So wird der Jahreswechsel trotz Böllerverbot nicht langweilig - und nachhaltiger
Wachsgießen, Neujahrsbrezel: Es gibt zahlreiche Ideen für einen nachhaltigen Jahreswechsel. Beispiele aus der Region zeigen, dass Silvester auch in diesem Jahr trotz Ausgangssperre und Böllerverbot nicht langweilig werden muss.
Mit Krach und Lärm die bösen Geister des zurückliegenden Jahres vertreiben - selten wäre der vorchristliche Brauch in der Silvesternacht wohl so nötig wie in diesem Jahr. Doch mit Leuchtraketen und Böllern wie in den Vorjahren wird es dieses Mal nichts. Der Verkauf von Silvesterfeuerwerk ist 2020 deutschlandweit untersagt, es gilt ein An- und Versammlungsverbot an öffentlichen Plätzen. Allerdings sollte nicht nur die Corona-Pandemie das Böllern in Frage stellen.

Umweltschützer kritisieren die Tradition bereits seit einigen Jahren. Rund 2050 Tonnen Feinstaub wurden in der Vergangenheit jährlich durch das Abbrennen von Feuerwerkskörpern freigesetzt - rund 75 Prozent davon in der Silvesternacht. "Diese Menge entspricht knapp einem Prozent der insgesamt in Deutschland freigesetzten Feinstaubmenge", heißt es in einem neuen Bericht des Umweltbundesamts (UBA).
Gesundheitliche Risiken
Ernste Gesundheitsgefahren durch Feinstaub allein in der Silvesternacht sieht das UBA kaum. Verletzungen durch Raketen und Schäden durch Brände wiegen im Vergleich dazu deutlich schwerer. "Private Feuerwerke braucht kein Mensch", sagt Simon Fischer. Der Heilbronner kritisiert vor allem den tonnenweisen Müll, den Silvesterböller verursachen. Allein in den fünf größten deutschen Städten Berlin, Hamburg, München, Köln und Frankfurt am Main wurden laut dem Verband kommunaler Unternehmen zum Jahreswechsel 2017 rund 191 Tonnen Silvesterabfall produziert. Tendenz steigend.
Simon Fischer erinnert sich bis heute begeistert daran, wie seine Eltern in den 80er Jahren ihm und seinen Geschwistern eine Musikkassette mit Hits des Jahres statt Böllern schenkten. "So habe ich bereits als Kind gelernt, dass eine Kassette Bestand hat, Raketen aber in der Luft verpuffen." Laut Statista wurden 2019 übrigens Feuerwerkskörper im Wert von 133 Millionen Euro verbrannt.
Wachs ersetzt das giftige Blei

Dass Silvesterbräuche ganz einfach nachhaltiger gestaltet werden können, stellt Christine Bender fest. "Bei uns wird zum Beispiel Wachs gegossen", erklärt die Beilsteinerin. Mittlerweile wurde Bleigießen verboten, weil in den Sets zu viel gesundheitsschädliches Blei enthalten war. Die Dämpfe, die beim Bleigießen entstehen, können das zentrale Nervensystem schädigen. "Einfach Wachsreste auf einem Löffel über einer Kerze schmelzen lassen und dann in ein Glas Wasser mit Eiswürfeln gießen", verrät die zweifache Mutter. Je kälter das Wasser, desto schneller stockt das Wachs. Die Ergebnisse können genauso interpretiert werden wie beim Bleigießen.
Die Autorin Anna Brachetti weist in ihrem Ratgeber "Einfach nachhaltig Weihnachten" (EMF) auf weitere Gründe für ein Böller-Verbot hin: "Feuerwerkskörper werden zu 97 Prozent in Indien und China zu ausbeuterischen und gefährlichen Bedingungen hergestellt." Wenn Lärm am 31. Dezember sein muss, dann wären Vuvuzelas oder Ratschen eine gute Alternative, die bösen Geister zu verjagen.
