Vor 40 Jahren triumphierte die Gienger-Riege auf der Schanz
Diesen Sonntag vor 40 Jahren schrieb die KTV Heilbronn/Neckarsulm Sportgeschichte. Der Nikolaustag war damals ein Samstag und in der Böckinger Schanzsporthalle waren es gold glänzende Medaillen, die dem damaligen Vorzeigeturner Eberhard Gienger und seinen Teamkameraden um den Hals gehängt wurden. Die KTV gewann im Heimfinale überraschend die deutsche Mannschaftsmeisterschaft.

"Die Halle war brazzelvoll", berichtet Herbert Tabler, 1980 Turnabteilungsleiter und heute 1. Vorsitzender der TG Böckingen, von 1200 Zuschauern und tollen Darbietungen der vier Final-Mannschaften. "Dass wir deutscher Meister werden, damit haben wir eigentlich nicht gerechnet. Favorit war eher die TG Saar. Aber alle unsere Turner hatten einen guten Tag erwischt und am Ende waren wir Meister."
Eberhard Gienger glänzt am Paradegerät
Allen voran glänzte Eberhard Gienger. Der Reck-Weltmeister von 1974 und Olympia-Dritte 1976 turnte an seinem Paradegerät in Perfektion und wurde mit einer "blanken Zehn" belohnt. Zudem sicherte sich der Künzelsauer den Tagesbestwert am Barren (9,50) und wurde Gesamtsieger der Einzelwertung. Für den Weltklasseturner war das DM-Finale quasi der Saisonhöhepunkt, da die Olympischen Sommerspiele in Moskau in jenem Jahr vom politischen Westen boykottiert wurden.
"Der Weg, das alles so hinzukriegen, war nicht einfach. Das ist das Bleibende", erzählt Gienger, dass man sich gegenseitig zu Höchstleistungen getragen habe. Hätte der ein oder andere an jedem denkwürdigen Tag versagt, hätte es auch negative Auswirkungen auf die Darbietungen der Teamkollegen haben können. "Das Mannschaftsgefühl ist auch im Turnen schon etwas ganz Besonderes." Am Ende reichte es zu der bis dahin höchsten Gesamtpunktzahl einer Mannschaft in der Bundesliga-Geschichte.
Italienische Gastturner als Rakete
Ein Baustein für den DM-Titel war auch der italienische Gastturner Diego Lazzarich, der am Boden mit dem Höchstwert von 9,80 einen Glanzpunkt setzte, was nicht nur den Unterländer Altmeister Gerhard Kern ("Da bleibt einem ja die Spucke weg") anerkennend mit der Zunge schnalzen ließ.

Es war Gienger zu verdanken, dass der Italiener die KTV verstärkte. "Das war schon kurios", erzählt Werner Steinmetz (Olympiateilnehmer 1976 und heute Abteilungsleiter der NSU-Turner) von einer Sitzung im Frühjahr, in der es um die Besetzung der Ausländer-Position ging. Manager Walter Lengle telefonierte mit Gienger, der in Wiesbaden auf einem Euro-Wettbewerb turnte und sagte: "Eberhard du hast uns doch versprochen, dass wir einen Ausländer bekommen." Gienger entgegnete, er habe zwei an der Hand, aber der eine ginge zu Bayern München. Und so wurde es der andere, der Lazzarich, der ins Unterland kam.
Steinmetz holte den Italiener vor Rundenbeginn am Flughafen in Frankfurt ab, fuhr mit ihm nach Ruit ins Leistungszentrum, um ihn beim Training zu begutachten. "Dort habe ich gesehen, dass der eine Rakete war", berichtet Steinmetz. Es war die richtige Wahl. "Lazzarich hat dann auch richtig eingeschlagen."
1972 wurde die SV Neckarsulm verschaukelt
Die Meisterschaft war nicht der erste Team-Titel, der in der Region gefeiert wurde. Bereits 1972 wurde die SV Neckarsulm deutscher Meister, musste sich aber Platz eins mit Leverkusen teilen. "Da hatte man uns verschaukelt. Es wurde so gedeichselt, dass ein Patt herauskam", erinnert sich Steinmetz an Mauscheleien zugunsten Leverkusen. 1980 stand die KTV allein ganz oben auf dem Siegertreppchen vor der TG Saar, Leverkusen und dem TV Herbolzheim.

Das Unternehmen "Finale daheim" begann unter negativen Vorzeichen. "Am Nachmittag zuvor begann es heftig zu schneien", erinnert sich Tabler, dass die für die Anlieferung der Gerätschaften beauftragte Spedition verspätet auf der Schanz ankam. "Wir haben bis morgens um drei Uhr aufgebaut." Dann kam ein Fön. "Wasser drang über undichte Lichtkuppeln in Halle und durchnässte die Turnbahnen", erzählt Tabler. "Als wir am Morgen wieder in die Halle kamen, sahen wir das Unheil" Und so war abermals ein Kraftakt vonnöten. "Wir hatten zum Glück Ersatzmatten vor Ort, sonst hätten wir mit den Wettkämpfen nicht beginnen können." Vor dem DM-Finale wurden ja noch Aufstiegs-Wettkämpfe ausgetragen.
Eine geplante Feier an diesem Wochenende fiel Corona zum Opfer. Vor 40 Jahren war das anders, da wurde der Titelgewinn feucht-fröhlich begossen. "Ich muss gestehen, ich weiß das nicht mehr so genau. Aber die Erfahrung lehrt, bei solchen Erfolgen wurde auch dementsprechend gefeiert", sagt Gienger. Werner Steinmetz hat mehr Erinnerungen und man habe es "schon Krachen lassen", aber alles sei ihm Rahmen geblieben. Zumal Steinmetz am Sonntagmorgen erneut auf der Matte in der Schanzhalle stehen musste, als Trainer der KTV-Schülermannschaft, die es ebenfalls ins DM-Finale geschafft hatte und Vizemeister wurden.