagt der deutsche Sportdirektor Felix Bitterling. Weil keiner so schnell gelaufen ist wie Johannes Thingnes Bø. Weil keiner im Stehendanschlag so schnell geschossen hat wie er – und weil keiner in so kurzer Zeit so viel erreicht hat wie er. Allein 23 Mal WM-Gold, dazu fünf Olympiasiege und 90 Weltcupsiege. Einzig sein Landsmann Ole Einar Bjørndalen hat es auf 95 gebracht. Tarjei Bø blickt auf zwölf WM-Titel und drei Olympiasiege.
Papa mit viel Familienzeit
Zwei, die nun einen Sommer ohne stundenlange Quälerei vor sich haben. Zwei Papas, die sich auf Familienzeit freuen. Zwei Menschen, die endlich den Raum haben, ihr Leben mehr zu genießen. „Johannes ist ein fantastischer Freund, ich bin sehr glücklich ihn zu kennen. Ich habe so viel von ihm gelernt. Auch, dass Biathlon nicht alles ist. Er hat unglaubliche Werte“, sagt sein Teamkollege Sturla Holm Laegreid, der Bø in Oslo als Sieger des Gesamtweltcups abgelöst, ihn zugleich aber als Ikone und sein Vorbild geadelt hat. Auch der Biathlon-Weltverband verliert zwei seiner wichtigsten Hauptdarsteller, Sympathieträger und Werbebotschafter.
Wax-Mafia verliert ihren Kopf
Auch Gianluca Marcolini verlässt das norwegische Wachs-Team. Noch ein Grund mehr für eine Mega-Sause am Sonntag mit irrer Stimmung und – nicht nur dank vielen Litern Gin und 700 Thüringer Bratwürsten, die die Oberhofer Weltcup-Delegation samt einem Orts-Ausgangsschild für den Star der Szene mit nach Norwegen mitgebracht hat. Die Brüder haben die Abschieds-Party genossen. Wie an Ostern vor zehn Jahren, als Johannes Thingnes Bø nach seinem ersten WM-Gold mit den Kumpels aus seiner Clique namens „Pølsefest“ (Würstchenfest) in Trysil gefeiert hat. Dort hat er Hedda, seine Ehefrau und Mama von Gustav und Sofia kennengelernt. Für sie hat er nun seine Karriere beendet. Der Kreis schließt sich.