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Dicht und grün wohnen im Neckarbogen

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Mitten in der Stadt und doch am Rande der Natur, Fahrradstraßen statt Autolärm: Das Viertel auf dem ehemaligen Buga-Gelände zeigt, wie das Wachstum von Städten aussehen kann. Eine Woche lang beschäftigen wir uns damit, warum der Neckarbogen eine neue Qualität des öffentlichen Raums bietet. Es geht aber auch um die Kritik am neuen Stadtquartier.

von Bärbel Kistner
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 Foto: Seidel, Ralf

Auch die Poserszene hat den Neckarbogen für sich entdeckt. Am letzten sonnigen Nachmittag im September heizt ein getunter BMW durch die Theodor-Fischer-Straße. Dass man ihnen eher genervte als bewundernde Blicke hinterherschickt, stört die beiden jungen Männer im Wagen wenig. Dabei sind gerade Autos in dem neuen Stadtquartier eher ein Störfaktor. Der öffentliche Raum im Neckarbogen soll Fußgängern und Radfahrern gehören. An keinem Ort in Heilbronn ist das bislang so konsequent gedacht und umgesetzt wie im Neckarbogen.

Während der Bundesgartenschau konnten die Besucher im Umfeld der 22 Häuser ganz besonders gut erleben, welche Qualität Stadträume bekommen, wenn sie ihre Funktion als Orte der Kommunikation und Begegnung wahrnehmen können. Eine wichtige Funktion des öffentlichen Raums rückt immer mehr in den Fokus: Mit dem Klimawandel und den Hitzeperioden braucht es urbane Grünflächen und Wasser, damit das Wohnen in der Stadt erträglich bleibt. Im Neckarbogen gibt es eine hohe bauliche Dichte und andererseits viel Grün: Nach der Buga mussten zwar der Inzwischenwald weichen, und die Sommerinsel wird Baugelände.

Aber gleichzeitig wurden auf der ehemaligen Brachflächen auch 20 Hektar dauerhafte Grünflächen gestaltet mit Hafenwall und Campuspark und vor allem mit dem Neckaruferpark. Auf zwei Kilometer Länge ist das Ufer des Altneckars erstmals zugänglich, erfüllt aber gleichzeitig eine ökologische Funktion. Die Uferbereiche beim Holzsteg Richtung Wohlgelegen sind Rückzugsfläche für Vögel und deshalb in den Wintermonaten gesperrt. „Wir sind hier mitten in der Stadt und doch am Rande der Natur“, sagt Oliver Toellner, der bei der Buga für die Freiraumplanung zuständig war. Gerne verweist Toellner auch darauf, dass früher im Bereiche der Neckaruferpromenade die Bundesstraße befand.

Vorher-Nachher-Vergleich: Umwidmung der ehemaligen Kalistraße auf dem Buga-Gelände

Schieben Sie die Pfeile nach links und rechts, um die Vorher-Nachher-Ansichten zu vergleichen.

Drei Hektar Wasserfläche sowie sechs Spiel- und Sportanlagen haben die Bewohner im Quartier direkt vor der Haustüre. Karlssee und Floßhafen sind zugleich sogenannte Retentionsflächen, die Regenwasser speichern. Bewohner und Besucher nehmen vor allem die Freizeitqualität der Wasserflächen wahr: Die Uferbereiche an Seen und Fluss sind ein überaus beliebtes Ziel für Spaziergänge und Familienausflüge, Erdgeschosszonen gelten als Bindeglieder zwischen öffentlichen und privaten Räumen. Investoren im Neckarbogen mussten – und müssen es auch für den zweiten Bauabschnitt – Konzepte vorlegen für die Nutzung der Gewerbeflächen, zum Beispiel mit Kleingewerbe, Gastronomie oder Läden.

Leerstände

Allerdings fehlt es vielfach an der Umsetzung. Die Erdgeschosszonen im Neckarbogen sind noch von einigen Leerständen geprägt. Bislang gibt es drei Bäckerei- und Gastronomiebetriebe und zwei Architekturbüros. Eine Fläche ist gerade an einen Friseur vermietet worden. „Dass das nicht einfach werden würde, war uns klar“, erklärt Baubürgermeister Wilfried Hajek. Erst wenn es mehr Bewohner gibt, lohnen sich Gewerbebetriebe. Eine Idee, damit es besser funktioniert, ist ein zentrales Flächenmanagement.

