Autoarmes Quartier: Kann das in Heilbronn funktionieren?
Im Neckarbogen sollen so wenig Autos wie möglich im Freien parken, um dem Quartier eine hohe Lebensqualität zu bieten. Die Bewohner des Viertels sind zwiegespalten: Die einen finden das verkehrsarme Konzept schön, die anderen sehen Verbesserungsbedarf.

Möglichst wenig Autos, möglichst viele Fußgänger und Fahrradfahrer – so lautet die Devise im neuen Wohngebiet Neckarbogen. Das Konzept des autoarmen Viertels wurde von Anfang an klar kommuniziert. „Der Neckarbogen ist als Quartier der kurzen Wege im Herzen Heilbronns geplant“, erklärt die Pressestelle der Stadt. Wenn der öffentliche Raum möglichst frei von ruhendem Verkehr sei, steige auch die Lebens- und Aufenthaltsqualität in dem Viertel.
Letztendlich soll der Neckarbogen so auch Vorbild für andere Stadtteile sein und zeigen, wie gut ein Viertel mit viel Platz für Fußgänger und Radfahrer ankommt. In der Praxis funktioniert noch nicht alles reibungslos, besonders mit Blick auf die Parksituation. Sogar im Gemeinderat von Heilbronn ist das Thema nun angekommen, mit einem Antrag der CDU-Fraktion auf Übergangs-Anwohnerparkplätze auf dem ehemaligen Buga-Gelände. Bei den Bewohnern des Neckarbogens gehen die Meinungen zum Thema Verkehr und Parken stark auseinander.
Die Vorteile: familienfreundlich, bewegungsfördernd, geräuscharm
Auf der einen Seite gibt es Bewohner, die mit dem Konzept hochzufrieden sind. Zum Beispiel Tim Fischer: „Für uns war die Wohnung im Neckarbogen ein absoluter Glücksgriff. Meine Frau und ich sind Professoren, wir haben zwei Kinder. Wir können beide zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Arbeit und ein Auto reicht uns völlig.“ Für dieses Auto hätten sie einen Tiefgaragenstellplatz.
Wenn man Tim Fischer zuhört, könnte man meinen, die Stadt hätte genau eine Familie wie seine als Bewohner des Neckarbogens im Kopf gehabt. Denn das Quartier sollte möglichst nachhaltig denkende Menschen anziehen, familienfreundlich sein und dazu anregen, das Auto einfach einmal stehen zu lassen. Genau diese Dinge schätzt Tim Fischer auch. Nachts könne man die Fenster auflassen, ohne dass lärmender Verkehr und stinkende Autos den Schlaf stören. Und: „Man kann hier sehr schöne Spaziergänge machen. Gerade in der Home-Office-Zeit hat das dazu beitragen, dass der Corona-Bauch reduziert werden konnte“, sagt der 41-Jährige schmunzelnd.
Natürlich versteht Fischer auch, dass Menschen in anderen Lebenssituationen die Lage anders einschätzen. „Wenn man hier als Single wohnt und der Freund oder die Freundin zu Besuch kommt, ist für deren Auto kaum Platz. Und ich kann auch verstehen, dass manche, die zwei Autos brauchen, Probleme bekommen. Aber bei den meisten Nachbarn, die ich kenne, gibt es keine Beschwerden, zumal wir vorher wussten, dass das Viertel so geplant wurde“, sagt er.
Die Probleme: zu wenig Parkplätze für Zweitwagen, zu viele quartiersfremde Autos
Auf der anderen Seite stehen Anwohner, denen das Konzept des autoarmen Viertels noch nicht ganz ausgereift erscheint. Und auch der Stadt ist klar: Die Nachfrage übersteigt die Anzahl aktuell vorhandener Stellplätze. Der Unmut der Bewohner betrifft allerdings nicht ausschließlich die mangelnden Parkmöglichkeiten.
