Von zu Hause aus unterrichten - Funktioniert das?
Die Zahl der Corona-Infizierten steigt weiterhin. Wieder wird diskutiert, ob die Schulen zum Wechselmodell zwischen Online- und Präsenzunterricht zurückkehren sollen, wie sie es zwischen Pfingst- und Sommerferien praktiziert haben. Die Meinungen gehen weit auseinander.

28 Lehrkräfte und 249 von rund 30.000 Schülern sind an Heilbronner Schulen in Quarantäne, teilte die Schulbürgermeisterin Agnes Christner in einer Momentaufnahme am 13. November mit. Am 18. November verzeichnete das Landratsamt an 27 Schulen im Landkreiskreis Heilbronn Infektionen mit SARS-CoV-2 seit Beginn des Lockdowns. Naturgemäß variieren die Quarantänezahlen täglich. So weit, so unkalkulierbar die notwendige Überbrückung von Unterrichtslücken per Fernlehre. Schüler, die in Quarantäne müssen, werden nicht anders behandelt, als wenn sie wegen einer Erkrankung daheim bleiben: Sie müssen verpassten Stoff selbstständig aufarbeiten.
Angehörige von Risikogruppen sind in Dauerquarantäne
Aber wie sieht es mit Lehrkräften in Quarantäne aus? Beziehungsweise mit denjenigen, die nicht nur für zwei Wochen, sondern über einen Großteil des Schuljahres für den Präsenzunterricht ausfallen, weil sie zu einer Risikogruppe zählen, etwa wegen einer Schwangerschaft?
"Von circa 3150 Lehrkräften sind im Bereich des Staatlichen Schulamtes Heilbronn circa 95,8 Prozent der Lehrkräfte im Präsenzunterricht einsetzbar. Von den circa 4,2 Prozent, die nicht im Präsenzunterricht eingesetzt werden dürfen, liegt das bei in etwa der Hälfte an einer Schwangerschaft", weiß Schulamtsleiter Markus Wenz.
Ist Sprachenlernen per Fernunterricht unzumutbar?
Genau über den Umgang mit solch kalkulierbaren Ausfällen ärgert sich Javier Martínez. Der Englischunterricht seiner Tochter, Neuntklässlerin am Heilbronner Mönchsee-Gymnasium (MSG), findet seit Beginn des Schuljahres nur zu 25 Prozent in Präsenz statt - bei einer Kollegin der eigentlichen Lehrerin. Diese unterrichtet, da schwanger, drei der vier Wochenstunden vom heimischen PC aus. Da es sich um ein Kern- und Abiturfach handelt, bei dem das Sprechen von großer Bedeutung ist, empfindet Martínez dies als "unzumutbar". Gemeinsam mit anderen besorgten Eltern wandte er sich ans Regierungspräsidium (RP) in Stuttgart. Kurzer Sinn der wortreichen Antwort des RP: Vertretungslehrkräfte in Fächern wie Englisch, aber auch Deutsch seien schwer zu finden, es fehle leider insgesamt an entsprechenden Lehrkräften, die Versorgungslage sehe an den anderen Heilbronner Gymnasien nicht besser aus.
"Dabei hat das Kultusministerium viele Lehrerverträge zu den Sommerferien aufgelöst, und Ministerin Susanne Eisenmann (CDU) versuchte noch im September, gerade Lehrkräfte in Deutsch und Englisch an Gymnasien auf die Grundschulen umzulenken, weil da ein Überangebot bestünde", kritisiert Martínez.
Viel Zeitverlust durch technische Probleme
Am MSG selbst haben die zuständigen Fachkräfte zwar das Gefühl, den Unterricht ganz gut im Griff zu haben, sie ächzen aber unter der Doppelbelastung, gleichermaßen Präsenz- und Fernunterricht vorbereiten zu müssen. Dass der Fernunterricht nun zur Schulpflicht gehört, empfindet Schulleiterin Angela Droste schon mal als "wesentlichen Schritt". Doch, sagt die Abteilungsleiterin Fremdsprachen Lara Neumann: "Man kann nicht das, was man im Klassenraum macht, einfach als Video aufnehmen." Zumal sich "jede Schule eigene Gedanken machen muss: Wie organisiere ich den Fernunterricht", unterstreicht die stellvertretende Schulleiterin Jeannette Dehnke. Jasmin Neuber, die schwangere Englischlehrerin, beklagt: "Es gibt weder Personal noch Richtlinien, nach denen man vorgehen kann." Neben der ausbleibenden konkreten Hilfe von Seiten des Kultusministeriums kritisiert Direktorin Droste auch, dass der Digitalisierungsprozess hierzulande auf viele Hindernisse stößt - auch wenn das MSG jedem Schüler, der es braucht, ein Endgerät zur Verfügung stellen kann. Bei Videokonferenzen ginge viel Zeit mit technischen Problemen verloren.
