Fünf Männer, fünf US-Staaten, fünf Gespräche
US-Amerikaner, die in der Region leben, sprechen über Kulturunterschiede, Politik, die anstehende US-Wahl und die gesellschaftliche Spaltung in den USA. Im Gespräch erklären sie außerdem, was sie hoffen, fürchten und warum schlechte Eigenschaften auch gut sein können.
Da sitzt man also mit Stirnrunzeln vor dem Fernseher, hört dem Nachrichtensprecher zu und denkt: „Mannomann, was ist da drüben in den USA denn heute schon wieder los.“ Durch die deutsche Brille kommt einem das Land jenseits des Atlantiks plötzlich so weit weg vor, mit Männern in USA-Flaggen gehüllt, die ihre Make-America-Great-Again-Mützen aufsetzen und sich mit einem Plakat auf die nächste Trump-Rallye begeben: „Build the wall, nice and tall!"
Aber Moment: Das ist ja nur die eine Seite einer tief gespaltenen Gesellschaft, nur eine Mini-Szene aus einem riesigen Land. Vielleicht ist es an der Zeit, die deutsche Brille abzusetzen und mit Menschen zu sprechen, die beide Kulturen gut kennen. Zum Glück gibt es in der Region tatsächlich ein paar US-Amerikaner. Und fünf sind sogar bereit für ein ausführliches Gespräch: Mark Kendall, Case Scaglione, Thomas Haley, Matthew Spahr und Nico Weinmann.
Die Vorgeschichte

Bevor es um die großen interkulturellen und politischen Fragen geht, zunächst ein wenig Vorgeschichte: Wie kommt man als US-Amerikaner überhaupt nach Deutschland?
„Also bei mir war das eine Frauengeschichte“, sagt Mark Kendall und lacht. Für Case Scaglione war klar, dass man als Dirigent oder klassischer Musiker einfach nach Europa muss: „Mein Traum war immer, ein Orchester in Deutschland zu dirigieren“, erzählt er. Thomas Haley berichtet: „Mein Vater war US-Amerikaner, meine Mutter Deutsche. Als er starb, sind wir in Deutschland geblieben. Damals war ich sechs Jahre alt.“ Bei Matthew Spahr fing alles mit einem Besuch der weitläufigen Verwandtschaft in Eppingen-Mühlbach an: „In der Zeit habe ich meine Ehefrau kennengelernt“, erzählt er. Und FDP-Politiker Nico Weinmann erklärt: „Meine Mutter ist US-Amerikanerin, dadurch habe ich die doppelte Staatsbürgerschaft.“
Zwei Liebesgeschichten, zwei zufällige Schicksale und einmal die Liebe zur Musik also, die die enge Verbindung zwischen den USA und Deutschland hergestellt haben. Und fünf völlig unterschiedliche Männer, deren Erzählungen auf eine Reise durch beinahe die gesamten USA führen: New Mexico, Texas, Virginia, Indiana und Maryland.
Die Mentalität
Gemeinschaftssinn versus Individualismus: Gegensätze, die ihr Gutes und ihr Schlechtes haben. So sieht das der Chefdirigent des Württembergischen Kammerorchesters Heilbronn, Case Scaglione: „Die Deutschen sind eher bereit, ihren eigenen Komfort für das große Ganze, the greater good, aufzuopfern. Das steigert die Lebensqualität aller. Auf der anderen Seite führt das auch zu einem riesigen Bürokratie-Apparat.“ Und die US-Amerikaner? „Wir sind alle Flüchtlinge, kommen aus unterschiedlichen Teilen der Welt. Unsere Vorfahren wollten die Freiheit so sehr, dass sie alles taten, um sie zu erlangen. Sie reisten tausende von Meilen, nur um auf ihnen völlig unbekanntes Terrain zu kommen.“
Diese Freiheitsliebe und der Individualismus seien Stärken, aber gerade in Pandemie-Zeiten eben auch eine Schwäche. „Man sieht die Resultate in der Corona-Krise: Die Deutschen sind von der Mentalität her besser gerüstet“, sagt der Texaner.
Allen fünf Männern fällt sofort noch ein anderer Punkt ein: Herzliche Oberflächlichkeit, wie Nico Weinmann sie nennt. „Das Vorurteil, dass Amerikaner freundlich, aber oberflächlich sind, ist vielleicht richtig, aber im Alltag nicht immer verkehrt“, sagt Matthew Spahr. Der Mühlbacher, der ursprünglich aus Indiana stammt, erzählt: Wenn er in der Öffentlichkeit, zum Beispiel im Supermarkt, eine lockere Bemerkung mache, würde in den USA immer mitgelacht. „Hier wird man komisch angeschaut“, sagt er amüsiert.
