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Interview
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Alexander Stöckl über Ski-WM 2025 in Trondheim: „Deutschland ist auf Augenhöhe mit Norwegen“

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Alexander Stöckl im Interview: Der Österreicher über Norwegens Ski-Leidenschaft, die Favoriten der WM 2025 und warum Skispringen mehr als nur ein Sport ist.

Skisprungtrainer Alexander Stöckl freut sich auf die Ski-WM in Trondheim. Bei der letzten WM in Norwegen, 2011 in Oslo, wurden 275 000 Tickets verkauft.
Skisprungtrainer Alexander Stöckl freut sich auf die Ski-WM in Trondheim. Bei der letzten WM in Norwegen, 2011 in Oslo, wurden 275 000 Tickets verkauft.  Foto: dpa/imago-images/Heiko Junge

Da ganz Norwegen auf Skiern läuft, wie der in Oslo lebende Alexander Stöckl im Gespräch erzählt, wird die am Mittwoch beginnende Ski-WM 2025 in Trondheim wieder „ein unglaubliches Ereignis“.

Warum gibt es für nordische Skisportler nichts Größeres als Weltmeisterschaften in Norwegen?

Alexander Stöckl: Das sieht man bei jeder WM: Norwegen ist bei den Zuschauern immer die am stärksten vertretene Nation. Der nordische Sport kommt, wie der Name schon sagt, aus dem Norden. Skispringen ist in Norwegen erfunden worden, 1808 oder 1809 vom Militäroffizier Olaf Rye. Ganz Norwegen läuft auf Skiern. Eine nordische WM ist ein kulturelles Ereignis – speziell, wenn sie im eigenen Land stattfindet.

Was Sie 1997 bei der ersten WM in Trondheim erlebt haben. Wie sind Ihre Erinnerungen?

Stöckl: Ich war damals Co-Trainer der österreichischen Skispringer. Es war ein unglaubliches Volksfest, es war fantastisch. Nordischer Skisport ist in Norwegen Kulturgut, das zelebriert man. Entsprechend lief auch der Vorverkauf für 2025: Auch die zweite WM in Trondheim wird ein unglaubliches Ereignis.

Seit wann leben Sie in Norwegen?

Stöckl: Seit 2011. Ich habe damals das Angebot bekommen, den Cheftrainerposten der norwegischen Skispringer zu übernehmen und bin mit meiner Frau kurzerhand hergezogen – was nur als kürzere Auslandserfahrung gedacht war: Mein erster Vertrag lief über zwei Jahre. Am Ende war ich 13 Jahre im Amt.

Warum sind Sie nach dem Aus vor bald einem Jahr in Oslo geblieben?

Stöckl: Weil wir hier einfach gut etabliert sind, uns sehr wohlfühlen, in der Stadt und in der Natur. Wir haben eine Doppelhaushälfte gekauft, unsere Tochter ist hier geboren. Sie hat die österreichische Staatsbürgerschaft, ist aber in der norwegischen Kultur aufgewachsen, geht jetzt in die dritte Klasse.

Alexander Stöckl: „Norwegische Kinder lernen, draußen aktivzu sein.“

Wie ist der Stellenwert des Sports an norwegischen Schulen?

Stöckl: Die Kinder haben hier auch nicht mehr Sportstunden als in Österreich. Der grundsätzliche Unterschied ist: Die Kinder haben in der Grundschule bis etwa 13 Uhr Unterricht und anschließend eine Nachmittagsbetreuung bis 16 oder 17 Uhr. Es ist Pflicht, dass die Kinder mindestens eine Stunde am Tag draußen sind, egal bei welchem Wetter, egal zu welcher Jahreszeit. Norwegische Kinder lernen, aktiv zu sein. Sie haben ganz viele Möglichkeiten: auf tollen Spielplätzen mit Klettergerüsten, einem kleinen Fußballplatz oder an einem Basketballkorb. Und Sportvereine machen ein interessantes Angebot: Sie holen die Kinder in der Betreuungszeit nachmittags ab und fahren sie nach dem Training wieder zur Schule.

