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Warum so viele Gasthäuser Ochsen, Löwen oder Linde heißen

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Wer eine traditionelle Wirtschaft besucht, der kehrt häufig im Adler, im Ochsen oder im Löwen ein. Warum sich Bezeichnungen wie diese häufen, hat uns ein Germanistik-Professor erklärt - dabei widerlegt er gleichzeitig eine gängige These.

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Gängige Namen von Wirtschaften tauchen scheinbar überall auf. Genau genommen aber nur im südwestdeutschen Sprachraum. Fotos: Wieland/privat
Gängige Namen von Wirtschaften tauchen scheinbar überall auf. Genau genommen aber nur im südwestdeutschen Sprachraum. Fotos: Wieland/privat

Der Schriftzug ist noch zu entziffern an dem baufälligen Gebäude: Gasthaus zum Rößle von Ernst Reiner steht da in altdeutscher Schrift. Schräg gegenüber die Speisegaststätte Löwen, die ebenfalls schon bessere Tage erlebt hat. Mit typischen Wirtshausnamen war es das noch nicht in Schwaigerns Zentrum: Zum Lamm, Zum Ochsen und Zur Linde sind sogar in Betrieb. Das Restaurant Zum alten Rentamt, eine frühere Verwaltungsstelle, fällt ein wenig aus der Reihe. Doch: Was in Schwaigern zu sehen ist, ist auch anderswo zu beobachten – typische Bezeichnungen von Gaststätten tauchen immer wieder auf. Und doch gibt es beachtliche regionale Unterschiede.

Es ist kein populäres Forschungsfeld, wie Wirtschaften zu ihren Namen gekommen sind. Konrad Kunze, emeritierter Germanistik-Professor aus Freiburg, hat sich vor rund 15 Jahren damit befasst. Ihm war aufgefallen, dass Gasthäuser in Norddeutschland keine heraldischen Namen haben, also weitgehend nicht nach Wappentieren wie Adler, Löwe oder Hirsch benannt sind. Hierzulande sind sie das.

Skepsis gegenüber der Evangelisten-These

„An diversen Stellen im Internet heißt es, die Gasthausnamen gingen auf die Symbole der Evangelisten zurück“, sagt Kunze. Der Löwe steht für Markus, der Stier für Lukas, der Engel für Matthäus und der Adler für Johannes. Da das Beherbergungswesen im Mittelalter in Händen der Klöster lag, mag der Bezug zur Bibel plausibel erscheinen – ist er für Kunze aber nicht.

Der Wissenschaftler zeigt sich skeptisch. „Für mich ist verwunderlich gewesen, dass Lukas den Stier als Symbol hat, die Gasthäuser aber allesamt Ochsen heißen.“ Wurde aus dem Stier irgendwie der Ochsen? Das hält Kunze für unplausibel. Dazu kommt: „Den Ochsen gibt es nur in Baden-Württemberg mit einer ganz scharfen Grenze am Lech, im Elsass würde es ihn auch geben, da heißt er jetzt halt Boeuf und dann gibt es ihn noch in der Schweiz, sonst nirgendwo.“

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Würde die Evangelisten-These stimmen, müsste es laut Kunze aber in allen Gegenden, wo es einen Löwen gibt, ja auch einen Engel, einen Stier/Ochsen und einen Adler geben – doch dem ist nicht so (siehe Karten oben). Zumal die Bandbreite an Namen viel größer ist.

Vorgänger von Hausnummern spielen eine Rolle

Es muss also eine andere Erklärung geben. Kunze findet sie in den Häusernamen. „Es war seit ungefähr 1250 so, dass Häuser in Städten Namen bekommen haben, damit man schnell wusste, wer wo wohnt.“ Oder wo welche Dienstleistung zu finden ist. Klar, dass dafür auch religiöse Symbole herangezogen wurden, schließlich gehört die Bibel "ja zum allgemeinen Kulturgut". Doch häufig sind es eben Begriffe ohne diesen Bezug. Die Bezeichnungen, die als Häusernamen gebräuchlich waren, sind meist gut zu zeichnen. Dass die Wahl gerne auf große, würdige Tiere fiel, das sieht man auch anderswo, bei Adelswappen nämlich.

