Von Aphrodite bis Kim Kardashian – Schönheitsideale im Wandel der Zeit
Neun Epochen, in denen sich die Einstellung zu Kurven, Taille, Hautfarbe und Mode immer wieder eindrucksvoll verändert hat - eine Aufarbeitung von Kulturwissenschaftlerin Alexandra Regiert vom Bikiniart-Museum in Bad Rappenau zeigt die Schönheit im Wandel.
Was ist schön? Diese Frage wird im Laufe der Jahrhunderte immer wieder unterschiedlich beantwortet. Wie Schönheitsideale in unterschiedlichen Epochen empfunden wurden, hat Kulturwissenschaftlerin Alexandra Regiert vom BikiniArt-Museum in Bad Rappenau für die Erweiterung der dortigen Ausstellung näher untersucht. Sie leitet auch das Forum Befreiung contra Sexismus. Die Schließung während der Corona-Zeit hat das Museumsteam genutzt, um den Bereich „Woman Power“ in der permanenten Ausstellung weiter zu entwickeln, erläutert Historikerin Lisa Otten, die das Museumsarchiv und die Ausstellungskonzeption leitet. Ziel sei es unter anderem, das medial aktuelle Thema „Body Positivity“ abzubilden. Und dazu gehören auch Schönheitsideale im Wandel der Zeit. Aber nicht alles hat sich in diesem Zusammenhang über die Zeit verändert, weiß Alexandra Regiert. "Jugend, eine makellose Haut und Symmetrie sind zeitlose
Maßstäbe für Ästhetik", führt sie in einem Text zur neuen Ausstellung aus. Dabei ließen sich auch Zusammenhänge zwischen den gesellschaftlichen und politischen Situationen der jeweiligen Zeit erkennen: Während in Zeiten der Not der Fokus eher auf kräftigen, wohlgenährten Körpern lag, gilt in der modernen Welt des Überflusses eher ein schlanker, durchtrainierter Körper als ästhetisch. Die Kulturwissenschaftlerin hat neun Schönheitsepochen identifiziert:
1600 v. Chr. bis 27 v. Chr.: Aphrodite als Maßstab

Griechische Statuen gelten bis heute als der Inbegriff von Ästhetik. Insbesondere Aphrodite, die griechische Göttin der Liebe und Schönheit, ist bis heute untrennbar mit einer für Sterbliche unerreichbaren Makellosigkeit verbunden. Die ideale Frau hatte ebenmäßige Gesichtszüge, war anmutig und schlank und besaß eine Haut, die laut dem Dichter Homer „weißer als Elfenbein“ erschien. Der heute begehrte sonnengebräunte Teint galt damals als vulgär. Da Römerinnen und Griechinnen von Natur aus eine dunklere Haut besitzen und häufige schwere Arbeit auf dem Feld verrichten mussten, war die noble Blässe nur für Wohlhabende zu erreichen.
6. bis 16. Jahrhundert: Runde Bäuche und rasierte Haaransätze
Das mittelalterliche Schönheitsideal war massiv geprägt vom erstarkten christlichen Glauben. Übermäßige Eitelkeit und jede Form von Prunk waren daher verpönt und wurden als unschicklich erachtet. Im Mittelalter galten bei den Damen eine knabenhafte Statur mit leicht gerundeten Schultern, schmaler Taille und Hüfte als ideal. Um die begehrte hohe Stirn herbeizuzaubern, wurde nicht selten der Haaransatz rasiert. Ein runder Bauch signalisierte Fruchtbarkeit. Große Brüste waren unerwünscht und wurden mit der Zugehörigkeit eines niedrigen Standes assoziiert: Die vornehme, adelige „Frouwe“ besaß idealerweise eine kleine, wohlgeformte Brust.
16. bis 17. Jahrhundert: Doppelkinn und Sinnlichkeit
Mit der Renaissance zeichnete sich bereits Mitte des 15. Jahrhunderts eine Blütezeit der Wissenschaft und Kultur ab. Damit einhergehend veränderte sich auch das knabenhafte Körperideal des Mittelalters hin zu einer sinnlicheren und fülligeren Figur. Ausladende Hüften, ein wohlgeformtes Gesäß und ein leichtes Doppelkind galten als äußerst ansprechend. Die physische Erscheinung wurde nun nicht mehr getrennt vom Wesen eines Menschen betrachtet. Zudem kam die klassische Eleganz der römischen und griechischen Antike wieder zunehmend in Mode. Dies kam auch in der bildenden Kunst zum Ausdruck. Sandro Botticellis „Die Geburt der Venus“ gilt bis heute als eines der bedeutendsten Kunstwerke aller Zeiten. Das berühmte Sujet der Venus mit wallendem Haar visualisiert den Inbegriff des Schönheitsideals an der Schwelle zur Neuzeit.
17. bis 18. Jahrhundert: Das mollige Ideal des Barocks

Durch die Nöte und das Elend des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) erschien zunehmend ein Schönheitsideal erstrebenswert, das in dieser Zeit der Entbehrung besonders schwer zu erreichen war: üppige Kurven und ausladende Schenkel. Dies spiegelte sich vor allem in den Werken des flämischen Künstlers Peter Paul Rubens wider, der bis heute für seine sinnlich-kurvigen „Rubensfrauen“ bekannt ist. Darüber hinaus war die noble Blässe bei Männern und Frauen nach wie vor im Trend, die bei Adeligen zusätzlich durch intensives Nachhelfen mit weißem Puder auf ein Maximum getrieben wurde. Besonders ästhetisch erschien es, wenn das „blaue Blut“ wortwörtlich in Form von blauen Adern unter der Haut durchschimmerte. Weißgepuderte Perücken trugen dazu bei, die Grenzen zwischen Jugend und Alter verschwimmen zu lassen. Ab Mitte des 17. Jahrhunderts bereitet das Korsett der barocken Leibesfülle ein jähes Ende. Die durch Schnürungen erzielte Sanduhr-Figur wird zum Synonym für den idealen weiblichen Körper.
19. bis 20. Jahrhundert: Taillen-Wahn

