Die Förderung an den Schulen läuft an
Das Land legt für Schüler ein spezielles Förderprogramm Rückenwind auf. Viele Schulen in der Region wollen darauf nicht warten und haben eigene Programme ins Leben gerufen. Ein Gymnasium teilt dieses Schuljahr sogar viele Klassen im Englisch-Unterricht. Eine Realschule stockt bei den Fünfern in Deutsch und Mathe auf.

"Die Kinder sind heiß auf Schule", sagt Harald Schröder von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Der GEW-Sprecher im Kreis Heilbronn betont, dass die Mädchen und Jungen froh seien, dass das Schuljahr mit regulärem Unterricht angefangen habe. Das eine ist die Stimmung, das andere sind die Unterrichtsinhalte. Lehrer wissen, dass die Kinder gefördert werden müssen. Alle schauten deshalb gerade danach, wo die Schüler ihren Bedarf haben, betont Harald Schröder.
Die Bildungsgewerkschaft erwartet ein "laues Lüftchen"
Große Unterstützung haben Bund und Land mit einem Programm versprochen, das unter dem Motto "Rückenwind" steht. Zwei Jahre soll es laufen, Ehrenamtliche sollen mit ins Boot geholt werden, im September sollen Schulen den Bedarf melden. Nach den Herbstferien soll es losgehen - soweit der Plan aus Stuttgart. Nur: "Rückenwind wird ein laues Lüftchen", befürchtet Harald Schröder. Rechnerisch bräuchte man im Land insgesamt 30.000 Freiwillige. Dass so viele tatsächlich gefunden werden, bezweifelt der GEW-Vertreter. Er berichtet von einem anderen Ansatz, den das Land verfolge: Lehrer würden derzeit "dazu ermutigt", mehr zu arbeiten. Das sei aber keine Aufstockung des Deputats, sagt Harald Schröder. Ohnehin sehe es bei der Lehrerversorgung sehr schlecht aus. Er geht deshalb davon aus, dass die Wertgutscheine, die den Schulen über Rückenwind zur Verfügung gestellt würden, an Kinder verteilt würden - damit die private Nachhilfeinstitute besuchen könnten.
Der soziale und emotionale Bereich ist wichtig
Rückenwind soll, so das Versprechen des Landes, nicht nur schulische Inhalte vermitteln. Es geht auch ums Soziale und Emotionale. "Dieser Bereich ist wesentlich wichtiger", sagt Harald Schröder. Wenn es hier nicht stimme, könnte auch nur wenig gelernt werden. Harald Schröder hofft unterdessen, dass beim Stoff aufs Wesentliche geachtet werde. Beispiel Mathe: An weiterführenden Schulen sei es wichtig, dass das Bruchrechnen klappe. Dass Kinder aber auch ein Dreieck spiegeln können müssen, sei weniger entscheidend. Vielleicht lernen sie es noch bis zum Schulabschluss, vielleicht aber auch nicht. In Coronazeiten müsse man eine solche Lücke den Kindern zugestehen, sagt Harald Schröder.
Gymnasien haben zu Rückenwind noch viele Fragezeichen
Auch Gymnasien in der Region wollen gar nicht erst auf Rückenwind warten. Für Marco Haaf, der die Direktoren in der Region als Sprecher vertritt, ist vieles im Programm zurzeit ohnehin noch unklar. "Ich weiß nicht, wie das ablaufen soll." Über ein Online-Tool sollen Schulen mit Freiwilligen vernetzt werden. "Darauf können wir noch gar nicht zugreifen", sagt der Schulleiter. "Es gibt noch ziemlich viele Fragezeichen."
Auch die vom Land vorgegebene Zeitschiene gilt für viele Schulen als ambitioniert. Wo liegen die Unterstützungsbedarfe - das sollen Schulen im September erfassen. Doch beispielsweise würden die Lernstände in Klasse fünf erst ab kommender Woche erhoben, sagt Marco Haaf.
Marco Haaf weiß, dass viele Schulen schon eigene Förderprogramme aufgelegt haben. Rückenwind käme dann zusätzlich hinzu. Das Neckarsulmer Albert-Schweitzer-Gymnasium, das Marco Haaf leitet, teile beispielsweise in den Stufen sechs bis neun alle Klassen im Fach Englisch. So werde es einen viel intensiveren Unterricht geben, es könne mehr gesprochen werden - was während der Schulschließungen so gar nicht möglich war. Dass dies in Neckarsulm möglich ist, habe mit der guten Lehrerversorgung zu tun. "Wir sind froh." Parallel dazu seien dann andere Fächer wie Ethik oder Kunst voller.
Kinder müssen bereit fürs Lernen sein
Die Fünfer der Heinrich-von-Kleist-Realschule Heilbronn haben jeweils eine Stunde mehr Deutsch und Mathe, sagt Rektorin Melanie Haußmann, die zugleich geschäftsführende Schulleiterin ist. Sie nutzte dafür Poolstunden, für die sie noch Schulstunden übrig hatte. An ihrer Schule sowie an anderen ist es wichtig, den Kindern ein Ankommen zu ermöglichen, sagt sie. "Das brauchen die Kinder." Erst dadurch seien sie in einem zweiten Schritt bereit fürs Lernen. Geboten werden deshalb schon sehr früh Wandertage und außerschulische Aktionen. Beim Landesprogramm Rückenwind begrüßt sie, dass es langfristig angelegt ist. Zur Herausforderung werde aber, das Personal zu gewinnen, sagt Melanie Haußmann.
Elternsprecher ist skeptisch
Auch Christoph Eberlein weiß, dass es bei Kindern Defizite gibt. "Schulen haben viele Kinder überhaupt nicht erreicht", erinnert der Vorsitzende des Heilbronner Gesamtelternbeirats an den mehrmonatigen Schullockdown. Ihm geht es aber nicht nur um den Stoff. Kindern fehlte häufig die Tagesstruktur. "Förderung ist wichtig." Allerdings solle sie langfristig angelegt sein und nicht so kurzfristig wie die Lernbrücken, die in den Sommerferien an zwei Wochen stattfanden.
Der Heilbronner Elternsprecher bleibt skeptisch, ob die vom Land versprochene Förderung über Rückenwind tatsächlich wie erhofft umgesetzt werden kann. Christoph Eberlein blickt dafür nur auf den Start ins aktuelle Schuljahr. Corona prägt seit eineinhalb Jahren das Leben. "Zum neuen Schuljahr lief aber nichts." Man müsse doch gerade den Ergänzungsbereich an Schulen ausbauen. Hier könnten dann Lehrer mit zusätzlichen Deputaten den Förderunterricht anbieten.