"Der ökologische Wumms hätte größer sein dürfen"
Claudia Kemfert ist promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin und engagierte Klimaschützerin: Für die Autorin von "Mondays for Future" kein Widerspruch.

Freitag demonstrieren, am Wochenende diskutieren und ab Montag anpacken und handeln - so lautet der Untertitel von Claudia Kemferts aktuellem Buch "Mondays for Future". Im Stimme-Interview erläutert die 51-jährige promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin warum sich grüne Energie rechnet, demokratische Staaten krisenfester sind und was jeder Einzelne tun kann, um dem Klimawandel entgegen zu wirken.
Frau Kemfert, die Deutsche Bank gab kürzlich bekannt, bis 2025 alle Investitionen in den Kohleabbau zu beenden, der Flughafen Stuttgart will seine Solaranlagen um das Siebenfache ausbauen. Sind das Beispiele für einen grünen Wirtschaftswandel?
Claudia Kemfert: Ganz klar. Das Zeitalter der fossilen Energien neigt sich dem Ende entgegen. Öl wird zur Ramschware, Unternehmen in der fossilen Energie verlieren Investoren, das Geld wird dort abgezogen. Endlich werden auch die Risiken der fossilen Energie wie beispielsweise die Umweltschäden stärker berücksichtigt, auch wenn wir von der echten Kostenwahrheit noch ein gutes Stück entfernt sind.
Sind nachhaltige Investitionen mittlerweile auch ein Imagefaktor geworden?
Kemfert: Hier geht es nicht um Image, sondern um knallharte finanzielle Erwägungen. Viele Banken sitzen noch auf toxischen Papieren, die durch Abwertungen zunehmend zum Risiko werden. In meinem Buch erwähne ich diese Carbon Bubble* ja ausdrücklich. Um die Klimaziele von Paris zu erreichen, dürfte eigentlich schon heute gar kein Geld mehr in fossile und atomare Energie fließen.