Hund und Katz freuen sich über die Ruhe
Hin und hergerissen ist Stephanie Meusel. Die 32-jährige Löwensteinerin liebt es, das Feuerwerk der Nachbarn zu beobachten und wird es in diesem Jahr vermissen. "Meine vier Katzen werden aber froh sein, wenn die Nacht ruhig bleibt", so Meusel. Für die nächsten Jahre regt sie zentrale Licht- und Multimediashows wie 2019 auf dem Schlossplatz in Stuttgart an. 10.000 Menschen kamen in der Landeshauptstadt in einem abgesperrten Bereich zusammen, um die kostenlose Lasershow um Mitternacht zu verfolgen. Das reduziere die Lärmbelästigung und Schadstoffemissionen. Moderne Lasertechnologie verbrauche wenig Strom, und dieser könne aus regenerativen Quellen kommen.
Auch die von vielen so geliebten Wunderkerzen hält die dreifache Mutter Anna Brachetti für bedenklich: "Die Beschichtung ist meist giftig und beim Verbrennen entsteht umwelt- und gesundheitsschädlicher Stickstoff." Fackeln und Laternen würden länger brennen und ein wunderschönes Licht geben. "Wenn es Wunderkerzen sein sollen, kauft die große Variante, die drei Minuten lang brennt und beschränkt euch auf eine pro Person." Einen schönen Brauch pflegt die Familie von Yvonne Reusch. "Um Mitternacht oder morgens zum Frühstück gibt es ein Stück Neujahrsbrezel", berichtet die Heilbronnerin.

Tradition ist es, dass die Brezel von Reuschs Mutter und aus Hefeteig gebacken wird. Raclette und Fondue als beliebte Silvester-essen lassen die Herzen von Umweltschützern höher schlagen. "Sie eigenen sich perfekt zur Resteverwertung", schwärmt Bernd Schneider. "Fondue haben wir auch bereits vegan mit Kokosfett ausprobiert", erklärt der 54-Jährige. Auch Gemüsebrühe sei eine vegane und zudem kalorienreduzierte Variante.
Virtueller Spieleabend
Der eine oder andere wird in diesem Jahr erleichtert aufatmen: Die lästige Frage, auf welchem Event ins neue Jahr gefeiert wird, stellt sich wegen der Ausgangssperre erst gar nicht. Damit der 31. Dezember aber kein Abend wie jeder wird, bieten sich verschiedenste Ideen an. Die Erlenbacher Jungwinzer bieten über die Videoplattform Youtube eine virtuelle Weinprobe an - Silvester Live Tasting. Bis zum 27. Dezember konnten sich Interessierte festliche Sekte und Rotweine nach Hause bestellen, die morgen Abend gemeinsam geköpft werden.
Ebenfalls bequem vom heimischen Sofa aus kann man den Texten der Lesebühne Längs aus Hamburg lauschen. Statt wie sonst in der Mathilde Bar präsentiert das Ensemble Kurzgeschichten via Youtube. "Wir veranstalten einen virtuellen Spieleabend mit Freunden", verrät Benjamin Wantschek. Der Student und seine Freundin haben das Game Among Us für sich entdeckt. "Das Spiel ist nicht nur die perfekte Möglichkeit, trotz Lockdown mit Freunden zu spielen, sondern garantiert jede Menge Nervenkitzel." Worum geht es? "Man befindet sich auf einem Raumschiff und muss den Verräter innerhalb der Spieler entlarven, bevor es zu spät ist." So gehen die Stunden bis zum Jahreswechsel garantiert wie im Flug vorbei.
Mit Kindern kann man sich die Wartezeit verkürzen, in dem man kleine Glücksbringer bastelt. "Kleine Kieselsteine wie Marienkäfer anmalen", schlägt Anna Brachetti vor.
Süßes Orakel
Eine lustige Alternative zum Blei- beziehungsweise Wachsgießen, um die Zukunft vorherzusagen, kann auch das Gummibärchen-Orakel sein. Beim Gummibärchen-Orakel zieht jeder Teilnehmer mit verschlossenen Augen fünf Gummibärchen. Die gezogene Farbkombination kann man dann auf der Website des Gummibärchen-Orakels entschlüsseln lassen. Das Gummibärchen-Orakel hat der Autor Dietmar Bittrich erfunden. Besonders beeindruckt werden die Gäste sein, wenn man Gummibärchen selber macht. Ansonsten geben gekaufte Gummibärchen in Bio-Qualität ebenso zuverlässige Prognosen ab.