Martin König zum Beispiel ist enttäuscht, dass kein Übergangsparkplatz geschaffen wurde. „Es wurde uns zugesagt, dass direkt nach der Buga hinter der Jugendherberge ein Interimsparkplatz entstehen würde. Das ist nie passiert“, sagt der 42-Jährige. Aber auch die bestehende Tiefgarage seines Gebäudes hält er für eine Fehlkonstruktion. „Mein Auto ist für die Hebebühnen in der Garage zum Beispiel zu schwer. Eine andere Bewohnerin hat ein Familienauto, das nicht in den Stellplatz reinpasst“, erzählt er. An sich, betont König, sei die Idee des Viertels und das Leben dort genial. „Aber die Stadt Heilbronn hat die Tendenz, tolle Konzepte in den Sand zu setzen“, sagt er. Als Beispiel nennt er den Badener Hof im Osten Heilbronns. Die Idee für das Neubaugebiet sei auch dort sehr gut gewesen, aber letztendlich habe man zu sehr verdichtet. „Ich habe die Befürchtung, das könnte mit dem zweiten Bauabschnitt hier auch passieren.“
Alexander Schroers ist hingegen besonders wegen der mittlerweile verschärften Halteverbote und Parkzeitbegrenzungen, zum Beispiel auf der Bleichinselbrücke, verärgert. Dort würde er seinen Zweiwagen gerne parken. Die Stadt erklärt: „Um dem hohen Parkdruck, insbesondere durch quartiersfremden Verkehr, zu begegnen, wurde die zulässige Höchstparkdauer auf der Bleichinselbrücke, die derzeit als temporäre Parkmöglichkeit zur Verfügung steht, eingeschränkt." Beispielweise Besucher der Innenstadt oder Berufstätige, die in der Nähe arbeiten, hätten diese Parkplätze als Dauerparker belegt. Dabei waren sie doch eigentlich für die Anwohner gedacht. Diese können die Parkplätze jetzt allerdings auch nicht mehr unbeschränkt nutzen. „Ich verstehe nicht, warum man keinen Bewohnerausweis hätte anfertigen können, damit wir weiter auf der Brücke parken können“, sagt der 27-jährige Alexander Schroers.
Letztendlich wussten die Bewohner des Neckarbogens aber doch von vorneherein, dass es nur einen Stellplatz pro Wohneinheit in der Tiefgarage geben würde. Warum also jetzt die Beschwerde, dass der Zweitwagen nirgends Platz findet? „Mein Partner und ich sind eingezogen, da hatten wir tatsächlich nur ein Auto und das hat uns gereicht. Mittlerweile habe ich aber den Job gewechselt und einen Geschäftswagen bekommen, den wir nun auch brauchen, um beide zur Arbeit zu kommen“, erklärt Schroers. Das Dilemma: Ein Stellplatz für den Dienstwagen in den umliegenden Parkhäusern koste viel Geld und „man muss eben auch länger hinlaufen als zum Beispiel zur Bleichinselbrücke“.
Die Lösungsansätze: Dialog und Quartiersgarage
Für Martin König gibt es einen klaren Lösungsansatz: Wer möchte, dass sich Menschen ändern, sollte ihnen nichts wegnehmen, sondern attraktive Alternativen bieten. „Wenn es eine gute Infrastruktur gibt, zum Beispiel konsequente Radwege und eine sehr gute Nahverkehrsanbindung, dann ist es leichter und komfortabler, diese Angebote zu nutzen als das Auto. Und dann verändert sich das Verhalten automatisch.“
Seine zweite Lösung: Der versprochene Interimsparkplatz. Den plant die Stadt nach eigener Aussage auch: „In der nächsten Stufe wird bis zur Fertigstellung der geplanten Quartiersgarage eine weitere Interimsparkmöglichkeit eingerichtet.“ Man wolle den Bewohnern Kurz- und Langzeitparkmöglichkeiten bieten. Die Quartiersgarage im Baufeld westlich der Jugendherberge solle dann langfristig für Entlastung im gesamten Viertel sorgen. „Derzeit wird eine Inbetriebnahme der Quartiersgarage Ende 2022 angestrebt", teilt die Stadt mit.
Drittens, schlägt Alexander Schroers vor, sollte es eine Infoveranstaltung oder einen Dialog der Planer mit den Bewohnern geben. „Wir müssen Kompromisse finden, damit wir hier weiter gut zusammenleben können.“ Genug freie Flächen für kurzfristige Parkplätze gebe es ja, zumindest bis zum Beginn der Arbeiten am zweiten Bauabschnitt.