Oscar-Gewinner Gerd Nefzer aus Schwäbisch Hall im Interview
Seit Jahren sorgt Gerd Nefzer mit seinen Spezialeffekten für Action in der Filmbranche. 2018 gewann der gebürtige Haller mit seinem Team für "Blade Runner 2049" einen Oscar. Wie der Preis seine Arbeit verändert hat, an welchen Projekten er aktuell arbeitet und wie er die Region als Filmstandort einschätzt, erzählt der 55-Jährige im Interview.

Gerd Nefzer ist nach wie vor ein gefragter Mann, ist dementsprechend viel unterwegs, hat einen durchgetakteten Terminkalender und pendelt immer wieder zwischen Babelsberg und Schwäbisch Hall. Bei einem Wochenend-Besuch in seiner Heimatstadt nimmt sich der 55-Jährige aber ausgiebig Zeit für ein Gespräch. Der Spezialeffektkünstler wirkt entspannt. Kein Wunder, bezeichnet er Hohenlohe doch als seinen Ruhepol. Im Interview spricht Nefzer über aktuelle Trends im Bereich Spezialeffekte, verrät, warum er Kino den Streamingdiensten vorzieht und wo der Oscar derzeit einen Platz bei ihm gefunden hat.
Herr Nefzer, wie beschäftigt waren und sind Sie während der Corona-Zeit?
Gerd Nefzer: Es ist völlig verrückt, wir hatten trotz Corona sehr viel zu tun. Die Auftragsbücher sind voll. Aktuell arbeiten wir am vierten Teil von „John Wick“ mit Keanu Reeves, an einem Vampirfilm namens „Demeter“ und an einer großen Mystery-Thriller Netflix-Serie mit dem Titel „1899“, wofür derzeit im Studio Babelsberg gedreht wird. Dazu kommt ein Projekt mit Schauspieler Liam Neeson. Durch die Verschiebungen in der Pandemie haben sich all diese Projekte auf zwei Monate konzentriert. Verändert hat sich bei unserer täglichen Arbeit, dass wir drei Mal die Woche PCR-Tests machen, dass sehr genau auf die Hygiene-Vorschriften geschaut wird, man überall Maske trägt. Das ist manchmal sehr belastend bei langer Arbeitszeit und Hitze.
2018 haben Sie den Oscar erhalten für die Spezial-Effekte im Film „Blade Runner 2049“. Was hat sich seitdem verändert?
Nefzer: Eigentlich nicht viel. Man begreift erst nach einer Weile, dass man den wichtigsten Preis in der Filmbranche gewonnen hat und läuft dann schon mal mit stolzgeschwellter Brust durch die Gegend. Man wird auch öfter von Menschen darauf angesprochen. Und natürlich öffnet sich auch das eine oder andere Türchen, so bekommt man beispielsweise ein Gehör in der Politik und hat ein bisschen Einfluss darauf, wohin die Reise in der Filmbranche geht. Bei der täglichen Arbeit hilft der Oscar aber nicht. Man muss trotzdem hart arbeiten, hat sehr stressige Tage. Klar wird man von Regisseuren und Produzenten anders gesehen, wenn man diesen Preis gewonnen hat. Der Respekt ist ein wenig größer.
Was macht einen guten Spezial-Effekt in der heutigen Zeit aus?
Nefzer: Die Aufgabenstellung hat sich in den letzten 20 Jahren stark verändert. Durch die digitalen Effekte, durch andere Möglichkeiten in der Technik. Man kann viel mit Computersteuerungen arbeiten. Das ganze Planen von Effekten kann man gut am PC machen, vieles wird vorher in 3D gezeichnet und dann stressgetestet. Die mechanischen Effekte haben zugenommen, dafür ist die Pyrotechnik weniger geworden. Vieles wird digital gelöst, hauptsächlich aus Zeitgründen, denn die Projekte müssen heutzutage immer schneller fertiggestellt werden.
Sie sind allerdings jemand, der noch komplett analog arbeitet.
Nefzer: Ja. Aber die Vorbereitungen und Planungen, die man früher auf einem Stück Papier oder auf eine Serviette im Restaurant skizziert und dann gebaut hat, all das macht man heute am Computer. Ich bin kein großer Freund von Pyrotechnik und Explosionen, ich tüftele gerne mechanische Dinge aus, liebe die Organisation. Was mir besonders Spaß macht, ist, Feuer zu machen, Häuserbrände oder Waldbrände abzubilden. Das ist eine spannende Arbeit.

