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Heute hier, morgen dort: Ort hilft gestrandetem Zirkus

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Heute hier, morgen dort: Das ist das Los vieler Zirkusleute. In der Pandemie geht die Rechnung nicht auf. Der Circus Montreal aus Bayern wollte eigentlich auf Tournee sein, dann strandete er in Großerlach unweit der Heilbronner Kreisgrenze. Die ganze Gemeinde unterstützt die Truppe. Manege frei für eine Geschichte großer Hilfsbereitschaft.

von Linda Saxena
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Gabriele Köllner, die Lamas Chip und Chap und Sohn André vom Zirkus Montreal
Gabriele Köllner, die Lamas Chip und Chap und Sohn André vom Zirkus Montreal  Foto: Linda Saxena

Idyllisch gelegen ist der Bolzplatz in Großerlach, einer Gemeinde im Rems-Murr-Kreis. Nur wenige Kilometer ist es von hier bis Wüstenrot im Landkreis Heilbronn. Dort, umgeben von Wald und Wiesen ist momentan die Familie Köllner zu Hause. Und mit ihnen, Pferde, die Lamas Chip und Chap, Ziegen, Gänse, Enten und Seidenhühner. Fügt man noch die Talente der siebenköpfigen Familie hinzu, wie Feuerschlucken, Jonglieren, Clown-Shows, Seiltanz und Luftnummern am Trapez, wird deutlich, wie die Familie ihren Lebensunterhalt bestreitet. Bereits in der fünften Generation führen die Gabriele und Andreas Köllner den Circus Montreal. Doch mit Beginn der Corona-Pandemie ändert sich alles für den Familienbetrieb. 

Tournee wird abgesagt

Schon das Jahr 2020 beginnt mit einer Planänderung. „Es war sehr verregnet, weshalb der Tourneestart auf März verschoben wurde“, erinnert sich Gabriele Köllner (57). Normalerweise legt der Zirkus nach den Weihnachtsvorstellungen bis zu den Faschingsferien eine Winterpause ein. Das diese nun länger dauern würde, zeichnete sich schnell im März 2020 ab. „Als die ersten Absagen kamen, war schnell klar, dass die ganze Tournee abgesagt werden muss“, so Köllner. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich der Zirkus mit seinem gesamten Hab und Gut im Winterquartier auf einem Privatgrundstück in Bartenbach bei Sulzbach an der Murr. Im Sommer wird die Fläche allerdings als Nutzfläche benötigt. „Die Besitzer waren sehr nett und haben uns nicht verjagt.“ Dennoch war klar, dass der Zirkus weiterziehen muss. Das Problem: Wie viele andere Zirkusse hat auch der Circus Montreal kein festes Winterquartier. „Man ist überfordert, wie viele andere Unternehmen es auch waren“, beschreibt Köllner ihren Gefühlszustand. 

Hilfe naht – in Gestalt eines Bürgermeisters

Dann rückt Hilfe näher, in Gestalt des Großerlacher Bürgermeisters Christoph Jäger. In einer Lokalzeitung liest er von der Notlage des Familienunternehmens. Gemeinsam mit seiner Frau überlegt er, wie man dem Zirkus helfen kann. „Neben dem Freizeitzentrum war eine Art Bolzplatz, der nicht wirklich genutzt wurde“, sagt er. Schnell wurde mit Besitzer Marco Wieland abgeklärt, ob man den Zirkus dort unterbringen könne. Auch für einen Strom- und Wasseranschluss ist gesorgt. „Wir sind überrascht, wie viel Hilfe und Unterstützung uns entgegengebracht wird“, sagt Köllner. „Die ganze Gemeinde fragt nach und kümmert sich.“ Auch Bürgermeister Jäger zeigt sich erfreut über die Hilfsbereitschaft der Menschen. „Gerade in Zeiten der Pandemie ist es wichtig, sich gegenseitig zu helfen“, sagt er. Der Zirkus gehöre schließlich zur Kulturgeschichte dazu.

Und so ist der Familienzirkus aus dem bayrischen Fürstenfeldbruck seit einem Jahr nach wie vor in Großerlach zu finden. Dabei packt die Zirkusleute die Wanderlust. „Wir reisen überwiegend in Baden-Württemberg“, sagt Köllner. Häufig gastieren sie in Tourneezeiten für ein bis zwei Wochen im Heilbronner Raum, im Rems-Murr-Kreis oder im Ostalbkreis. „Jeder Zirkus hat seine Ecken und wiederkehrende Spielplätze“, sagt sie. So treten sie an bis zu 30 Standorten im Jahr auf. Wie der Name Circus Montreal zustande kam? Eine Hommage an den Traum von Schwiegervater und Schwager. „Sie wollten gerne in Kanada reisen“, erklärt Köllner.

Zum Zeitvertreib werden neue Nummern einstudiert

Doch in der Pandemie ist das Reisen für den Zirkus unmöglich geworden. Zwar gab es für kurze Zeit im Sommer 2020 Lichtblicke mit kleineren Auftritten, die mit dem Lockdown wieder ad acta gelegt werden mussten. Nun heißt es abwarten, wie sich die Corona-Lage entwickelt. „Die Artisten trainieren jeden Tag und die Tiere werden bewegt“, erzählt Köllner. Es werden neue Kunststücke und Nummern für die Tiershows eingeübt, die Fahrzeuge neu lackiert und der Fuhrpark instandgehalten, „so viel, wie eben der Geldbeutel hergibt“, sagt sie. Durch den Ausfall ist die Familie auf staatliche Hilfe angewiesen, schließlich laufen die Unkosten wie Tierarztrechnungen und TÜV für die Anhänger des Zirkus weiter. „Das haben wir noch nie in Anspruch nehmen müssen“, sagt Köllner. „Es fällt nicht leicht.“ Besonders dankbar sind sie für die zahlreichen Futterspenden der Landwirte und Bewohner der Gemeinde. 

Die Pandemie hat langfristige Auswirkungen auf Zirkusse

Trotz all der Ungewissheit wird kein Trübsal geblasen. „Wir stehen in den Startlöchern und hoffen, sei es mit wenig Besuchern, auf baldige Auftritte“, sagt Köllner. Auswirkungen der Pandemie zeigen sich dann möglicherweise in der Tourneeplanung, prognostiziert sie. „Statt langfristig muss dann kurzfristig geplant werden. Es kommt darauf an, wie offen die Gemeinden sind, was möglich sein wird, wie die Besucher es aufnehmen und ob Veranstaltungen gemieden werden“, sagt Köllner. Auch vor Corona sei die Situation für Schausteller schwieriger geworden. Das Interesse der Kinder und Jugendliche habe nachgelassen, „da es viel mehr Freizeitangebote gibt, viele Kinder gehen in Vereine“, so Gabriele Köllner. Hinzu kommen saisonal bedingte Schwierigkeiten. „Die Sommerzeit ist Urlaubszeit und Badesaison“.

Ein Zirkus für alle Altersgruppen 

Nun gilt es, erstmal aufzuholen, was in den letzten anderthalb Jahren verloren gegangen ist. Und das nicht nur in finanzieller Hinsicht. Allerdings sollen die Eintritte künftig nicht steigen. „Viele haben in der Krise auch einstecken müssen“, sagt Köllner. Stattdessen plant der Circus Montreal Aktions- und Familientage. „Wir haben ein Programm, welches wir als Familie für andere Familien gestalten.“ Die Künstler stehen bereit, die Tiere scharren mit den Hufen. Und dann heißt es vielleicht bald wieder: Vorhang auf, für den Circus Montreal.

 

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