800 Menschen wohnen aktuell in dem Quartier, Leerstand bei den Wohnungen gibt es kaum, fast alle sind vermietet – bei den Fürsprechern ein Beweis, dass das neue Viertel beliebt ist. Auf 3500 Bewohner soll der Neckarbogen bis zum Jahr 2029 wachsen.

Ausschreibung für den zweiten Bauabschnitt

Derzeit läuft die Ausschreibung für den zweiten Bauschnitt für drei Baufelder zwischen der Paula-Fuchs-Allee und dem Floßhafen. Investoren können sich noch bis Ende Oktober mit einem fertigen Konzept bewerben. 28 Grundstücke sind im Angebot. Die Quadratmeterpreise variieren je nach Lage und liegen zwischen 790 und 960 Euro.

Die Vergabe der Grundstücke erfolgt wie bereits beim ersten Bauabschnitt nach dem Konzept, das soll Nutzungsvielfalt, architektonische Qualität und technische Innovation garantieren. Eine Baukommission mit profilierten und Stadtplanern und Architekten entscheidet über die Vergabe. Den Vorsitz hat erneut der Vorstandsvorsitzende der Bundesstiftung Baukultur, Reiner Nagel. Investoren können sich für beliebig viele Grundstücke bewerben. Ein Architekt kann maximal zwei Entwürfe machen, die nicht nebeneinander liegen dürfen. Endgültig verkauft wird das Grundstück erst auf Basis des Baugesuchs – damit auch das gebaut wird, was als Planung eingereicht wurde. Da gibt es andernorts oft erhebliche Differenzen.

Ein Streitpunkt ist von Anfang an die soziale Durchmischung des Quartiers – vielen gilt der Neckarbogen als ein Quartier der Reichen. Eigentumswohnungen lagen im ersten Bauabschnitt bei weit über 4000 Euro pro Quadratmeter. Wer zur Miete wohnt, zahlt vielfach Kaltmieten von um die 15 Euro. Eine Quote für geförderten Wohnungsbau gab es in der ersten Runde nicht. Nur neun Prozent der Wohnflächen sind bislang gefördert – einzig die Stadtsiedlung hat im Rahmen ihrer Selbstverpflichtung entsprechend gebaut. Für den zweiten Bauabschnitt hat die Gemeinderatsmehrheit eine Quote von 20 Prozent beschlossen – fünf Prozent höher als von der Verwaltung vorgeschlagen. Grüne, SPD und Linke waren mit ihrem Antrag auf 30 Prozent Förderquote nur knapp gescheitert.

Seitens der Sozialverbände wie etwa der Aufbaugilde regt sich Protest gegen die ihrer Ansicht nach zu geringen Quote. Denn vor allem im unteren Preissegment übersteigt die Nachfrage nach Wohnraum deutlich das Angebot.

Bei einem Vergleich mit anderen, erfolgreichen Vierteln kann der Neckarbogen mithalten. Zum Beispiel mit der Seestadt Aspern in Wien. Ein zentraler Gedanke bei der Entwicklung des Quartiers war die Schaffung der Infrastruktur bevor die Bewohner einziehen. Im Heilbronner Neckarbogen steht mit dem zehnstöckigen Skaio Deutschlands höchstes Holzhaus. In der Wiener Seestadt hat man einige Schippen drauf gelegt: Das Holzhochhaus Hoho ragt 24 Stockwerke und 84 Meter in den Himmel.

Fahrplan Neckarbogen

Investorenauswahlverfahren für den zweiten Bauabschnitt läuft im Herbst 2020. Die Baukommission für die Vergabe der Grundstücke tag im November. Baubeginn für weitere 28 Häuser ist Ende 2021.
Beim zweiten Bauabschnitt soll auch eine Quartiersgarage realisiert werden.

Bau der internationalen Josef-Schwarz-Schule für 1000 Schüler mit Sporthalle und Internat ab 2021. Der Standort ist der ehemalige Fruchtschuppen.

Ab 2021 Ausbau der Paula-Fuchs-Allee und Bau der Blitz-Brücke für Fußgänger und Radfahrer über die Bahngleise.
2023/24 soll es je nach konjunktureller Lage mit dem nächsten Bauabschnitt weitergehen.

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