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Noch können wir die schlimmsten Folgen des Klimawandels verhindern

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Aufhalten lässt sich der Klimawandel nicht mehr, aber seinen schlimmsten Folgen können wir noch entgegenwirken. Ein Gespräch mit Kira Vinke vom Potsdam-Insititut für Klimafolgenforschung über Wohlstand, Konsum und lokale Klimaschutz-Initiativen.

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Die aktuelle Oxfam-Studie zeigt: Vor allem reiche Bevölkerungsschichten sind für den Klimawandel verantwortlich. Im Interview erklärt Politikwissenschaftlerin Kira Finke vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, wie viel Zeit uns noch bleibt, um der Katastrophe entgegenzuwirken und wie jeder einzelne klimagerecht handeln kann. 

 

Ist es fünf vor oder fünf nach zwölf für den Klimawandel, Frau Vinke?

Kira Vinke: Wenn zwölf der Zeitpunkt ist, an dem der Klimawandel noch verhindert werden soll, dann ist zwölf schon vorbei. Wir sind bereits mitten in der Klimakrise. Es zeigen sich substanzielle Schäden, beispielweise auf Inselstaaten und besonders unterentwickelten Weltregionen. In Burkina Faso oder Bangladesch ist dort schon heute die Situation sehr prekär, aber auch die Waldbrände in den USA zeigen den hohen Preis des Klimawandels. Wenn zwölf der Zeitpunkt ist, an dem wir die schlimmsten Schäden verhindern können, dann ist es noch fünf vor zwölf. Den Amazonas-Regenwald kann man zum Beispiel noch schützen. Aber die dafür zur Verfügung stehende Zeit läuft bald aus. Wir können nicht erst in fünf Jahren aktiv werden, sondern müssen so schnell wie möglich die globalen Emissionen auf netto-null reduzieren.

 

Im Moment leiden vor allem die Menschen unter dem Klimawandel, die am wenigsten dazu beigetragen haben. Stichwort Klimakiller Reichtum. Wie kann man das Bewusstsein für die Auswirkungen des eigenen Handelns schärfen?

Vinke: Es gibt oft das Missverständnis, dass Klimawandel durch das Bevölkerungswachstum angetrieben wird. Das stimmt so nicht, weil die Bevölkerung vor allem in sehr armen Gebieten wächst. Dort verbrauchen die Menschen sehr wenig. Sie betreiben zumeist traditionelle Landwirtschaft, konsumieren nicht viel, fahren kein Auto, nutzen regenerative Energiequellen, um sich zu versorgen. Während wir in den wirtschaftlichen Mittel- und Oberschichten durch Konsum von Produkten und Lebensmitteln aus der ganzen Welt überproportional viel verbrauchen. Und natürlich auch durch das Fliegen. Das Ergebnis einer gerade erschienenen Oxfam-Studie lautet, dass die reichsten Ein-Prozent für doppelt so viel CO2 wie die ärmsten 50 Prozent der Menschheit verantwortlich sind. Das sind schockierende Zahlen. Da müssen wir ansetzen. 

 

Wie lässt sich das erklären?

Vinke: Die reichsten Ein-Prozent besitzen teils Privatjets, sie sind unglaublich mobil und konsumieren extrem viel. Dadurch haben sie einen viel größeren ökologischen Fußabdruck. Es handelt sich also um Überkonsum. Die andere Frage ist: Wie können wir in der Mittelschicht den normalen Konsum und den Wohlstand von Emissionen entkoppeln? Da tut sich bereits eine Menge. In Deutschland ist vor Corona die Wirtschaft gewachsen und die Emissionen sind stabil geblieben beziehungsweise sogar gesunken. Das heißt, es ist möglich, Wohlstand ohne Klimafolgen zu erzielen. 

 

Die Politikwissenschaftlerin Kira Vinke leitet am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) eine interdisziplinäre Projektgruppe zur Klimamigration. Foto: privat
Die Politikwissenschaftlerin Kira Vinke leitet am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) eine interdisziplinäre Projektgruppe zur Klimamigration. Foto: privat  Foto: Picasa

Reicht es denn auf lange Sicht aus, auf Eigenverantwortung des Einzelnen zu setzen? Oder braucht man Regeln, die „von oben“ vorgegeben sind?

Vinke: Auf jeden Fall brauchen wir Regeln. Wir setzen ja auch beim Straßenverkehr nicht nur auf Eigenverantwortung. Dort gibt es klare Regeln, die das Zusammenleben einfacher gestalten. Es ist auch eine moralische Last. Ich gehe als Konsument in den Supermarkt und muss mir überlegen: Wer hat das produziert? Wie viel Wasser hat die Herstellung gekostet? Sind die Sozialstandards eingehalten worden? Wie hoch ist der CO2-Fußabdruck? Das kann ein einzelner Mensch im Augenblick gar nicht alles abwägen. Dafür braucht man Regeln, die Standards sicherstellen. Sei es über eine CO2-Bepreisung, oder strikte Grenzwerte und Verbote.