Bei der Stoffvermittlung gibt es keine Verluste
Die Befürchtung, die langfristige Abi-Vorbereitung könnte aber jetzt unter dem halbjährigen Dreiviertelausfall des Präsenzunterrichts in Englisch leiden, verneinen aber alle Fachkräfte. Auch im Präsenzunterricht gebe es Kinder, die sehr wenig sagen würden. Der Stoff würde sehr wohl unterrichtet. Aber, betont Lara Neumann: "Bildung ist mehr als Wissen vermitteln."
Unterricht zu Hause: Die Stimmung ist gespalten
Über kaum ein Thema wird so emotional diskutiert wie die Frage, ob Lehrer die Kinder wie vor den Sommerferien unterrichten sollen: Während ein Teil der Schüler vor Ort im Klassenzimmer ist, lernen die anderen zu Hause. Viele Eltern lehnen dies ab. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) spricht sich schon lange dafür aus, ins Wechselmodell überzugehen. Unterstützung kommt von Brackenheimer Eltern, die ebenfalls ein Ende des Präsenzunterrichts für alle fordern. Ein Schulleiter in der Region, der namentlich nicht genannt werden will, geht einen Schritt weiter: Die Schulen sollten ganz schließen, sagt er unserer Zeitung. Bislang würden sich zwar Kinder und Jugendliche nur außerhalb der Schulen mit dem Corona-Virus infizieren. Bei den aktuellen Zahlen geht er aber davon aus, dass es irgendwann zu einer schulinternen Übertragung komme.
Kommentar: Konzepte stricken
Von Susanne Schwarzbürger
Wo die Diskussion zum Online-Unterricht auseinandergeht, mangelt es an Vorgaben vom Land.
Beim Thema Online-Unterricht erhitzen sich schnell die Gemüter. Weitestgehend Einigkeit herrscht wohl in der Erkenntnis, dass Präsenzunterricht immer besser als virtueller Unterricht ist, weil die persönliche Interaktion der Lehrkräfte mit ihren Schülern nicht zu ersetzen ist. Einig ist man sich auch, dass natürlich zu Hause bleiben und fernunterrichten darf, wer zu einer Corona-Risikogruppe zählt. Darunter fallen auch schwangere Lehrerinnen. Doch ab hier wird die Sache verzwickt. Denn aus Angst vor dem Virus plädieren sowohl die Lehrergewerkschaft GEW als auch viele Eltern für ein Wechselmodell. Zum Beispiel für den wochenweisen Wechsel von Fern- und Präsenzunterricht. Andere Eltern sehen speziell in den sprachlichen Fächern an Gymnasien Nachteile für ihre Kinder, berufstätige Eltern jüngerer Kinder fürchten das Betreuungsdesaster.
Das eigentliche Problem: Aus Stuttgart gibt es keine Vorgaben, wie der Online-Unterricht umgesetzt werden soll. Es reicht nicht, sich beim Lehren zu filmen. Videokonferenzen sind technisch mühsam. Jede Schule muss sich entsprechend ihrer personellen, technischen sowie räumlichen Möglichkeiten ein eigenes Konzept überlegen. Lehrkräfte und Schulleitungen geben ihr Bestes, doch sind sie mit ihren Kräften bald am Ende: Sie müssen nicht nur die Doppelbelastung stemmen, sowohl Präsenz- als auch - ganz anders gearteten - Online-Unterricht vorzubereiten, sie müssen sich auch noch ein eigenes Konzept für ihre Schule stricken. Über den Sommer hat man im Kultusministerium offenbar geschlafen, anstatt schlüssige und umsetzbare Richtlinien für alle Schulformen zu erarbeiten. Die Leidtragenden sind mal wieder die anderen: Schüler und Lehrer.