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Warum Musik gerade jetzt so gut tut

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Freude, Verbindung, Wachstum: Marcus Trübendörfer aus Weinsberg über die Kraft der Musik, gerade zu Weihnachten während der Pandemie.

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Verbindend wie eine Brücke − hier an der Kanalstraße mitten in Weinsberg − das ist die Musik für Marcus Trübendörfer in vielerlei Hinsicht.

Foto: Mario Berger
Verbindend wie eine Brücke − hier an der Kanalstraße mitten in Weinsberg − das ist die Musik für Marcus Trübendörfer in vielerlei Hinsicht. Foto: Mario Berger  Foto: Berger, Mario

Musik vermag vieles. Gerade in diesen Zeiten – Weihnachten in Kombination mit einer Pandemie – kann Musik uns besonders gut tun, sagt Marcus Trübendörfer von der gemeinnützigen Musikschule Funtastico in Weinsberg. Doch auch unabhängig davon hat Musik in seinen Augen eine ganz besondere Gabe. Sie macht etwas mit jedem von uns und es ist gar nicht so leicht, zu benennen, was es genau ist.

Herr Trübendörfer, was bedeutet Ihnen Musik?

Marcus Trübendörfer: Unendlich viel. Sie trägt mich durchs Leben. Ich schätze, für mich kommen zwei Dinge zusammen. Die Liebe zur Musik und zu den Menschen. Und das, was ich selbst so liebe, an andere weitergeben zu dürfen, das ist für mich wunderschön. Andere immer wieder zu ermutigen, Türen zu neuen Räumen für persönliches Wachstum zu öffnen und zu sehen, was das mit ihnen macht. Jeder findet einen anderen Zugang, hat andere Wünsche, einen anderen Hintergrund. Jeder nimmt anders wahr. Und so ist die Wirkung von Musik für mich ein bisschen wie Magie.

Das ist ein großes Wort. Was heißt das, Magie?

Trübendörfer: Es geht um die Wirkung von Musik auf jeden einzelnen von uns, der man sich nicht verschließen kann. Es gibt so viele theoretische Abhandlungen darüber, was Musik mit uns macht, aber letztendlich ist es für mich immer noch ein Wunder. Ein echtes Geschenk. Man verknüpft sie mit Erlebnissen, mit Freude und Trauer, mit Liebe, aber genauso mit Fangesängen im Fußballstadion. Ich würde so weit gehen zu sagen, dass Musik jeden, wirklich jeden Menschen in irgendeiner Form berührt. So erlebe ich zum Beispiel auch immer wieder, wie sehr rationale Menschen den Wert von Musik spüren, auch wenn sie ihn nicht benennen können. Aber sie macht etwas mit ihnen.

Wieso ist das so?

Trübendörfer: Vielleicht, weil der Gehörsinn der erste Sinn im Fötus ist, der angelegt wird. Und wir können ihm uns nicht verwehren. Wir können die Augen schließen, die Nase fest zuhalten, aber niemals die Ohren mit bloßer Hand so abdichten, dass wir nichts mehr hören.

Ähnlich wie Kunst ist die Wirkung, die Musik auf uns hat, aber nicht messbar, oder?

Trübendörfer: Musik ist in jedem Fall nicht objektiv bewertbar. Heino ist für die einen ein No-Go, für die anderen das Größte. Auch das ist Teil der Magie: Jeder Mensch verbindet mit Musik etwas anderes. Der Tänzer braucht den Rhythmus, der Sänger eine eingängige Melodie, Jazzfans wollen interessante Akkorde hören, Rockmusikfans brauchen Lautstärke, ein Yogi dagegen leise Klänge. Man kann die Musik auch nutzen wie ein Werkzeug. Denn es ist möglich, mit ihr gezielt die eigene Stimmung zu verändern und dorthin zu bringen, wo wir sie uns wünschen. Oder wir können eine bestimmte Stimmung unterstreichen, auch das funktioniert.

Nun ist 2020 fast alles an Musikveranstaltungen weggebrochen. Wieso fehlt uns das so?

Trübendörfer: Die Musik an sich ist ja zum Glück nicht weggefallen. Wir können sie über viele Kanäle anhören, es gibt Streamingkonzerte, und vor allem wenn man selbst singt oder ein Instrument spielt, hat man Musik um sich. Sie hat uns also nicht verlassen. Vielmehr ist sie noch wichtiger geworden, als sie es schon immer war. Wir brauchen sie gerade umso dringender, eben weil wir sie mit schönen Momenten verknüpfen. Und danach hungern wir. Nach aufbauenden Gedanken.

Also macht uns der Kulturentzug gerade doppelt zu schaffen. Gewohntes fehlt und noch dazu bräuchten wir die positive Wirkung gerade umso mehr.

Trübendörfer: Genau. Viele Menschen gehen regelmäßig und häufig ins Theater, ins Konzert, in die Oper. Das, was dort vor Ort entsteht, der Zauber, die Interaktion, das sinnliche Erfassen, das gibt es tatsächlich nur live. Keine Frage, es ist möglich, zum Beispiel eine virtuelle Weihnachtsfeier als Musiker zu gestalten, via Videokonferenz. Ich habe das selbst kürzlich erlebt und mitgestaltet. Mit Blick darauf, dass all das zuletzt komplett gefehlt hat, war es toll. Die Reaktion der Zuhörer, das Mitsingen, die Resonanz. Dennoch: Eine Scheibe, ein Bildschirm, das wird immer trennen und niemals so viele Sinne ansprechen wie eine Live-Darbietung.

