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Welcher Sport passt zu meinem Kind?

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Fußball, Schwimmen, Leichtathletik: Von Suchen und Finden der passenden Sportart. Was Eltern bei den Überlegungen wissen sollten.

von Florian Huber und Dominik Knobloch
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Nils Kowalczek (rechts) gibt seine eigene Erfahrung im Sport gerne an die nächste Generation weiter. Foto: privat
Nils Kowalczek (rechts) gibt seine eigene Erfahrung im Sport gerne an die nächste Generation weiter. Foto: privat

Nils Kowalczek kennt die Vorurteile seinem Sport gegenüber. Als ehemaliger Hockey-Nationaltorwart ist er oft genug von Eltern damit konfrontiert worden: Hockey? Das ist doch viel zu teuer und gefährlich! Bei einer Internetrecherche stellte der 46-Jährige fest: Einen objektiven Sportartenvergleich für Eltern gibt es gar nicht. Wie viel Zeit muss ich mitbringen? Wie oft wird trainiert und wie lange?

Seit 2017 betreibt er von Gilching nahe München aus nebenberuflich und ehrenamtlich die Internet-Seite www.tinongo.de. Die Angaben der mehr als 80 Sportarten stammen von den Sportverbänden. „Damit ist eine gewisse Objektivität da. So sehen sich die Verbände selbst“, sagt Nils Kowalczek. Eine Datenbank, um die gesuchte Sportart auch im Umkreis zu finden ist im Aufbau. 

Generellen Handlungsbedarf in der Vereinslandschaft sieht Professor Doktor Nadja Schott vom Stuttgarter Institut für Sport- und Bewegungswissenschaft. „Es wäre schön, wenn die Vereine umstrukturieren würden. Wenn es nicht mehr nur feste Sparten wie Fußball und Handball gäbe, sondern eine offene Sportgruppe für Kinder, in der sie alles machen können – Turnen, Leichtathletik, Ballsportarten ausprobieren – dann bleiben sie auch länger dabei, weil sie viel mehr Spaß an verschiedenen Dingen erfahren“, sagt sie. Damit Vereine gewillt wären, in eine solche Richtung zu gehen, müsste der Anstoß aber von oben kommen, „damit es auch Fördergelder dafür gibt“.    

 

Wie finde ich den passenden Sport für mein Kind? 

Sind die Eltern selbst aktiv, ist diese Sportart natürlich fast immer die Wahl Nummer eins. So ist es auch bei Nils Kowalczek, dessen Kinder Hockey spielen. „Die Kinder schauen zu ihren Eltern auf. Sie müssen keine Weltmeister sein, sondern sich einfach gemeinsam mit ihren Kindern bewegen. Vor allem in den ersten zwei, drei Lebensjahren ist es Imitationslernen“, sagt Professor Doktor Nadja Schott. Zudem ist es oft eine Frage des Angebots. „Da heißt es, da vorne ist der Fußballplatz“, sagt Kowalczek. Die dritte Variante: Freunde fangen mit einem Sport an, das Kind kommt so auch dazu.

Eine gefährliche Variante, wie Schott warnt: „Da geht beispielsweise ein Junge zum Fußball und sein bester Kumpel kommt halt mit, weil sie das zusammen machen wollen. Der eine kann es dann, der andere nicht. Und einer fällt dann raus und wird vielleicht nie wieder Sport machen, weil er nicht den Sport für sich entdeckt hat, in dem auch er etwas kann.“ Denn alle würden gerne Dinge tun, die sie können, um das Selbstwertgefühl zu erhöhen, betont sie: „Es muss immer wieder zu Erfolgserlebnissen kommen. Wir wollen uns in einem Feld bewegen, auf dem wir sehen, dass wir besser werden und dazu lernen, wenn wir etwas investieren.“   

 

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Wählen Kinder selbst die Sportart, die sie wollen? Oder haben die Eltern entscheidenden Einfluss?

Sieht der Nachwuchs ständig nur sitzende Erwachsene, fällt der Zugang zu Bewegung allgemein schwerer. „Sedentariness“ nennt die Wissenschaft die gesellschaftliche Entwicklung, vorwiegend zu sitzen, statt aktive durch den Tag zu gehen. Nadja Schott rät Eltern zudem, Kleinkindern ein möglichst breites Spektrum an Bewegungsmöglichkeiten und -anforderungen zu bieten. Allein die Aufgabe der Eltern könne dies aber nicht sein: „Es braucht Experten. Aber oft ist der erste echte Experte, auf den die Kinder in ihrer sportlichen Entwicklung treffen, der Sportlehrer auf der weiterführenden Schule.“

Die Sportart selbst ist später dann gar nicht so wichtig, sondern das Umfeld, auf das die Kinder treffen, findet Nils Kowalczek. „Wenn sie dort Freunde treffen, ist die eigentliche Sportart nur zweitrangig. Kinder spüren, wenn mich als Vater oder Mutter der Sport der Kinder nervt. Wenn ich genervt bin, ist es fürs Kind auch schwieriger“, sagt Nils Kowalczek.

 

Was ist das wichtigste Kriterium für Eltern bei der Sportart der Kids? 