Wird Ihre Tochter Skispringerin?

Stöckl: (lacht) Nein. Wir haben ihr erst einmal Alpinskifahren beigebracht. Sie hat auch schon auf der Fünf-Meter-Schanze am Holmenkollen mit Alpinski Sprünge gemacht. Aber das hat sie nicht so begeistert. Ihr macht Geräteturnen irrsinnigen Spaß.

Sie haben für die Skiflug-WM 2012 in Vikersund den Text für den WM-Song geschrieben. Wie kam das zustande?

Stöckl: Als ich nach Norwegen kam, haben die Zeitungen herausgefunden, dass ich früher Musik gemacht habe, unter anderem in einer A-cappella-Gruppe. „Der Boy-Band-Star wird Cheftrainer“ war damals eine Überschrift (lacht). Jörn Atle Stöa, der damals den WM-Song geschrieben hat, kam jedenfalls auf mich zu und fragte, ob ich einen Text dazu schreiben möchte. So entstand „Flying into the Future“.

Hatten Sie Auftritte?

Stöckl: Tatsächlich, ja. Der norwegische Frauentrainer Christian Meyer ist auch Musiker. Mit ihm und einem seiner Kollegen hatten wir drei, vier Liveauftritte für einen guten Zweck. Und es gibt eine norwegische Rockband, D.D.E., von der ich immer schon Fan war. Ein Lied von ihnen ist während der WM 1997 in Trondheim ständig gespielt worden. Und D.D.E. spielte bei der Eröffnungsfeier der Skiflug-WM 2012 in Vikersund. So hat sich eine Freundschaft zwischen der Band und ihrem wahrscheinlich einzigen österreichischen Fan entwickelt. Wir sind ein paar Mal gemeinsam aufgetreten, mit mir für ein, zwei Lieder als Sänger. Es gab auch einen TV-Auftritt in einer norwegischen Liveshow.

Haben Sie auch mit Gitarrist Stefan Horngacher, Ihrem alten Weggefährten aus Österreich und Trainer der deutschen Skispringer, mal ein Konzert gegeben?

Stöckl: Nein, das nicht. Aber wir spielen gelegentlich bei Weltcups gemeinsam auf dem Zimmer.

Titelchancen von Deutschland, Österreich, Norwegen und Polen bei der Ski-WM

Wie ist der dramatische Formverlust seiner Springer zu erklären?

Stöckl: Das ist sehr überraschend, ich verstehe es auch nicht. Vor der Vierschanzentournee waren die deutschen Springer mannschaftlich richtig stark, allen voran Pius Paschke. Dann ist alles auseinandergefallen. Das ist schwer zu erklären.

Erklärbar ist aber die Dominanz der Österreicher.

Stöckl: Absolut. Sie sind der große Favorit, im Einzel als auch mit der Mannschaft. Weil sie über zehn, 15 Jahre eine gute Strategie gefahren sind: Es gibt einen guten Austausch bei den Trainern, ohne Machtkämpfe. Die Sportschulen und Ausbildungsstätten arbeiten sehr gut zusammen, so dass sich ein roter Faden auf allen Ebenen, vom Verein bis in den Weltcup-Kader, durchzieht. Und sie investieren im Materialbereich sehr viel Geld und Ressourcen.

Wer sind die potenziell größten Konkurrenten für die Österreicher?

Stöckl: Auf jeden Fall die Norweger. Auch die Slowenen haben sich zuletzt gut entwickelt.

Was ist mit den Deutschen, was ist im Teamwettkampf möglich?

Stöckl: Deutschland sehe ich mit Japan und Polen auf etwa demselben Niveau dahinter. Mit der Mannschaft geht’s maximal um Platz drei.

Für wen schlägt dann Ihr Herz? Für Österreich? Norwegen? Polen?

Stöckl: Für den guten Skisprungsport, für den besten Springer.