Unterscheidung zu Hausnamen

Von den heute etwa im Hohenlohischen stellenweise noch gebräuchlichen Hausnamen unterscheiden sich die Häusernamen im Detail. Denn der Hausname ist nicht nur für die Wohnstätte, sondern auch als eine Art Familienname für den Bewohner gebräuchlich.

Die Häusernamen sind so etwas wie die Vorgänger von Hausnummern. Da letztere „sehr viel praktischer sind“ und sich ab dem 18. Jahrhundert verbreiten, sind die Häusernamen außer Gebrauch gekommen. Nur in zwei Branchen nicht: Apotheken und Gaststätten.

„In einzelnen Regionen wurde es nach und nach Pflicht, das Schankrecht durch ein Schild zu kennzeichnen. In den Städten wurden die fortlebenden heraldischen Namen dafür übernommen.“ Die gebräuchlichen Gasthausnamen gingen dann, so Kunze, von den Städten auf die Dörfer über.

In anderen Regionen gibt es andere Wege bei der Namensfindung

„Einen heraldischen Namen zu verwenden, ist auf das südwestdeutsche Sprachgebiet begrenzt“, schränkt der Wissenschaftler ein. Der Lech sei die Grenze im Osten, im Norden verlaufe sie zwischen Neckar und Main. „Außerhalb davon gibt es bei Gaststätten wenige heraldische Namen, denn die Häusernamen waren nicht überall üblich. Man brauchte andere Methoden.“

In Bayern und Österreich seien es häufig Kombinationen mit den Endungen -wirt oder -bräu, also Kirchwirt oder Bergbräu. In Norddeutschland sind Zusammensetzungen mit -schenke oder -krug gängig. „In Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen wird gerne die Wirtin oder der Besitzer genannt wie bei Müllers Gasthaus etwa.“

Konrad Kunze fielen bei seinen Recherchen weitere Besonderheiten auf. Dass dem Bären, dem Stern oder anderen Lokalen ein "zum" vorangestellt wird, wird innerhalb von Baden-Württemberg unterschiedlich gehandhabt. "Je weiter man nach Süden kommt, desto seltener steht ein 'zum' dabei", berichtet der Forscher. Dass Gasthäuser im südlichen Teil des Bundeslandes häufig auf -en enden (Hirschen, Sternen), ist laut Kunze ebenfalls ein typisches Merkmal (siehe Karte unten).

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Während bundesweit die Linde als früherer Versammlungsort der häufigste Gasthausnamen sein dürfte, scheint es in der Schweiz das Kreuz zu sein - kein Wunder beim Blick auf die Landesflagge. "Aber auch im Südwesten Deutschlands gibt es Kreuze, doch nicht in überwiegend protestantischen Regionen", sagt Kunze und erklärt das so: "Wo geflucht, geschimpft, Karten gespielt und getrunken wurde, da war es in streng protestantischen Gegenden wie in Zentral-Württemberg nicht denkbar, das Gasthaus nach dem christlichsten aller Symbole zu benennen." 

Einen weiteren baden-württembergischen Sonderfall stellt das Rössle dar, das allein schon wegen der Endung anderswo nur schwer vorstellbar erscheint. Zu diesem Namen gibt es allerdings eine weitere Bewandtnis. "Der Gasthausname Post ist natürlich erst aufgekommen, seit es eine Post gibt. Den Namen gibt es in ganz Deutschland, als Zeichen, dass hier die Pferde gewechselt werden konnten. Aber im Südwesten hat man eben wieder versucht, einen heraldischen Namen zu verwenden", erklärt Kunze. Post und Rössle deuten hierzulande somit auf den selben Zweck des Gebäudes hin (siehe Karte unten).