Wohin geht der Trend bei den Spezial-Effekten?
Nefzer: Im Moment ist der Trend, gegen einen LED-Screen zu drehen, in Babelsberg wurde dafür extra ein großes LED Studio gebaut. Mit dieser neuen Technologie können virtuelle Kulissen so hinter den Schauspielerinnen und Schauspielern eingeblendet werden, als befänden sich diese an Originalschauplätzen. In Babelsberg wurde von uns eine mechanische Drehscheibe eingebaut, die einen Durchmesser von 22 Metern hat und 30 Tonnen tragen kann. Darauf kann man die Sets platzieren und die Scheibe wie gewünscht drehen. Im Fernsehbereich und Teilen des Kinos kann ich mir vorstellen, dass in Zukunft mehr im Studio gedreht wird. Und gerade in Corona-Zeiten hat man mit den Hygienevorschriften die Studioumgebung besser im Griff, als wenn man an den eigentlichen Schauplätzen dreht. Ansonsten habe ich die Befürchtung, dass die Kinos beschädigt aus der Krise hervorgehen werden. Viele Filme wurden von Streamingdiensten übernommen.
Hört man da bei Ihnen raus, dass Kino nicht durch Streaming zu ersetzen ist?
Nefzer: Hundertprozentig. Das Kino wird immer seinen Platz haben, denn es ist ein Erlebnis. Man geht dort hin, trifft Freunde, kann etwas essen oder trinken. Einen Film auf der großen Leinwand ist etwas anderes, als wenn man in eine viereckige Kiste schaut. Bestimmte Streifen funktionieren auch nur im Kino. Beispielsweise der Film „Dune“ von Regisseur Denis Villeneuve, an dem wir beteiligt waren und der im September in die Kinos kommt. Auch der sollte auf den Streaming-Plattformen laufen, doch Villeneuve hat sich dagegen gewehrt. Man sieht tolle Aufnahmen, Wüstenlandschaften, die für die große Leinwand gefilmt wurden.
Sie sind über Ihren Schwiegervater Karl Nefzer, der in Schwäbisch Hall einen Verleih für Filmautos und Requisiten hatte, in die Branche gerutscht, haben vorher Agrarwissenschaften studiert und einige Zeit als Landwirt gearbeitet. Was davon können Sie in Ihrem jetzigen Beruf gebrauchen?
Nefzer: Vieles. Vor allem das Handwerkliche, das man als Landwirt können muss. Als Landwirt muss man Allrounder sein, muss mit Holz und Metall umgehen können, muss ein Gefühl für Maschinen haben. Und es ist auch von Vorteil, wenn man mit Ochsen gut umgehen kann (lacht).

In einem Interview haben Sie einmal gesagt: „Hohenlohe ist mein Ruhepol.“ Wie oft sind Sie noch in der Region?
Nefzer: In jeder freien Sekunde. Ich bin gestern aus Berlin losgefahren und war um ein Uhr nachts zu Hause. Man muss ab und zu raus, sonst dreht man durch. Die Region ist für mich ein guter Gegenpol zur Filmwelt, in der man an manchen Tagen zwölf bis 14 Stunden arbeiten muss. Das Ländle tut mir gut, runterzukommen, eine Runde mit dem Traktor zu fahren und mit der Familie zu frühstücken. Im Zuge dessen bekommt man auch gute schwäbische Brezeln, die man in Berlin fast nicht findet. Es gibt viele Gründe, um nach Hause zu kommen.
Wie würden Sie sagen, ist die Region als Filmstandort aufgestellt?
Nefzer: Heilbronn, Schwäbisch Hall und Hohenlohe sind nicht die Filmmetropolen in Deutschland und werden es wahrscheinlich auch nicht werden. Die großen Zentren in Deutschland sind Großstädte wie Berlin oder München. Man hat dort sehr viele Möglichkeiten, viele Filmschaffende leben dort. Die großen Filmsets und Studios sind weltweit eigentlich immer an Großstädte angegliedert, ob Paris, London, Budapest oder Prag. Aber natürlich wurden und werden auch in der Region einige spannende Projekte gedreht. In Baden-Württemberg hat sich einiges getan im Bereich Film: Es gibt eine ordentliche Filmförderung, Filmhochschulen und im Visual-Effect-Bereich einige gute Firmen.
Vor einigen Jahren haben Sie gesagt, dass Sie im Fach Englisch nicht der fleißigste Schüler waren und dass Ihre Kinder Sie immer wieder korrigieren müssen. Wie ist der aktuelle Stand?
Nefzer: Ich bin inzwischen in einem Alter, in dem man sich Dinge und Wörter nicht mehr so gut merken kann (lacht). Mein Englisch hat sich ein wenig verbessert, aber ist weit weg von perfekt. Ich kann mich verständlich machen. Ich wünsche mir aber oft, dass ich in der Schule besser Vokabeln gelernt hätte, denn oft fehlen mir heute die Wörter.
Zum Schluss: Wo hat der Oscar bei Ihnen einen Platz gefunden?
Nefzer: Bisher hat er noch keinen Platz und steht weggesperrt im Tresor. Ich habe ihn jetzt schon einige Monate nicht mehr gesehen. Irgendwann wird er aber bei mir zu Hause auf dem Kachelofen stehen. Immer, wenn ich ihn mal wieder in die Hand nehme, kriege ich Gänsehaut und Tränen in die Augen.
Zur Person

Gerd Nefzer wurde am 5. Juli 1965 als Gerd Feuchter in Schwäbisch Hall geboren. Er studierte Agrartechnik und arbeitete zunächst als Landwirt. In den 1980er Jahren stieg Nefzer in die Firma Nefzer Special Effects ein, die von seinem Schwiegervater Karl Nefzer 1968 in Hall als Verleih von Filmautos und -waffen gegründet wurde. Gemeinsam mit seinem Schwiegervater und dessen Sohn Uli Nefzer baute er die Special-Effects-Sparte des Unternehmens auf.
Nach der Wende 1989 wurde eine Filiale in Potsdam gegründet. Die Nefzer Babelsberg GmbH ist eine Tochter von Studio Babelsberg und auf dessen Filmstudiogelände in Babelsberg ansässig. 2018 gewann er gemeinsam mit John Nelson, Paul Lambert und Richard R. Hoover den Oscar für die besten visuellen Effekte im Film "Blade Runner 2049" von Regisseur Denis Villeneuve.