Die wichtigste Frage für die Eltern lautet für Kowalczek: Kann ich diesen Sport langfristig unterstützen und in den Familienalltag integrieren? Deshalb sei es wichtig, sich vorher mit dem Sport auseinandersetzen: Kriege ich das zeitlich, logistisch und finanziell langfristig gestemmt? Was ein Sport kostet, das bekommen Eltern relativ schnell mit. Nils Kowalczek weiß aus Erfahrung: „Wie viel Zeit man investieren muss, das überrascht viele dann doch. Es ist echter Aufwand, wenn man zwei Kinder hat, die Sporttreiben“, sagt der Vater von zwei Hockey spielenden Kindern. Oft ist es eben nicht damit getan, einmal im Jahr einen Kuchen zu backen, sondern die Dienste als Chauffeur für alle an jedem Wochenende zur Verfügung zu stellen. Es ist zudem ein großer Unterschied, ob einmal die Woche Training stattfindet – oder mehrmals.

 

Hockey? Ist das nicht zu teuer? So lautet eins der gängigen Vorurteile. 
Foto: Mario Berger
Hockey? Ist das nicht zu teuer? So lautet eins der gängigen Vorurteile. Foto: Mario Berger  Foto: Berger, Mario

Welcher Typ Kind passt zu welchem Sport? 

Das ist pauschal schwierig zu beantworten. Der Gedanke, dass Einzelgänger in einem Individualsport besser aufgehoben sind, ist naheliegend. Eigenbrötler können sich in einem Mannschaftssport natürlich auch zu Teamplayern entwickeln. „Im Zweifel muss man es einfach ausprobieren“, sagt Nils Kowalczek und verweist auf Gewichtheber-Olympiasieger Matthias Steiner. Der begann einst als Fußballer, war es dann aber leid, an Niederlagen nicht selbst schuld zu sein.

Nils Kowalczek nennt als weiteres Beispiel für einen ungewohnten Karriereweg Beach-Volleyball-Olympiasieger Julis Brink, der an einer Hand-Augen-Koordinationsschwäche leidet. „Da gehst du doch normalerweise nicht zum Volleyball, oder?“, sagt Nils Kowalczek. Vereine stoßen bei individuellen Bewegungsherausforderungen aber auch schnell an Grenzen, erklärt Nadja Schott: „Ein Trainerschein ersetzt nicht das, wofür wir an Universitäten und Hochschulen ausbilden.“ Gerade gravierende Bewegungsprobleme bei Kindern würden so oft erst viel zu spät erkannt.  

 

Ist der Volkssport Fußball eine gute Wahl für den ersten Vereinssport?

Für Nadja Schott wäre er nicht die erste Wahl: „Im Fußball sind die unterschiedlichen Bewegungsmuster mit vor allem Passen und Schießen doch eher überschaubar. Besser wäre für den Anfang eine möglichst breite Bewegungsausbildung.“ Der Klassiker Kinderturnen kommt dem tatsächlich noch am nächsten. Angebote für die Kleinsten mit noch vielfältigeren Bewegungsaufgaben sind in Deutschland rar gesät. Schott empfiehlt Eltern dennoch, genau zu suchen und Kinder lieber später als früher gezielt auf eine Sportart zu limitieren. „Eine breite Ausbildung in den frühen Kindesjahren ist super.“

 

Gibt es einen Test, um herauszufinden, welcher Sport am ehesten passen könnte?

„Wir hatten solche Ideen, sind aber wieder davon abgekommen, nachdem wir uns mit ein paar Kinderärzten und Kinderpsychologen dazu ausgetauscht hatten. Hier einen sinnvollen und nicht zu umfassenden „Test" zu machen, würde wohl weder den Kindern noch den Sportarten gerecht“, sagt Kowalczek über seinen Sportartenüberblick auf www.tinongo.de und ergänzt: „Das würde wahrscheinlich als Ergebnis zu unscharf und wieder das "Schablonen- und Schubladendenken" fördern. Deswegen haben wir diese Überlegungen zumindest fürs erste einmal auf Eis gelegt.“ 

 

Ist Sportarten-Hopping, also ständig eine neue Sportart auszuprobieren, gut oder schlecht? 

„Es ist völlig in Ordnung mehrere Sportarten auszuprobieren“, sagt Nils Kowalczek. Es mache für Eltern keinen Sinn, ihr Kind in einem Sport zu halten, an dem der Nachwuchs keinen Spaß hat. Professor Alexander Woll vom KIT sieht das anders. „Es ist falsch, wenn Eltern sofort nachgeben, wenn ihr Kind nach dem ersten Rückschlag beim Fußball sofort die nächste Sportart ausprobieren möchten“, sagt er. Durchbeißen, dranbleiben, widerstandsfähig sein. Das ist auch beim Sport oft gefragt.

„Man darf es nicht verpassen, dass die Kinder lernen, an einer Sache dranzubleiben und nicht zu wechseln, weil sie keine Lust mehr haben, sondern weil sie mehr lernen wollen“, betont auch Sportwissenschaftlerin Schott. Oft ist es allerdings so, dass in der Pubertät gerne nochmal die Sportart gewechselt wird. In einem anderen Umfeld (weiterführende Schule, neuer Freundeskreis) entsteht oft eine andere Interessenslage. Und vielleicht sind die anderen beim Basketball nun auch zwei Köpfe größer?  

 

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