Was würden Sie sagen, worin liegt der Unterschied zwischen dem Anhören von Musik und dem Spielen eines Instruments?

Trübendörfer: Naja, wer selber spielt, der kann sich darüber ausdrücken. Der kann alles, was ihn bewegt, in dieses Instrument hineinlegen. Das ist wie eine Bewegung, etwas wird von innen nach außen gekehrt. Es ist noch einmal etwas ganz anderes, als die Dinge nur aufzunehmen oder zu betrachten. Gleichzeitig ist man konfrontiert mit sich selbst. Man ist ganz nah bei sich. Selber ein Instrument zu lernen, zu spielen, das ist wie ein Schatz. Den kann einem auch keiner mehr nehmen. Was der Musiklehrer tut, ist, den Schlüssel zu reichen zu einem neuen Raum. Diesen entdecken und gestalten, das macht man ganz für sich alleine. Und das ist so wertvoll.

Womit fängt man am besten an? Die Flöte galt und gilt auch heute noch häufig als Einstiegs-, aber nicht unbedingt als Lieblingsinstrument.

Trübendörfer: Oft liegt es einfach daran, dass es günstig ist. Aber wenn jemand schon eine Vorstellung davon hat, was spannend für ihn wäre, spricht überhaupt nichts dagegen, sofort mit dem Trauminstrument anzufangen. Das geht ab ungefähr fünf Jahren. Wobei es noch schöner ist, wenn die Kinder den ersten Kontakt schon viel jünger haben. Frühmusikalische Bildung nennt man das heute gerne, sie beginnt ungefähr ab einem Alter von sechs Monaten.

Da mag manch einer sagen, das sind die übermotivierten Eltern, die ihre Kinder so jung in derlei Kurse bringen.

Trübendörfer: Nein. Musik setzt so viele Impulse. Schon beim Säugling. Man bringt wieder verstärkt Musik in die Familie. Früher lebte man in der Großfamilie, da wurde ganz automatisch viel mehr musiziert, gesungen und auch vorgesungen. Durch die veränderten Familienstrukturen heutzutage ist die Musik nicht mehr so allgegenwärtig. Und das Schöne in der musikalischen Früherziehung ist, dass man nicht nur den Kindern etwas Gutes tut, sondern dass gleichzeitig auch die Eltern diese Magie mitbekommen.

Ein Plädoyer dafür, dass letztlich jeder von uns einen Versuch wagen sollte, auch wenn er eigentlich meint, nein, ein Instrument, das ist ganz sicher nichts für mich?

Trübendörfer: Ja, warum nicht? Das gilt übrigens für jedes Alter und für jegliche Art von Musik, also genauso für den Gesang, für einen Chor. Es geht ja nicht um den großen Auftritt. Es geht um die Freude an dem, was man tut. Gerade jetzt in Coronazeiten kamen einige Menschen in die Musikschule, einfach, weil sie Anschluss gesucht haben. Und über die Musik findet man ihn. Nichts verbindet Menschen so leicht wie Musik. Nichts baut schneller Brücken. Und man kann sich ja das Thema, das Instrument selber aussuchen. Das ist immer ein Wachsen, man entwickelt sich, man lernt Neues. Am Ende lernt man sich selbst ein bisschen besser kennen.

Sie arbeiten auch als Musiklehrer in einer Grundschule für Kinder mit körperlichen und geistigen Einschränkungen. Was bewirkt die Musik?

Trübendörfer: Dort wo Sprache, Mimik und eine rein kognitive Ansprache aufhören, da eröffnet die Musik ihre ganz eigenen Kommunikationswege. Menschen mit Behinderungen verfügen außerdem oft über spezielle Fähigkeiten, zum Beispiel haben Kinder mit Down-Syndrom ein ausgeprägtes und stabiles Rhythmusempfinden. Und ihre ungefilterte Begeisterungsfähigkeit sprengt alle üblichen Rahmen. Ich bekomme direkte Rückmeldung und nehme unmittelbar teil an ihren überbordenden Glücksgefühlen. Das ist sehr besonders. Unglaublich schön.

Besonders in diesen Tagen hat Musik einen großen Stellenwert für uns alle. Weihnachten steht vor der Tür. Woran liegt es, dass gerade jetzt Vorspielen, Singen, Hören so sehr zelebriert werden?

Trübendörfer: Ich denke, weil wir mit Weihnachten ganz viel Nähe, Wärme, Familie, Geborgenheit verbinden. Es ist die Zeit der Ruhe, der inneren Einkehr und Besinnung. Und Musik kann genau diese Bedürfnisse unheimlich intensivieren. Sie unterstützt das Loslassen. Ganz besonders spürt man das übrigens im Chor. In der Zeit, in der man singt, haben negative Gedanken keinen Platz. Man sucht seine Stimme, findet sie, hält sie, das Ganze im Zusammenspiel mit anderen. Man ist konzentriert, fokussiert sich zu 100 Prozent auf das Tun. Wer singt, ist in einer anderen Welt.

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