Tröpfchenweise verkündeter Fußball-EM-Kader: Ist das gut so?
Auf ungewöhnliche Art und Weise werden einzelne deutsche Spieler zur Fußball-EM 2024 vorab bekanntgegeben. Aber ist das wirklich gut gemacht vom DFB? Unsere Autoren sind geteilter Meinung.

Pro
Von Florian Huber
Geheimniskrämerei ist komplex im Profifußball. Es gibt zu viele Mitwisser in Clubs, bei Beratungsagenturen, bei Familien und Freunden, um eine erfolgte Nationalmannschafts-Nominierung tage- oder wochenlang unter dem Deckel zu halten. Um zu verhindern, dass einzelne Europameisterschafts-Fahrer durchsickern, ist die Salami-Taktik von Nagelsmann und Co. eine witzige Retourkutsche für "Bild" und Co., die damit ausgebremst werden.
Die neue Herangehensweise sorgt für mehr öffentliche Diskussionen über den EM-Kader, weil der nun tagelang Thema ist - und das nicht nur am Donnerstag, dem eigentlichen Tag der EM-Nominierung. Wenn der DFB-Kader schon inhaltlich wohl nicht die ganz großen Überraschungen liefert, dann darf doch die Art der Präsentation überraschend daherkommen. Man kann dem Deutschen Fußball-Bund nicht ständig vorwerfen, als Verband altbacken und aus der Zeit gefallen zu sein, nur um dann zu fordern, doch bitte alles genau so wie vor 40 oder 50 Jahren zu machen. Dafür haben sich die Zeiten zu sehr geändert, sind schnelllebiger geworden. Erst recht medial.
Der Fußball gehört allen und muss allen gerecht werden. Der Tagesschauzuschauer gehört wie die Tiktok-Generation mit kurzen Videoclips dazu. Fußball ist eben mal Kunst fürs Museum, mal bodenständiges Brezel-Handwerk aus der Bäckertüte. Dem DFB ist auf jeden Fall gelungen, dass nun tagelang mehr über das Wie als das Wer in Sachen EM-Kader diskutiert wird.
Contra
Von Lars Müller-Appenzeller
RTL-Frontfrau Frauke Ludowig verkündet die EM-Nominierung von Aleksandar Pavlovic, ein Bäcker im Nordschwarzwald gibt Chris Führich für die Heim-EM grünes Licht, die berühmte Frankfurter Galerie Schirn stellt ein Porträt von Leroy Sané aus und signalisiert ihm so Daumen hoch. "Dieses ganze Geleake der vergangenen Jahre", sagt Niclas Füllkrug, der sein Ticket in einer Radiosendung des WDR bekommen hat und von einer Retourkutsche gegen die aufgeregte Medienbranche spricht: "Donnerstags ist Nominierung und montags gibt es dann ja so ein paar Nicht-Fachmagazine, die dann ein paar Kader geleakt haben - die haben wir jetzt mal ein bisschen auf die Schippe genommen und selber geleakt. Das finde ich sehr cool." Nein, das ist sehr albern. Bei völlig übertriebenem Aufwand.
Wenn ambitionierte Proficlubs aus Nischensportarten ihre Neuzugänge scheibchenweise vorstellen, um mehr Aufmerksamkeit zu generieren - einverstanden. Aber hat die Nationalelf so ein Gestottere bei der Verlesung ihres Kaders nötig? Und das nötige Kleingeld sowie Ressourcen für diese Aktion? Offensichtlich.
Ja, über die Aktion spricht man. Sie erzeugt aber eine noch größere Fallhöhe. Die Nationalelf und ihr Umfeld sollten sich aufs Wesentliche konzentrieren: eine erfolgreiche EM, sportlich und organisatorisch. Die katastrophale WM 2022 in Katar mit dem Rumgeeiere zu One-Love-Binde hat gezeigt, wie störend Diskussionen außerhalb des Platzes sind. Die Nationalelf kann im Sommer sehr, sehr tief fallen.