"Zeit für sich selbst gönnen"
Der 31. Dezember ist nicht nur der letzte Tag des Jahres, er liegt auch in der Mitte der sogenannten Rauhnächte, denen im europäischen Brauchtum eine besondere Bedeutung zugemessen wird. Larissa Hauser verrät im Gespräch, was es mit den zwölf Nächten zwischen den Jahren auf sich hat.
Wir befinden uns bei den Rauhnächten auf halber Strecke. Was verbirgt sich überhaupt dahinter?
Larissa Hauser: Die Rauhnächte gehen zurück auf das Mondjahr, das mit 354 Tagen kürzer ist als das Sonnenjahr. Als man vom Mond- zum Sonnenjahr übergegangen ist, waren elf Tage und zwölf Nächte übrig - die sogenannten Rauhnächte. Gleichzeitig liegt der Ursprung auch in der Natur - der Wintersonnenwende am 21. Dezember, dem eigentlichen Ende des Jahres. Seit der Einführung des Christentums werden allerdings die Tage vom 25. Dezember bis zum Dreikönigstag als Rauhnächte bezeichnet.
Was ist an den Tagen so besonders?
Hauser: Der Übergang zwischen den Jahren ist ein Vorgeschmack aufs neue Jahr. Wenn die Tage total grauslig verlaufen, dann kann man schon erahnen, wie 2021 wird. Und umgekehrt: Wenn es besonders schöne und ruhige Tage werden, kann auch das ein Zeichen sein. Die Rauhnächte stehen auch für Rückbesinnung und Achtsamkeit.
Haben wir das in diesem Jahr besonders nötig?
Hauser: Die gesamte Situation während der Corona-Pandemie hat die Menschen gezwungen, nach innen zu schauen. Zu reflektieren, wie geht es mir wirklich, wenn ich mich nur mit mir selbst beschäftigen muss. Dass dadurch Ängste oder erstmal Konfrontationen entstanden sind, können wir nicht abstreiten. Umso schöner aber auch zu sehen, wie viele Menschen jetzt tiefer in sich hineinhören. Und sich mehr Zeit und mehr Gedanken für sich selbst gönnen.
Wie gehen Anhänger der Rauhnächte mit den Altlasten von 2020 um?
Hauser: Anders als bei den Normalos, die Silvester böllern wollen, wird geräuchert. Und das tatsächlich täglich. An einem Tag putzt man zum Beispiel sein Schlafzimmer und verabschiedet mit dem Rauch das Alte. Geräuchert wird mit kleinen Weihrauch-Steinchen oder aber Kräutermischungen. Beliebt ist es auch, getrockneten Salbei in einer kleinen Schale anzuzünden. Dadurch wird das Alte vertrieben, das Neue, das Licht kann wieder einziehen.
Wie sieht es mit Vorsätzen fürs neue Jahr aus?
Hauser: Es ist immer gut, wenn man eine gewisse Vorstellung davon hat, wie man sich sein Leben wünscht. Wenn man selbst kein Bild davon hat, wer soll es dann haben? Auch wenn es am Ende anders kommt, ist es schön, wenn man innerliche eine Art Leitfaden hat.
Sie haben im Vorfeld ein Ritual in den Rauhnächten angedeutet ...
Hauser: Stimmt, man schreibt sich normalerweise am 24. Dezember zwölf Wünsche plus einen fürs neue Jahr auf. Also insgesamt 13. Und an jedem Tag wird ein Wunsch blind gezogen und dann ganz bewusst beim Räuchern verbrannt. Der Wunsch, der am 6. Januar übrig bleibt, um den müssen wir uns selbst kümmern. Der wird nicht vom Universum übernommen. Wer aber mag, kann sicherlich auch jetzt noch für die verbleibenden Tage bis zu den Heiligen Drei Königen Wünsche aufschreiben und einsteigen.