Und im Fall des Flughafens, der ja aufgrund seiner Funktion alles andere als klimaschonend ist?
Kemfert: Hier dürften ebenfalls wirtschaftliche Erwägungen ausschlaggebend sein: Diese Solaranlagen rechnen sich! Ich würde mir wünschen, dass solche Anlagen auf allen Dächern in Deutschland installiert werden. Dann wären wir mit der Energiewende schon einen ganzen Schritt weiter.
Ihr aktuelles Buch ist ja ein Appell, endlich ins Handeln zu kommen. Wenn ich also bei meiner Hausbank nach nachhaltigen Geldanlage frage, werde ich ganz in Ihrem Sinne schon zum handelnden Akteur in Sachen Klimaschutz?
Kemfert: So ist es! Jeder kleine Baustein zählt. Wir müssen gemeinschaftlich ins Handeln kommen und die Zivilgesellschaft wird in dieser Hinsicht zum Glück auch immer aktiver.
Den Gemeinschaftsaspekt betonen Sie in ihrem Buch immer wieder. Ergibt es also mehr Sinn, wenn eine Mietergemeinschaft den Eigentümer zum Einbau einer neuen Heizung bewegt, als wenn ich persönlich nur im Unverpacktladen einkaufen gehe?
Kemfert: Beides ergibt Sinn. Ich gebe im Buch 53 Tipps zum aktiven Handeln, ich hätte auch 153 Tipps geben können. Die Liste ist praktisch unendlich. Es gibt aber kein Ranking. Mir ist wichtig, dass wir nicht in Lethargie verfallen und gar nichts tun, sondern dass deutlich wird, dass wirklich jeder etwas beitragen kann.
Zur Behebung der Schäden durch die Corona-Pandemie sind milliardenschwere Investitionen im Gange. Bieten die eine Chance für einen schnelleren nachhaltigen Umbau der Wirtschaft?
Kemfert: Der Neustart aus der Krise muss im Gegensatz zur Finanzkrise von vor zehn Jahren dazu genutzt werden, in eine klimaschonende, klimaneutrale Wirtschaftsweise zu investieren. Immerhin 30 Prozent der Gelder müssen explizit für Nachhaltigkeit und Klimaschutz eingesetzt werden. Ich hätte mir zwar einen größeren ökologischen Wumms gewünscht, aber auch diese Summe bietet schon eine enorme Chance.
Trotzdem hat die Coronakrise den Klimawandel in diesem Jahr als bestimmendes Thema verdrängt ...
Kemfert: Nein, aus meiner Sicht ist der Protest lauter denn je. Die Klimakrise und die Coronakrise besitzen ähnliche Muster: Die Wissenschaft hat bei beiden Themen lange gewarnt und entsprechende Szenarien entwickelt. Außerdem hat sich gezeigt, dass sich Weitsicht lohnt, um besser durch die Krise zu kommen. Das Motto Flatten the Curve* gilt für die Bewältigung beider Krisen. Wir haben zudem Lerneffekte durch die Coronakrise.
Welche?
Kemfert: Zum Beispiel dass Homeoffice und Videokonferenzen tatsächlich funktionieren und dass viele geschäftliche Fahrten und Flugreisen überflüssig sind. Oder nehmen Sie die Popup-Fahrradstraßen in Berlin. Nachdem zuvor zehn Jahre ergebnislos darüber diskutiert worden war, sind sie jetzt einfach da und werden rege genutzt.
Dafür hat der Autoverkehr zugenommen, weil die Leute in Bussen und Bahnen Angst vor Ansteckung haben.
Kemfert: Im Bereich ÖPNV muss man sicher viel verbessern und neue Anreize setzen. Auch das ist ein lange diskutiertes Thema und kein Problem allein der Coronazeit. Unabhängig von solchen Beispielen zäher Diskussionen hat sich gezeigt, dass starke Demokratien sehr viel besser durch die Krise kommen als schwache. Gerade populistisch geführte Länder haben enorme Probleme, weil sie die Gesellschaft spalten und die Solidarität schwächen. Die ist es aber, die wir auch zur Lösung der Klimakrise brauchen.
Dennoch ist nach den Klimawandel-Leugnern nun auch das teils personell deckungsgleiche und lautstarke Lager der Corona-Leugner entstanden.
Kemfert: Eine kleine Minderheit der Bevölkerung wird durch gezielte PR-Kampagnen aufgehetzt und von den Medien mit zu viel Aufmerksamkeit beschenkt - im Gegensatz zum Großteil der geräuschlos unterstützenden Bevölkerung. Diskurse über krude Verschwörungstheorien sind aussichtslos und vertane Zeit.

Woher nehmen Sie persönlich ihre Motivation, angesichts solcher Ignoranz weiter für Ihr Anliegen zu kämpfen?
Kemfert: Die Ignoranten sind laut, aber wenige. Viel größer und mächtiger ist die breite gesellschaftliche Bewegung der gesamten 4Future-Bewegung, von der Jugend über die Scientists, Teacher und Entrepreneurs bis zu den Omas. Das freut mich sehr. Sie alle machen sich zum Anwalt der Zukunft. Abgesehen davon bin ich ein von Grund auf optimistischer Mensch. Ich bin im Nordwesten Deutschlands aufgewachsen; da gibt es immer viel Gegenwind. Der ist für mich Energie und Antrieb zugleich.
Haben Sie abschließend einen Tipp, wie ich noch heute ins Handeln kommen kann?
Kemfert: Egal wo Sie gerade sind, im Job, in der Familie, im Verein: Beteiligen Sie sich, suchen Sie Mehrheiten und kommen Sie ins Handeln! Fragen Sie, ob Ihr Fußballclub Ökostrom bezieht, oder fordern Sie in Ihrem Unternehmen Prozesse für mehr Nachhaltigkeit. Ansätze zum Handeln gibt es überall.

Stimme.de