 

In manchen Supermärkten wird der „wahre Preis“ neben dem Verkaufspreis angezeigt. Ist das ein gutes Mittel?

Vinke: Transparenz kann das Bewusstsein schärfen. Jeder ist in der Lage, die konkrete Situation zu verändern. Zum Beispiel weniger konsumieren, nachhaltige Produkte kaufen oder ganz einfach mehr Fahrrad fahren. Wenn das Bewusstsein geschärft wird, und der Konsument über die Entstehungskosten einer Ware informiert ist, wäre das förderlich. Und nicht zu vergessen: Viele klimabewusste Entscheidungen haben positive Nebeneffekte für die Gesundheit des Einzelnen und für die Gesellschaft insgesamt. Übermäßiger Fleischkonsum ist zum Beispiel nicht gesund.

 

Wie kann man denn konkret klimagerecht handeln?

Vinke: Ich halte es für wichtig, sich einzubringen und auf dem Gebiet des Umwelt und Naturschutzes aktiv zu werden. Wir kommen nicht umhin, die politischen Parteien zu veranlassen, sich der Frage der Klimagerechtigkeit zu stellen. Folgen und Auswirkungen unserer Wahlentscheidungen sollten wir nicht unterschätzen, denn sie sind richtungsweisend für den Fortschritt unserer Zivilgesellschaft. Dann gibt es noch andere Aspekte: nachhaltiger Konsum, mehr CO2-freie Mobilität und die Förderung einer besseren öffentlichen Verkehrsinfrastruktur. Die Corona-Pandemie zeigt, dass viele kleine Maßnahmen tatsächlich einen Einfluss auf den Verlauf einer großen Krise haben können. Verhaltensänderungen haben bewirkt, dass das Infektionsgeschehen bislang in Deutschland unter Kontrolle gehalten werden konnte.

 

Die Klima-Arena in Sinsheim ist eine gute Sache. Aber was bringt uns eine solche Einrichtung eigentlich?

Vinke: Persönlich war ich leider noch nicht vor Ort, das Konzept ist mir jedoch bekannt. Interaktives Lernen bietet die Chance, ein neues Verhältnis zur Natur aufzubauen. Gerade junge Menschen sind auf diesem Gebiet schon ein ganzes Stück weiter. Sie treffen Zukunftsentscheidungen nach anderen Kriterien als die ältere Generation. Die Klima-Arena verschafft anderen Zielgruppen einen Zugang zur Thematik. Die Publikation von wissenschaftlichen Artikeln allein reicht nicht. Möglichst breite Teile der Gesellschaft sollten sich meines Erachtens mit den Folgen des Klimawandels auseinandersetzen. Große Klima-Bewegungen beginnen im Kleinen. Die Transformationsdynamik lokaler und regionaler Initiativen sollte man nicht unterschätzen.

 

Klimawandel ist auch ein Mitverursacher von Migrationsbewegungen. Wie hängt das zusammen?

Vinke: Es gibt viele verschiedene Treiber für Migration. Dazu gehören auch politische und wirtschaftliche Gründe. Der Klimawandel wirkt sich auf diese Treiber aus. Es ist selten so, dass Menschen nur aufgrund von Klimafolgen migrieren. Meistens geschieht das in Kontexten von sozialer Ungleichheit oder Exklusion ländlicher Bevölkerungsgruppen vom nationalen Wohlstand. Klimawandel trifft verschiedene Länder, von denen viele ein niedrigeres Entwicklungsniveau als Deutschland haben. Gerade in ländlichen Gebieten leben Menschen oft weitgehend ungeschützt vor Extremereignissen. Ich habe im Süden von Bangladesch geforscht. Dort ist die Infrastruktur im ländlichen Raum sehr fragil. Wenn ein tropischer Zyklon auf eine Küstenregion trifft, sind die Bewohner oft zur Migration gezwungen, weil Haus und Hof zerstört sind. Andererseits werden kleine Inselstaaten überschwemmt, wodurch Süßwasser und Böden versalzen. In der Sahelzone ist der Regenfall unberechenbar geworden, Dürren folgen auf Starkniederschläge. Als Bauer ohne moderne Bewässerungsanlage bedeutet unregelmäßiger Regenfall ein existenzielles Risiko. Viele sind dann gezwungen, fortzuziehen. Bislang heißt Klimamigration aber vor allem Binnenmigration, sie findet also größtenteils innerhalb eines Landes statt.

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