Was sich beim Großverein Neckarsulmer Sport-Union ändern soll
Der Vorstand der Neckarsulmer Sport-Union möchte, dass sich seine Abteilungen künftig selbst tragen. Die Quersubventionierung soll beendet werden. Welche Abteilungen frohlocken und wer zittern muss.

Die Neckarsulmer Sport-Union ist das sportliche Aushängeschild der Region. Wie ist der Verein aktuell aufgestellt, was wird sich ändern? Zentrale Fragen und Antworten.
Wie sind die Zuständigkeiten im neuen Vorstand?
Zunächst ist die Vorstandsriege um zwei Männer erweitert worden. Neu ist die feste Verteilung der Zuständigkeiten für einzelne Sparten. Die Auswahl erfolgte nach Interesse und sportfachlichen Kompetenzen. Dadurch soll gewährleistet werden, dass die einzelnen Abteilungen feste Ansprechpartner im Vorstand besitzen. "Wir wollen jeder Abteilung gerecht werden", versichert Helmut Zartmann. Es gehe darum, Hilfestellung zu leisten, in die Abteilung hineinzuhorchen, Probleme früh zu erkennen und möglichst schnell zu lösen. "Ich will keine zweite Zoll-Affäre am Hals haben", spricht Rolf Härdtner einen wesentlichen Grund für die Neuordnung unumwunden an. Wegen Sozialversicherungsbetrugs im Verein hatte der Vorsitzende 2019 eine sechsstellige Summe berappen müssen. Die Strukturen sollen so verändert werden, dass die NSU sich mehr hauptamtliche Mitarbeiter leisten kann, somit professionalisiert Fallstricken wie bei der Zoll-Affäre aus dem Weg geht.
Einem Missverständnis will Bernd Dollmann vorbeugen: "Wir sind nicht die Lobbyisten der Abteilungen und wir werden uns auch nicht ins Tagesgeschäft einmischen." Dass gleich drei Vorstansmitglieder für den Handball zuständig sind, ist nicht nur der Größe dieser Abteilung geschuldet, sondern auch Ausdruck der sportlichen Priorisierung.
Wie ist der Sportverein bisher aufgestellt?

Die Sport-Union lässt sich mit der Bundesrepublik vergleichen. Statt aus 16 Bundesländern besteht die Neckarsulmer Republik aus 14 Abteilungen. Finanziell lief es in der Vergangenheit im Großverein wie beim Länderfinanzausgleich mit Geber und Nehmer-Ländern. Rolf Härdtner war und ist als Vereinschef stets auf Ausgleich bedacht. Falls die Abteilungs-Rechnungen nicht aufgingen, stand der Vereinspatron zudem parat. Das sorgte nicht unbedingt für finanzielle Disziplin in den einzelnen Abteilungen. Damit müsse nun Schluss sein, ist man sich im NSU-Vorstand einig.
Was ändert sich unter dem neuen Vorstand?
Die einzelnen Abteilungen sollen wie Unternehmen funktionieren. Ziel dabei: eine schwarze Null in der Abteilungs-Bilanz. Die Handball-Sparte generiert mit dem Aushängeschild Frauen-Bundesliga das Gros der Gelder, die dann auch auf weniger werberelevante Abteilungen wie das Tischtennis entfielen. Christian Hirschmann, der neue starke Mann im NSU-Vorstand, sagt klipp und klar: "Der Profisport finanziert bisher den Breitensport. Die Zeit der Querfinanzierungen ist vorbei." Soll heißen: Wer für Einnahmen sorgt, soll dafür nicht bestraft werden, in dem er sie teilen muss. Während Hirschmann als neuer starker Mann des Vereins diese Vorgabe lieber gestern als morgen in die Praxis umsetzen würde, schwebt Härdtner eher eine Übergangsphase vor: "Ein Verein lässt sich nicht Eins zu Eins wie ein Unternehmen führen. Ganz ohne Quersubventionierungen wird es nicht gehen." Die Vorstandsriege besteht abgesehen von Sven Förschner aus Unternehmern.
Was sind die Folgen?
Alexander Mohr beziffert als Sportlicher Leiter der Tischtennis-Abteilung das Budget-Minus für die neue Saison 2020/21 auf rund 20 Prozent. Bei dieser Thematik mauert der neue NSU-Vorstand. Man sei derzeit noch in Gesprächen, sagt Hirschmann. Einzelne Abteilungen würden sich zu sehr darauf verlassen, dass der Hauptverein sich ums Geld kümmere. "Wir wollen diese Abteilungen kitzeln, sie aus ihrer Komfortzone herausholen", sagt Hirschmann. Das Problem: "Wir stehen uns bei der Sponsorensuche in Neckarsulm doch gegenseitig auf den Füßen", sagt Alexander Mohr, der zudem darauf hinweist, oft die Sponsoren-Auskunft zu erhalten, man sei doch bereits Geldgeber des Hauptvereins. Bei der Suche nach neuen Geldgebern will die Sport-Union künftig außerhalb Neckarsulms aktiver werden, was nicht unbedingt einfach sein dürfte.
In der Tischtennis-Abteilung schafft man derweil Fakten. Die Zweitliga-Frauen ziehen sich zurück in die 3. Liga, wo auf eigene Talente gesetzt wird. Damit lässt sich dann ein Zweitliga-Team bei den Männern finanzieren. Allerdings nur, weil die Spieler zu finanziellen Einbußen bereit sind.
Wer gehört bei den Abteilungen sonst noch zu den Verlierern und Gewinnern?

