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Das Virus und die Wahlen

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2021 werden Landtag und Bundestag neu zusammengesetzt. Die Corona-Pandemie zwingt Politiker zu einem Wahlkampf, wie sie ihn noch nie geführt haben. Als Positionsbestimmung für die Parteien gilt die Landtagswahl im Südwesten.

Von unserem Korrespondenten Peter Reinhardt
Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen, am Rednerpult) will bei der Landtagswahl am 14. März sein Amt als Ministerpräsident von Baden-Württemberg verteidigen.
Foto: dpa
Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen, am Rednerpult) will bei der Landtagswahl am 14. März sein Amt als Ministerpräsident von Baden-Württemberg verteidigen. Foto: dpa  Foto: Sebastian Gollnow

Wenigstens einen Hauch von Normalität wollen die Liberalen bieten. Deshalb gehen sie für ihre traditionelle Dreikönigskundgebung auch beim Jubiläum wie in den 74 Jahren zuvor in die Stuttgarter Oper. Wo sonst bis zu 1400 Besucher klatschen oder buhen, wird diesmal aber gähnende Leere herrschen, wenn FDP-Chef Christian Lindner auf der Bühne das Superwahljahr 2021 mit der erwartet kämpferischen Rede eröffnen wird. Die Gäste müssen sich wegen der Corona-Regeln über das Internet zuschalten. "Ohne Zuhörer im Großen Haus vor leeren Rängen, das ist auch eine Botschaft", meint Michael Theurer, der Chef der Südwestliberalen, bedauernd. Das ist der FDP die hohe Miete wert, die ihnen die Theaterleitung seit einigen Jahren aufbrummt.

Die Pandemie zwingt alle Parteien zu einem besonderen Wahlkampf. Eigentlich gehören zu politischen Auseinandersetzungen Menschenaufläufe, Nähe und Präsenz. Niemand weiß, ob solche Veranstaltungen in den zehn Wochen bis zu den Landtagswahlen am 14. März in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz noch einmal möglich werden. Grünen-Landtagsfraktionschef Andreas Schwarz glaubt eher nicht daran, allenfalls kleine Versammlungen kann er sich vorstellen. Rennradfahren mit ihm fällt dem Grünen-Hoffnungsträger als Möglichkeit ein. Das ist gewiss nicht jedermanns Sache, vor allem wenn man weiß, dass Schwarz trainingshalber jeden Sommer das Stilfser Joch hochfährt.

Die beiden März-Wahlen sind die erste Positionsbestimmung für die Parteien in einem Jahr, das im Herbst mit der Bundestagswahl seinen politischen Höhepunkt haben wird. Entsprechend gespannt blicken die Strategen in den nächsten Wochen in den Südwesten. Hier können sie Wahlkampf unter Pandemie-Bedingungen testen.

Wahlkampf findet jetzt online statt

"Ich mache gute Erfahrungen mit digitalen Veranstaltungen", sagt Schwarz. Auch CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann hat ihre Tour durchs Land, bei der sie alle 70 Wahlkreise besuchen wollte, längst ins Internet verlegt. Statt Auge in Auge mit Besuchern sitzt sie jetzt jeweils mit einem Kandidaten im Studio der Stuttgarter Parteizentrale, rund 150 Interessenten schalten sich zu. Die Werbung läuft über die klassischen Medien. Deren Bedeutung, glaubt Schwarz, wächst als Informationsmedium.

"Einen Corona-Wahlkampf werden wir nicht führen", betonen Eisenmann und Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen unisono. Die Begründung hat CDU-Landtagsfraktionschef Wolfgang Reinhart: "Die Menschen wollen in der Krise Lösungen, keinen Streit." Bis jetzt hat der Burgfrieden weitgehend gehalten. Nur Grünen-Landeschefin Sandra Detzer ist mit der Klage ausgeschert, die CDU sei für ihre Partei "in der Klimapolitik ein Klotz am Bein". Kretschmann ging sofort auf Distanz und hat die Gemeinsamkeiten mit dem Koalitionspartner betont: "Wir arbeiten erstaunlich gut zusammen."

Spannendes Duell im Südwesten

Ausgezahlt hat sich das zuletzt aber mehr für die Grünen. In einer Umfrage kurz vor Weihnachten lagen sie mit 35 Prozent satte fünf Punkte vor der CDU. Trotzdem ist die Lage unübersichtlich: Während Infratest dimap regelmäßig die Grünen vorne sieht, kommt das konkurrierende Institut Insa ebenso stabil zu einem Ergebnis mit der CDU als Siegerin. Für Eisenmann kommt es darauf an, das Duell mit Kretschmann in der öffentlichen Wahrnehmung möglichst auf Augenhöhe zu gestalten. Das würde der Kultusministerin helfen, ihre mauen Popularitätswerte aufzubessern und die bürgerlichen Wähler für die CDU zu mobilisieren.

In der Südwest-CDU hat Eisenmann für Geschlossenheit gesorgt. Mit Landeschef Thomas Strobl, dem sie die Spitzenkandidatur entrissen hatte, stimmt sie sich regelmäßig ab. Gegenwind droht ihr durch die Wahl des neuen CDU-Bundesvorsitzenden Mitte Januar. Bei den Delegierten im Landesverband hat Friedrich Merz zwar eine klare Mehrheit, andernorts ist das aber nicht so. Der "ruinöse Wettbewerb" der drei Kandidaten, von dem die Noch-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer gesprochen hat, könnte in Querelen über die Kanzlerkandidatur münden und Eisenmanns Wahlkampf belasten.

Die vom Erfolg verwöhnten Grünen bekommen es erstmals mit Konkurrenz im eigenen Lager zu tun. Die von jungen Aktivisten gegründete Klimaliste könnte am Ende gerade die Prozentpunkte kosten, die sie für einen Sieg über die CDU brauchen. Ein Zweierbündnis mit einem der Großen hätten zwar sowohl die SPD (erklärtermaßen mit den Grünen) wie die FDP (bevorzugt mit der CDU) gern. Für eine wahrscheinlichere Dreierkoalition muss also eine der beiden kleineren Parteien über ihren Schatten springen.

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