Rüdiger Rehm über Robert Andrich: "Große Klappe, aber etwas dahinter"
Fußballtrainer Rüdiger Rehm spricht im Stimme-Interview über die Stärken und Fehltritte seines Ex-Spielers Robert Andrich, der am Donnerstagabend mit Leverkusen ins Europa-League-Finale einziehen will.

Robert Andrich ist der Mann der Stunde im deutschen Fußball. Er agiert oft an der Grenze und glänzt mit entscheidenden Toren für den Meister Bayer Leverkusen. Im Halbfinalrückspiel der Europa-League gegen AS Rom am Donnerstag (21 Uhr), blickt auch der Heilbronner Rüdiger Rehm auf den 29-Jährigen. Ihn hat er von 2017 an als Trainer des Drittligisten SV Wehen Wiesbaden eineinhalb Jahre lang geformt. "Er hat seine Zeit gebraucht, aber immer an seinen Weg geglaubt", sagt Rehm.
Herr Rehm, erinnern Sie sich an Ihr erstes Spiel mit Robert Andrich?
Rüdiger Rehm: Ja, natürlich!
War er schon damals dieses Mentalitätsmonster?
Rehm: Ich sehe ihn heute noch wie damals in der 3. Liga. Robs Spiel ist eins zu eins identisch mit seinen Auftritten von vor sieben Jahren. Allerdings hat er seine Qualitäten in allen Belangen weiter verbessert.
Robert Andrich verkörpert den "Sechser", mittlerweile eine Schlüsselposition in jeder Mannschaft. Was macht ihn dabei so stark?
Rehm: Der Begriff "Holding Six", den Thomas Tuchel gerne benutzt, beschreibt Rob perfekt. Er ist zweikampf- und kopfballstark, mutig, immer anspielbereit und hat ein ausgezeichnetes Passspiel. Seine Bereitschaft, vor allem auch die Drecksarbeit zu erledigen, ist seine große Stärke, auch wenn ihn das ab und zu eine unnötige Karte kostet.
Sie sprechen da aus Erfahrung?
Rehm: Ja, Rob spielt immer an der Grenze des Erlaubten. In unserer gemeinsamen Zeit in Wiesbaden bekam er zwei Rote Karten, als er etwas über die Stränge geschlagen hatte. Er war allerdings unser wichtigster Mann - und nach einer abgesessenen Sperre sofort wieder als unser Anführer auf dem Platz.
Andrich nannte Sie im Podcast der Brüder Toni und Felix Kroos einen "guten Trainer" - und das zu einem wichtigem Zeitpunkt seiner Karriere. Was haben Sie aus ihm rausgekitzelt?
Rehm: Das Meiste kommt vom Spieler selbst, wir Trainer unterstützen nur. Es wäre gelogen zu sagen, ich hätte gewusst, dass Rob Nationalspieler wird.
Was waren oder sind denn die Schwächen des Robert Andrich?
Rehm: Rob kann heute auch mit seinen Toren Spiele entscheiden. Das war nicht immer so. Früher haben wir oft über seinen Abschluss gesprochen. Er hat eine exzellente Schusstechnik, wie wir zweimal gegen den VfB Stuttgart und zuletzt im Hinspiel bei AS Rom sahen. Früher hat er oft die leichten Dinger aus fünf, zehn Metern nicht gemacht.
Wehen, Heidenheim, Union Berlin, Leverkusen. Die Clubs und Trainer, für die Andrich gespielt hat, stehen für eine eigene Fußball-Kultur und Ansprache. Wie hat ihn das beeinflusst?
Rehm: Bei all diesen Clubs steht der Teamgedanke an erster Stelle, und der Trainer ist oder war langfristig gesetzt. Diese Bedingungen waren für Rob essenziell, er braucht ein solches Betriebsklima, damit er sich wohlfühlt. Da ziehen sich die Parallelen durch.
Außer bei Ihnen in Wehen war er nicht immer direkt gesetzt und kämpfte um seinen Stammplatz.
Rehm: Ja, aber gerade das ist die Eigenschaft eines Musterprofis. Er hat sich nie von Rückschlägen treffen lassen, sondern hat es geschafft, sich dadurch noch mehr zu motivieren. Er hat seine Zeit gebraucht, aber immer an seinen Weg geglaubt und ist dorthin gegangen, wo er seine Chancen auf Spielzeit sah.
In Leverkusen erlebt er mit Granit Xhaka die wohl beste Phase seiner Karriere. Wie kann dies bei der deutschen Nationalmannschaft mit Toni Kroos funktionieren?

Rehm: Toni und Rob verstehen sich auch privat sehr gut, was von Vorteil sein kann. Macht der Andere einen Fehler, haut man sich gerne für seinen guten Kumpel rein. Toni Kroos hat auch sein Spiel verändert, nachdem es nach der EM 2021 viel Kritik gab. Er ist viel aggressiver und der absolute Leader im DFB-Team. Wenn Robert ein Fehler unterläuft, würde Toni Kroos auch mal zur Grätsche ansetzen.
Wie ergänzen sie sich spielerisch?
Rehm: Kroos lässt sich gerne beim Spielaufbau fallen, was Rob auch gerne macht - natürlich nicht so genial wie Kroos. Seine Laufstärke und sein gutes Passspiel erlauben ihm, den Aufbau zu übernehmen, wenn Toni gedeckt ist. Das macht das deutsche Spiel unberechenbarer. Der wichtigste Punkt ist aber das Spiel gegen den Ball. Toni Kroos gewinnt weniger Zweikämpfe als Robert und braucht den Abräumer neben sich. Diese Kombination hatten wir zuletzt beim Gewinn der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien, als Toni Koos mit Sami Khedira für eine überragende Balance aus dem Zentrum des DFB-Teams gesorgt haben. Das hat uns einfach bei den letzten Turnieren gefehlt.
Wenn wir diesen Spielertyp so sehr gebraucht haben, warum hat es so lange gedauert, bis man jetzt Robert Andrich dafür entdeckt hat?
Rehm: Ich glaube, dass er nie das große Talent war. Er ist spät gereift in der Jugend und hat mit 19, 20 auch häufiger mal Mist gebaut. Er hat sich seinen Weg selbst erarbeitet und das brauchte seine Zeit. Rob hatte schon immer diese unfassbare Mentalität zu sagen, ,Ich bin immer der Beste in dem, was ich mache". Ohne es rauszuhängen. Er hat eine große Klappe, aber da ist auch etwas dahinter. Er hat uns gezeigt, dass man mit Willen Rückschläge wegstecken und mit seiner Mentalität alles erreichen kann. Ein super Beispiel für jeden jungen Fußballer.
Kann Robert Andrich nach seiner guten Saison in Leverkusen auch der Mann bei der EM werden?
Rehm: Ich würde es ihm wünschen. Ich traue ihm alles zu, ich glaube für ihn gibt es momentan keine Grenzen mehr. Jetzt mit Leverkusen das Triple, danach der EM-Titel, dann könnte Rob schon mächtig stolz auf sich sein.
Zur Person: Rüdiger Rehm bestritt als Fußball-Profi 188 Zweitligaspiele. Als Trainer führte der 45-Jährige den Dorfverein SG Sonnenhof Großaspach 2014 zum Aufstieg in die 3. Liga. Nach einem Intermezzo bei Zweitligist Arminia Bielefeld verantwortete er den SV Wehen Wiesbaden mit dem er 2019 in die 2. Bundesliga aufstieg. Beim FC Ingolstadt 04 (13 Monate) und zuletzt Waldhof Mannheim (sieben Monate) lief es hingegen weniger erfolgreich. Rehm ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.