Gewinner dürften die Handballerinnen als Erstliga-Aushängeschild sein, sowie die Schwimmer mit Olympia-Ambitionen, bei denen Hirschmann als umtriebiger Geldbeschaffer werkelt. Schwimmen ist allerdings kein Zuschauersport. Der schon in der Vergangenheit häufiger diskutierte Vorschlag, die Handballerinnen in eine Spielbetriebs-GmbH auszugliedern, ist gegenwärtig kein Thema.
Oberliga-Fußball ist ein teures Vergnügen, das sich in Neckarsulm nicht selbst trägt. Auch die Fußballer mussten in der Vergangenheit schon ein Etat-Minus von rund zehn Prozent hinnehmen. Kosten runter ist auch das Zukunfts-Motto. Eine Radikalkur schließt Härdtner allerdings aus: "Der gesamte Vorstand weiß um die besondere Außenwirkung des Fußballs", sagt der 77-Jährige, dem wichtig ist, nicht zu zerstören, was mühsam über Jahre aufgebaut wurde. Erst recht in einer völligen Fußball-Diaspora wie dem Unterland, wo die fünfte Liga das höchste der Gefühle ist.
"Für uns ändert sich im Grunde genommen nichts, wir haben uns bisher schon selbst finanziert", sagt Sven Neubert, Kassier der Rugbyabteilung. Der 59-Jährige begrüßt die neuen Zuständigkeiten und Vorgehensweisen im Vorstand. "Bernd Dollmann engagiert sich sehr für uns. Das läuft richtig klasse."
Bedeutet dies das Ende des hochklassigen Neckarsulmer Sportarten-Pluralismus?

"Was wir haben, wird gepflegt", stellt Rolf Härdtner klar. Es dürfte aber schwierig sein, die aktuellen Spielklassen in allen Sportarten zu stabilisieren oder gar zu verbessern (siehe Grafik). Die Handballfrauen sollen als Aushängeschild des Vereins unbedingt in der 1. Bundesliga gehalten werden. Die Schwimmer sind bereits ein Landes-Stützpunkt, die Triathleten werden demnächst folgen - hier stehen die Zeichen also auf Weiterentwicklung. Schwierigkeiten drohen im Tischtennis, Fußball (wo übrigens immer noch ein Abteilungsleiter gesucht wird) und bei den Handball-Männern - aus unterschiedlichen Gründen. Beim Tischtennis fehlt es an Einnahmequellen. Der Männer-Handball verkümmert etwas im Schatten der Frauen. Rugby sollte unabhängig vom Budget dauerhaft in der 2. Bundesliga zu halten sein.
Wo sieht der Verein Entwicklungspotenzial?
Das neue Credo der NSU-Macher lautet: Breitensport soll künftig den Leistungssport finanzieren. Dafür wird der Fokus verstärkt auf den Bereich Gesundheitssport gelegt. Volker Sutor betreibt als Physiotherapeut unter anderem Einrichtungen in Neckarsulm und Brackenheim und soll als neues Vorstandsmitglied diese neue Sparte voranbringen. Der Bau eines eigenen Gesundheitszentrums ist nicht geplant.

Kommentar: Diffizile Aufgabe
Von Stephan Sonntag
Dass die Neckarsulmer Sport-Union überhaupt noch existiert, verdankt der Verein seinem Vorsitzenden. Rolf Härdtner hat Verantwortung übernommen und die finanziellen Lasten aus der Zoll-Affäre getragen.
Da ist es mehr als verständlich, dass er nun gemeinsam mit seiner Vorstandsriege eine Neuausrichtung des Großvereins nach betriebswirtschaftlichen Maßstäben in Angriff nimmt, um mehr Transparenz und Kontrolle in die Finanzangelegenheiten zu bekommen. In einem Unternehmen lässt sich das von der Chefetage durch alle Instanzen durchsetzen, in einem Verein, der ja in erster Linie von ehrenamtlicher Arbeit getragen wird, ist dies deutlich diffiziler, muss mit sehr viel mehr Fingerspitzengefühl angegangen werden. Schließlich soll niemand verprellt werden, der sich in seiner Freizeit in den Dienst des Vereins stellt.
Im Optimalfall gelingt es dem Vorstand, in den Abteilungen als helfende Hand wahrgenommen zu werden, der Arbeiten erleichtert und Probleme löst. Im schlimmsten Fall fühlen sich die Ehrenamtlichen gegängelt, bevormundet und finden künftig neue Freizeitaktivitäten. Hier gilt es für die Verantwortlichen, schnell für alle sichtbare Fortschritte zu erzielen.
Dazu wird es nötig sein, dass die Kontroversen innerhalb der Vorstandsriege zwischen den Antipoden Härdtner und Hirschmann zu nützlichen Kompromissen und nicht zu persönlichen Zerwürfnissen führen.