Die Politik
„Staunend“ blickt Nico Weinmann in diesen Zeiten in die USA. „Die letzten Jahre sind unglaublich dramatisch gewesen. In einem Land, das für so viel Positives stand, tritt der Präsident plötzlich fundamentale Werte mit Füßen“, bedauert der Landtagsabgeordnete aus Heilbronn. Und so gehen alle fünf Gespräche früher oder später in dieselbe Richtung: Politik.
Die Männer sind alle keine Donald-Trump-Unterstützer, obwohl zwei von ihnen politisch eher konservativ veranlagt sind. Viele nennen Trumps Umgang mit der Wahrheit als eines der größten Probleme, und dass er nur an sich selbst denke, anstatt Entscheidungen für die Bürger des Landes zu treffen. Doch die Wurzeln der politischen Zweiteilung der USA liegen nach Meinung aller fünf US-Amerikaner tiefer und sind allein mit Donald Trump nicht zu erklären.
„Schon unter Bush Junior haben wir in der Familie angefangen, über Werte zu diskutieren“, sagt Mark Kendall, der im Staat New Mexico bereits per Briefwahl abgestimmt hat. „Beide Parteien haben zumindest eine Teilschuld an der Situation, die grundsätzlich nicht erst in den letzten vier Jahren entstanden ist“, erklärt Matthew Spahr.
Und wenn Joe Biden die Wahl gewinnt? „Ich fürchte, dass es bei einer Abwahl des derzeitigen Präsidenten zu gewalttätigen Szenen kommen kann“, sagt Thomas Haley. „Milizen wie die Proud Boys gibt es schon und Donald Trump spornt sie an.“ Bewaffnete Aufstände nach der Wahl am 3. November halten alle fünf Männer aber nur punktuell für möglich. Für einen Flächenbrand, einen landesweiten Bürgerkrieg, „sind die Institutionen zu stark“, sagt Mark Kendall.
Die Medien
Was bei vielen US-Amerikanern die politische Ausrichtung zementiere, seien die Medien. Sie werden von fast allen fünf Männern kritisiert. Neutrale, objektive Berichterstattung sei in den USA schwer zu finden. „Ich habe im Urlaub in den Staaten einmal zwischen Fox News und CNN hin und her geschalten. Das sind zwei unterschiedliche Universen“, erzählt Matthew Spahr. „Die Amerikaner sind nicht so gut informiert wie die Europäer", meint auch Mark Kendall. „Donald Trump wird in den europäischen Medien stark negativ bewertet und wesentlich kritischer gesehen als das in den USA der Fall ist", sagt Nico Weinmann. Dass der Präsident die Medien in den USA für seine Zwecke nutzt, findet auch Case Scaglione: „Aber es wäre gefährlich, zu denken, dass das erst mit ihm angefangen hat“, sagt der Texaner.
Seiner Ansicht nach herrscht zudem zu viel finanzielle Abhängigkeit im System: „Die schlimmste Krankheit unseres Landes ist, dass unbegrenzt viel Geld in der Politik steckt“, erklärt er. Das mache Politiker abhängig von Lobbyisten und reichen Unternehmen, die zum Teil mehrere Millionen Dollar in die Politiker und ihre Wahlkampagnen investierten. Und es mindere das Vertrauen der Bürger in die politischen Institutionen.
Die Spaltung
Republikaner und Demokraten stehen sich in weiten Teilen des Landes unversöhnlich gegenüber. „Der Kontakt mit meiner Familie in Virginia ist stark abgekühlt, auch wegen der politischen Lage. Sie sind bekennende Trump-Wähler“, sagt Thomas Haley. Der 46-Jährige bedauert, dass er einfach keine gemeinsame Gesprächsbasis mehr mit ihnen findet, beide Seiten stehen sich entfremdet gegenüber.
Zerwürfnisse in Familien und im Freundeskreis sind in diesen Zeiten nicht selten. Mark Kendall macht das traurig: „Die Menschen sprechen nicht mehr miteinander. Das ist sehr schlecht für die Demokratie.“ Er wünscht sich eine bessere Diskussionskultur.
In einem sind sich die fünf Männer am Ende der Gespräche einig: Auch ein Joe Biden wird den gesellschaftlichen Schalter nicht einfach so umlegen können. Der Weg aus der Spaltung wird beschwerlich und lang.