Ab der französischen Revolution im Jahr 1789 orientierte man sich wieder vermehrt an der griechischen und römischen Antike. Perücke und Korsett wichen einer hohen, schmalen Taille. Eine unschuldig-elegante Natürlichkeit galt als erstrebenswertes Schönheitsideal. Der idealerweise schlanke, aber wohlgeformte Körper bestach durch wohlgeformte Schultern und Brüste sowie einer alabasterweißen Haut. Mit dem fortschreitenden 19. Jh. kam das Korsett erneut in Mode und das Ideal der schlanken Taille wurde auf ein bislang unerreichtes Maximum getrieben. Auch Kaiserin Elisabeth (1837-1898), genannt Sissi, war bekannt für ihren Schlankheitswahn.
Umbruch im frühen 20. Jahrhundert: Abschied von Kurven und Korsetts
Anfang des 20. Jahrhunderts stellte das vom US-amerikanischen Cartoonisten Charles Dana Gibson gezeichnete „Gibson-Girl“ mit ihrem hochgesteckten Haar, der prominenten Brust und den ausladenden Hüften den Inbegriff moderner Weiblichkeit dar. Im Zuge der Frauenrechtsbewegung und dem Beginn der progressiven „Goldenen Zwanziger“ verschob sich das Schönheitsideal von der feminin-grazilen Frau hin zu einer androgyn-lasziven Garçonne. Die ehemals hoch gefragten weibliche Kurven verschwanden fast vollkommen. Stattdessen galten Frauenkörper mit langen Beinen, wenig Brust und Taille als besonders ästhetisch. Dies wurde auch durch den Schnitt locker sitzender Kleider betont, die in krassem Kontrast zur korsettfixierten Mode des vorherigen Jahrhunderts standen.
1930 bis 1960: Renaissance der Weiblichkeit

Bereits ab den 1930er Jahren erlebte der kurvige Körper eine Renaissance: Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten verlor die Emanzipation an Bedeutung. Stattdessen wurden Mütterlichkeit und Weiblichkeit propagiert. Dies äußerte sich in der erneuten Bedeutungsaufwertung voller Brüste, einer schmalen Taille und ausladenden Hüften. Das Korsett wurde nun in Form eines elastischen Gürtels um Bauch und Hüfte getragen. Im Zusammenhang mit der Rassenpolitik des Nationalsozialismus galt bis 1945 die gebärfreudige, kräftig gebaute Frau mit "arischem Aussehen" als attraktiv. Nach dem Krieg wuchs der Einfluss der US-amerikanischen Filmindustrie auf europäische Körperideale. Filmstars wie Marilyn Monroe, Sophia Loren und Jane Russel betonten vor allem Wespentaille und Brust. Mit Pillen, die die Gewichtszunahme fördern sollten, speziellen Büstenhaltern und enger Kleidung versuchte die Frau von Nebenan diesem Ideal näher zu kommen.
1970 bis 1990: Lange Epoche des Schlankheitswahns

Mitte der 1960er Jahre revolutionierte das britische Model „Twiggy“, geb. Dame Lesley, das traditionelle Schönheitsideal der 1960er Jahre. Mit einer Größe von 1,70 Meter und einem Gewicht von 42 Kilogramm war das Model jedoch stark untergewichtig. Junge Frauen und Mädchen, die dem neuen Schlankheitsideal nacheiferten, fokussierten sich nun auf möglichst effiziente Diätmethoden. Das Ideal einer möglichst schlanken und androgynen Figur verschärfte sich mit dem Bedeutungsgewinn des Feminismus
und der revolutionären 1968er-Bewegung. Auch in den 1970er Jahren galt unverändert ein möglichst schlanker Körper als ästhetisch, wenngleich im Zuge der Hippie-Bewegung mehr Wert auf Natürlichkeit gelegt wurde. In den 1980er Jahren schwappte die Aerobic-Welle aus den USA nach Europa. Weibliche Rundungen und Hüftspeck waren maximal verpönt.
1990 bis heute: von Size-Zero zu prallen Pos

Das britische Topmodel Kate Moss legte in den 1990er Jahren mit ihrem ausgemergelten „heroin chic“ den Grundstein für den Size-Zero-Trend, der über 20 Jahre lang bestehen bleiben sollte. Ab etwa Mitte des zweiten Jahrzehnts wandelte sich das Schönheitsideal vom mageren Frauenkörper ohne Rundungen hin zum durchtrainierten, muskulösen Körper. Sixpacks und Muskelpartien gelten als ansprechend und Social-Media-Influencer erreichen hinsichtlich der Körperoptimierung neue Dimensionen. Während noch zu Beginn des Jahrtausends Rücken und Hinterteil eine Linie bildeten, ist heute eine fein geschwungene S-förmige Kurve en vogue, die unter anderem von Kim Kardashian oder Demi Rose repräsentiert werden. Gleichzeitig zeichnet sich eine nahezu revolutionäre Entwicklung ab. Im Zuge der Body-Positivity-Bewegung löst sich nun der Fokus langsam von einem einzigen geltenden Schönheitsideal. Stattdessen wird für eine realistischere Darstellung von Körpern in sozialen Netzwerken und den Medien plädiert.
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