Wie sehen Sie die Entwicklung der deutschen Nordischen Kombinierer?

Stöckl: Deutschland ist mittlerweile auf Augenhöhe mit Norwegen, was für die WM gut ist: Denn es wird sehr, sehr spannend, man weiß nicht, wer am Tag X vorne sein wird.

Zur Person:

Alexander Stöckl ist und bleibt Skispringer. Der 51 Jahre alte Österreicher war im Weltcup am Start und macht seit 1996 als Trainer Springern Beine. Er hat viele Talente, ist auch Musiker (Gesang, Gitarre und Klavier). Seit 2011 lebt er mit seiner Familie – die Tochter wird im März neun Jahre alt – in Oslo. Als norwegischer Cheftrainer feierte Stöckl von 2011 bis 2024 große Erfolge, war anschließend bis vor wenigen Tagen Sportdirektor in Polen für Skispringen und Kombination, trat wegen Unstimmigkeiten mit Verbandschef Adam Malysz zurück. 

Veraltete Wettkampfformate? „Aufmerksamkeitsspanne ist kürzer worden“

Hilft es der um ihre olympische Zukunft kämpfenden Nordischen Kombination, dass die WM diesmal in Norwegen stattfindet, die Bilder noch emotionaler werden?

Stöckl: Absolut. Die Wettkämpfe in Trondheim werden eine super Werbung für die Kombination.

Warum ist es wichtig, dass die Kombination nicht stirbt?

Stöckl: Einerseits ist es für die Skiverbände sehr wichtig, bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften mehrere Möglichkeiten zu haben, Medaillen erkämpfen zu können. Andererseits ist diese Mischung aus einer Ausdauer- und einer Schnellkraftsportart eine der schwierigsten Sportarten überhaupt. Das ist reizvoll. Und für die Entwicklung von Skisportlern extrem wichtig. Ich empfehle jedem Skispringer, in jungen Jahren auf Sprung- und auf Langlaufskiern unterwegs zu sein. Auf Langlaufskiern sind Körperkontrolle und Balance wesentliche Faktoren, die wir auf unseren heutigen Schanzen mit ihren geführten Spuren selbst schon auf Kinderschanzen nicht mehr trainieren können.

Die WM ist nach 28 Jahren wieder in Trondheim zu Gast, diesmal gibt es 27 Entscheidungen – zwölf mehr als 1997. Gemäß Ihrem Motto „Flying into the Future“: Wie muss sich die nordische Skifamilie verändern, um attraktiv zu bleiben?

Stöckl: Ich halte es für wichtig, dass sie versucht, ihre Wettkampfformate an die gesellschaftliche Entwicklung anzupassen. Die Aufmerksamkeitsspanne ist kürzer worden: Viele sind gewohnt, sechs Sekunden lange Videos auf Social Media durchzuschauen. Die heutige Gesellschaft ist fast nicht mehr in der Lage, einen langen Wettkampf wie in der Kombination zu verfolgen. Skispringen ist da nach wie vor gut, weil in relativ kurzer Zeit viel passiert. Grundsätzlich wichtig ist auch, wie man den Sport präsentiert. Einen Wettkampf auf mehreren Bildschirmen gleichzeitig in verschiedenen Facetten und Blickwinkeln verfolgen, wird die Zukunft werden.

Auf welche Ski stellen Sie sich in Ihrer Freizeit?

Stöckl: Ich gehe mit meiner Familie oft Langlaufen: Zehn Minuten von der Haustür entfernt stehen wir mitten im Wald, wo überall Langlaufstrecken und kleine Hütten sind.

Wie lautet das Skisportarten-Ranking in Norwegen?

Stöckl: Langlauf ist natürlich klar auf Platz eins. Dann würde ich sagen, Ski alpin und Skispringen. Die Nordische Kombination um Jarl Magnus Riiber kommt dann direkt dahinter. Und Biathlon mit seinen sehr spannenden Wettkampfformaten.

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