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Mit Verallgemeinerungen muss man manchmal vorsichtig sein

Dass man mit Verallgemeinerungen vorsichtig sein sollte, zeigt das Beispiel vom Gasthaus Frieden. "Davon gibt es ungefähr 30 Stück, alle um den Bodensee herum konzentriert. Da es kein heraldischer Name ist, Frieden lässt sich ja schlecht zeichnen, bin ich davon ausgegangen, dass der Name jüngeren Ursprungs ist", berichtet Kunze. Der Forscher schrieb deshalb die heutigen Besitzer an und fragte, ob sie etwas zur Namensgebung sagen können. Ein paar Wirte wussten etwas - heraus kamen ganz unterschiedliche Ansätze.

"Ein Gasthaus hatte zuvor 'Zum deutschen Kaiser' geheißen, ehe es nach dessen Absetzung umbenannt wurde. Ein anderes hatte ungefähr 1871 aufgemacht, also nach Ende des deutsch-französischen Krieges - da passt die Bezeichnung Frieden ganz gut. Bei einem dritten war es so, dass es ursprünglich Sonne hieß. Nachdem das Gasthaus zweimal abgebrannt war, sagte man sich, dass die Sonne als Name wohl zu heiß sei." 

Überhaupt habe sich im 19. Jahrhundert einiges getan. "Mit der Wanderbewegung und dem Vereinswesen sind romantische Namen aufgekommen wie Eintracht, Concordia oder das Waldhorn, das fast nur in Württemberg zu finden ist, und sich womöglich mit dem Aufkommen des schwäbischen Albvereins verbreitet hat." Doch die traditionellen Namen sind damit nicht verschwunden und noch heute gang und gäbe. In Schwaigern und anderswo. 

Die Karten wurden mit dem Programm Flourish auf Basis von Open Street Map erstellt. Die Punkte zeigen gängige Wendungen der Gasthausnamen an. Es ist nicht komplett ausgeschlossen, dass einzelne Lokale fehlen - etwa, weil der Name den Bestandteil "Ochsen" oder "Löwen" enthält, die gesamte Wendung ab zu außergewöhnlich ist. An dem gezeigten Gesamtbild ändert das aber nichts. 


Einige weitere Erkenntnisse nach Kunzes Recherchen

Dass manchen Ochsen die nähere Beschreibung rot oder schwarz vorangestellt ist, kommt laut Kunze dann vor, wenn in einer Ortschaft mehrere Gebäude nach dem Ochsen benannt sind. "Es ist eine Art und Weise der Unterscheidung, die wir im gesamten fränkischen Gebiet antreffen" - also auch in der Region Heilbronn-Franken. "Gehäufter aber noch in Mittelfranken im Großraum Nürnberg."

Beim Gasthaus Rappen sind laut Kunze nicht die Pferde gemeint, wie in vielen Logos und Wirtshausschildern dargestellt, sondern die Raben - und zwar im Dialekt ausgesprochen. Dies ist ein Beispiel für einen biblischen Bezug, da Raben an mehreren Stellen in der Heiligen Schrift auftauchen. "Überhaupt keine Zweifel" gebe es auch am Bibelbezug der Gasthäuser Drei-König, Drei-Kronen oder Mohren als einer des Trios. 

Weniger eindeutig ist die Situation beim Stern. Diesen Namen könnte man auf den Stern von Bethlehem zurückführen - oder auf den Zoigl-Stern, der früher als Zeichen dafür ausgehängt wurde, dass es frisches Bier gab. "Ein komplizierter Fall", sagt Kunze, der aber erwähnt, dass manche Wirtshausschilder über dem Stern einen Kometenschweif zeigen - das wäre dann ein Indiz für den biblischen Hintergrund. 

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